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Humboldt, Alexander von: Über die bei verschiedenen Völkern üblichen Systeme von Zahlzeichen und über den Ursprung des Stellenwerthes in den indischen Zahlen. In: Journal für reine und angewandte Mathematik, Bd. 4 (1829), S. 205-231.

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17. Alex. von Humboldt, über Zahlzeichensysteme.
ten und Bewohner der südlichen und indischen Halb-Insel, oder, wenn
ursprünglich Gruppenzeichen für n, n2, n3 verschieden waren, wie die
Accentuirung der Püthmenes im Gobar-Systeme, oder Scholion des Neo-
phytos
, ja endlich wie die Kugelschnüre des Suampan, in dem ein poten-
zirter Werth nur durch relative Lage der Schnur ausgedrückt wird,
zum Stellenwerthe führen konnten.

Ob das einfache indische Positions-System seinen Weg in die
Abendländer durch den Aufenthalt des gelehrten Astronomen Rihan
Muhammed ebn Ahmet Albiruni
in Indien*), oder durch mau-
rische
Zollbeamte an der nord-afrikanischen Küste und den Verkehr
der italienischen Kaufleute mit diesen Zollbeamten gefunden hat, lassen
wir hier unentschieden. Eben so ungewiß ist es, trotz des Alters der
indischen Cultur, ob das Positionssystem, welches so mächtig auf den Zu-
stand der Mathematik eingewirkt hat, schon zur Zeit der macedonischen
Expedition jenseits des Indus bekannt war. Wie ganz anders, vervoll-
kommnet, würden Archimedes, Apollonius von Perga und Dio-
phantos
die mathematischen Wissenschaften dem gelehrten Zeitalter
der Haschemiten überliefert haben, wenn die Abendländer, 12 oder
13 Jahrhunderte früher, also durch Alexanders Heerzüge, die indi-
sche Positions-Arithmetik empfangen hätten. Aber der von den Grie-
chen durchzogene Theil von Vorder-Indien, das Penjab bis Palibo-
thra
hin, war, nach Herrn Lassen's gelehrten Untersuchungen, ein
Wohnsitz wenig cultivirter Völker. Von den östlicher wohnenden wur-
den sie selbst Barbaren genannt. Erst Seleucus Nicator drang über
die Grenze, welche Cultur und Uncultur schied, über den Fluß Saras-
vatis
**) bis zum Ganges vor. Wir sehen aus den alten indischen Ta-
mul
-Ziffern, die durch beigesetzte Multiplicatoren 2n, 3n2 ... aus-
drücken, und daher außer den Zeichen für die ersten 9 Einheiten, eigene
Zeichen für n, n2, n3 ... haben, daß in Indien, neben dem fast allein
sogenannten indischen (oder arabischen) Zahlen-Systeme mit Stellen-
werth, auch andere, ohne Stellenwerth, gleichzeitig existirt haben. Viel-
leicht kamen Alexander und seine bactrischen Nachfolger bei ihrem tem-

*) Nach des gelehrten, der griechischen und arabischen Astronomie gleich kundigen Orien-
talisten Sedillot Bemerkung.
**) Lassen, Comment. geogr. de Pentapot. p. 58.
Crelle's Journal. IV. Bd. 3. Hft. 30

17. Alex. von Humboldt, über Zahlzeichensysteme.
ten und Bewohner der südlichen und indischen Halb-Insel, oder, wenn
ursprünglich Gruppenzeichen für n, n2, n3 verschieden waren, wie die
Accentuirung der Püthmenes im Gobar-Systeme, oder Scholion des Neo-
phytos
, ja endlich wie die Kugelschnüre des Suampan, in dem ein poten-
zirter Werth nur durch relative Lage der Schnur ausgedrückt wird,
zum Stellenwerthe führen konnten.

Ob das einfache indische Positions-System seinen Weg in die
Abendländer durch den Aufenthalt des gelehrten Astronomen Rihan
Muhammed ebn Ahmet Albiruni
in Indien*), oder durch mau-
rische
Zollbeamte an der nord-afrikanischen Küste und den Verkehr
der italienischen Kaufleute mit diesen Zollbeamten gefunden hat, lassen
wir hier unentschieden. Eben so ungewiß ist es, trotz des Alters der
indischen Cultur, ob das Positionssystem, welches so mächtig auf den Zu-
stand der Mathematik eingewirkt hat, schon zur Zeit der macedonischen
Expedition jenseits des Indus bekannt war. Wie ganz anders, vervoll-
kommnet, würden Archimedes, Apollonius von Perga und Dio-
phantos
die mathematischen Wissenschaften dem gelehrten Zeitalter
der Haschemiten überliefert haben, wenn die Abendländer, 12 oder
13 Jahrhunderte früher, also durch Alexanders Heerzüge, die indi-
sche Positions-Arithmetik empfangen hätten. Aber der von den Grie-
chen durchzogene Theil von Vorder-Indien, das Penjab bis Palibo-
thra
hin, war, nach Herrn Lassen's gelehrten Untersuchungen, ein
Wohnsitz wenig cultivirter Völker. Von den östlicher wohnenden wur-
den sie selbst Barbaren genannt. Erst Seleucus Nicator drang über
die Grenze, welche Cultur und Uncultur schied, über den Fluß Saras-
vatis
**) bis zum Ganges vor. Wir sehen aus den alten indischen Ta-
mul
-Ziffern, die durch beigesetzte Multiplicatoren 2n, 3n2 ... aus-
drücken, und daher außer den Zeichen für die ersten 9 Einheiten, eigene
Zeichen für n, n2, n3 ... haben, daß in Indien, neben dem fast allein
sogenannten indischen (oder arabischen) Zahlen-Systeme mit Stellen-
werth, auch andere, ohne Stellenwerth, gleichzeitig existirt haben. Viel-
leicht kamen Alexander und seine bactrischen Nachfolger bei ihrem tem-

*) Nach des gelehrten, der griechischen und arabischen Astronomie gleich kundigen Orien-
talisten Sedillot Bemerkung.
**) Lassen, Comment. geogr. de Pentapot. p. 58.
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[229/0026] 17. Alex. von Humboldt, über Zahlzeichensysteme. ten und Bewohner der südlichen und indischen Halb-Insel, oder, wenn ursprünglich Gruppenzeichen für n, n2, n3 verschieden waren, wie die Accentuirung der Püthmenes im Gobar-Systeme, oder Scholion des Neo- phytos, ja endlich wie die Kugelschnüre des Suampan, in dem ein poten- zirter Werth nur durch relative Lage der Schnur ausgedrückt wird, zum Stellenwerthe führen konnten. Ob das einfache indische Positions-System seinen Weg in die Abendländer durch den Aufenthalt des gelehrten Astronomen Rihan Muhammed ebn Ahmet Albiruni in Indien *), oder durch mau- rische Zollbeamte an der nord-afrikanischen Küste und den Verkehr der italienischen Kaufleute mit diesen Zollbeamten gefunden hat, lassen wir hier unentschieden. Eben so ungewiß ist es, trotz des Alters der indischen Cultur, ob das Positionssystem, welches so mächtig auf den Zu- stand der Mathematik eingewirkt hat, schon zur Zeit der macedonischen Expedition jenseits des Indus bekannt war. Wie ganz anders, vervoll- kommnet, würden Archimedes, Apollonius von Perga und Dio- phantos die mathematischen Wissenschaften dem gelehrten Zeitalter der Haschemiten überliefert haben, wenn die Abendländer, 12 oder 13 Jahrhunderte früher, also durch Alexanders Heerzüge, die indi- sche Positions-Arithmetik empfangen hätten. Aber der von den Grie- chen durchzogene Theil von Vorder-Indien, das Penjab bis Palibo- thra hin, war, nach Herrn Lassen's gelehrten Untersuchungen, ein Wohnsitz wenig cultivirter Völker. Von den östlicher wohnenden wur- den sie selbst Barbaren genannt. Erst Seleucus Nicator drang über die Grenze, welche Cultur und Uncultur schied, über den Fluß Saras- vatis **) bis zum Ganges vor. Wir sehen aus den alten indischen Ta- mul-Ziffern, die durch beigesetzte Multiplicatoren 2n, 3n2 ... aus- drücken, und daher außer den Zeichen für die ersten 9 Einheiten, eigene Zeichen für n, n2, n3 ... haben, daß in Indien, neben dem fast allein sogenannten indischen (oder arabischen) Zahlen-Systeme mit Stellen- werth, auch andere, ohne Stellenwerth, gleichzeitig existirt haben. Viel- leicht kamen Alexander und seine bactrischen Nachfolger bei ihrem tem- *) Nach des gelehrten, der griechischen und arabischen Astronomie gleich kundigen Orien- talisten Sedillot Bemerkung. **) Lassen, Comment. geogr. de Pentapot. p. 58. Crelle's Journal. IV. Bd. 3. Hft. 30

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Über die bei verschiedenen Völkern üblichen Systeme von Zahlzeichen und über den Ursprung des Stellenwerthes in den indischen Zahlen. In: Journal für reine und angewandte Mathematik, Bd. 4 (1829), S. 205-231, hier S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_system_1829/26>, abgerufen am 19.04.2024.