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Humboldt, Alexander von: Über die bei verschiedenen Völkern üblichen Systeme von Zahlzeichen und über den Ursprung des Stellenwerthes in den indischen Zahlen. In: Journal für reine und angewandte Mathematik, Bd. 4 (1829), S. 205-231.

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17. Alex. von Humboldt, über Zahlzeichensysteme.
vinsati; 99 unusata; bei den Römern in undeviginti für 19 (unus de
viginti
). undeoctoginta für 79; duo de quadraginta für 38; bei den Grie-
chen
eikosi deonta henos 19 und pentekonta düoin deontoin 48, d. i. feh-
lend 2 an 50. Dieselbe minorative Sprachform ist in die numerische
Graphik übergegangen, wenn den Gruppenzeichen 5, 10, ja selbst ihren
Vielfachen, z. B. 50 oder 100, Charactere zur Linken gesetzt werden.
(IV und IL, XL und XT für 4 und 40 bei Römern und Tuskern*),
obgleich bei den letzteren, nach Otfried Müller's neuen Untersuchun-
gen, die Ziffern wahrscheinlich ganz von dem Alphabet herstammen.)
In seltenen römischen Inschriften, die Marini gesammlet**), finden sich
sogar 4 Einheiten vor 10, z. B. IIIIX für 6. Wir werden bald sehen,
daß es graphische Methoden bei indischen Völkerstämmen giebt, in wel-
chen der Stellenwerth, welcher bei Tuskern und Römern nur addi-
tiv
oder subtractiv ist, nach Maaßgabe der Stellung oder Richtung
der Zeichen, auf Addition und Multiplication hindeutet. In diesen
indischen Systemen ist (um mich römischer Ziffern zu bedienen) IIX
zwanzig, und XII zwölf.

In einer großen Zahl von Sprachen werden die Normal-Gruppen 5,
10, 20 eine Hand, zwei Hände, und Hand und Fuß (bei den Gua-
ranis
mbombiabe) genannt. Hat man an beiden Extremitäten die Finger
abgezählt, so erscheint der ganze Mensch als ein Symbol von 20; daher
heißt in der Sprache der Yaruros (von denen ich volkreiche Missions-
Dörfer am Apure-Flusse, der sich in den Orinoco einmündet, gefunden)
40 zwei Menschen, noeni pume von noeni zwei und pume Mensch.
Im Persischen drückt bekanntlich pentscha die Faust, pendj fünf aus,
herstammend von dem Sanscrit-Worte pantscha. "Letzteres hat (nach
Hrn. Bopp's scharfsinniger Bemerkung) auf das römische quinque geführt,
wie das indische tschatur auf quatuor. Der Plural von tschatur (4.) ist
tschatvaras, und steht dem Dorisch-Aeolischen tettares sehr nahe. Das
indische ch, wie im Englischen ausgesprochen, also tsch, wird nemlich im
Griechischen ein t; daher sich tschatvaras in tatvaras, wie pantscha (5)
in panta (das griechische pente, äolisch pempe, davon pempazein an den
Fingern oder Fünfen zählen) umwandelt. Im Lateinischen entspricht
dagegen qu dem indischen ch oder vielmehr tsch; daher tschatur und

*) Otfried Müller, Etrusker, II. p. 317--320.
**) Iscrizioni della Villa di Albano, p. 193. Hervas Aritmetica delle nazioni 1786. p. 11. 16.

17. Alex. von Humboldt, über Zahlzeichensysteme.
vinsati; 99 unusata; bei den Römern in undeviginti für 19 (unus de
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Graphik übergegangen, wenn den Gruppenzeichen 5, 10, ja selbst ihren
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(IV und IΛ, XL und XT für 4 und 40 bei Römern und Tuskern*),
obgleich bei den letzteren, nach Otfried Müller's neuen Untersuchun-
gen, die Ziffern wahrscheinlich ganz von dem Alphabet herstammen.)
In seltenen römischen Inschriften, die Marini gesammlet**), finden sich
sogar 4 Einheiten vor 10, z. B. IIIIX für 6. Wir werden bald sehen,
daß es graphische Methoden bei indischen Völkerstämmen giebt, in wel-
chen der Stellenwerth, welcher bei Tuskern und Römern nur addi-
tiv
oder subtractiv ist, nach Maaßgabe der Stellung oder Richtung
der Zeichen, auf Addition und Multiplication hindeutet. In diesen
indischen Systemen ist (um mich römischer Ziffern zu bedienen) IIX
zwanzig, und XII zwölf.

In einer großen Zahl von Sprachen werden die Normal-Gruppen 5,
10, 20 eine Hand, zwei Hände, und Hand und Fuß (bei den Gua-
ranis
mbombiabe) genannt. Hat man an beiden Extremitäten die Finger
abgezählt, so erscheint der ganze Mensch als ein Symbol von 20; daher
heißt in der Sprache der Yaruros (von denen ich volkreiche Missions-
Dörfer am Apure-Flusse, der sich in den Orinoco einmündet, gefunden)
40 zwei Menschen, noeni pume von noeni zwei und pume Mensch.
Im Persischen drückt bekanntlich pentscha die Faust, pendj fünf aus,
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Hrn. Bopp's scharfsinniger Bemerkung) auf das römische quinque geführt,
wie das indische tschatur auf quatuor. Der Plural von tschatur (4.) ist
tschatvaras, und steht dem Dorisch-Aeolischen tettares sehr nahe. Das
indische ch, wie im Englischen ausgesprochen, also tsch, wird nemlich im
Griechischen ein t; daher sich tschatvaras in tatvaras, wie pantscha (5)
in panta (das griechische pente, äolisch pempe, davon pempazein an den
Fingern oder Fünfen zählen) umwandelt. Im Lateinischen entspricht
dagegen qu dem indischen ch oder vielmehr tsch; daher tschatur und

*) Otfried Müller, Etrusker, II. p. 317—320.
**) Iscrizioni della Villa di Albano, p. 193. Hervas Aritmetica delle nazioni 1786. p. 11. 16.
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[211/0008] 17. Alex. von Humboldt, über Zahlzeichensysteme. vinsati; 99 unusata; bei den Römern in undeviginti für 19 (unus de viginti). undeoctoginta für 79; duo de quadraginta für 38; bei den Grie- chen eikosi deonta henos 19 und pentekonta düoin deontoin 48, d. i. feh- lend 2 an 50. Dieselbe minorative Sprachform ist in die numerische Graphik übergegangen, wenn den Gruppenzeichen 5, 10, ja selbst ihren Vielfachen, z. B. 50 oder 100, Charactere zur Linken gesetzt werden. (IV und IΛ, XL und XT für 4 und 40 bei Römern und Tuskern *), obgleich bei den letzteren, nach Otfried Müller's neuen Untersuchun- gen, die Ziffern wahrscheinlich ganz von dem Alphabet herstammen.) In seltenen römischen Inschriften, die Marini gesammlet **), finden sich sogar 4 Einheiten vor 10, z. B. IIIIX für 6. Wir werden bald sehen, daß es graphische Methoden bei indischen Völkerstämmen giebt, in wel- chen der Stellenwerth, welcher bei Tuskern und Römern nur addi- tiv oder subtractiv ist, nach Maaßgabe der Stellung oder Richtung der Zeichen, auf Addition und Multiplication hindeutet. In diesen indischen Systemen ist (um mich römischer Ziffern zu bedienen) IIX zwanzig, und XII zwölf. In einer großen Zahl von Sprachen werden die Normal-Gruppen 5, 10, 20 eine Hand, zwei Hände, und Hand und Fuß (bei den Gua- ranis mbombiabe) genannt. Hat man an beiden Extremitäten die Finger abgezählt, so erscheint der ganze Mensch als ein Symbol von 20; daher heißt in der Sprache der Yaruros (von denen ich volkreiche Missions- Dörfer am Apure-Flusse, der sich in den Orinoco einmündet, gefunden) 40 zwei Menschen, noeni pume von noeni zwei und pume Mensch. Im Persischen drückt bekanntlich pentscha die Faust, pendj fünf aus, herstammend von dem Sanscrit-Worte pantscha. „Letzteres hat (nach Hrn. Bopp's scharfsinniger Bemerkung) auf das römische quinque geführt, wie das indische tschatur auf quatuor. Der Plural von tschatur (4.) ist tschatvaras, und steht dem Dorisch-Aeolischen tettares sehr nahe. Das indische ch, wie im Englischen ausgesprochen, also tsch, wird nemlich im Griechischen ein t; daher sich tschatvaras in tatvaras, wie pantscha (5) in panta (das griechische pente, äolisch pempe, davon pempazein an den Fingern oder Fünfen zählen) umwandelt. Im Lateinischen entspricht dagegen qu dem indischen ch oder vielmehr tsch; daher tschatur und *) Otfried Müller, Etrusker, II. p. 317—320. **) Iscrizioni della Villa di Albano, p. 193. Hervas Aritmetica delle nazioni 1786. p. 11. 16.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Über die bei verschiedenen Völkern üblichen Systeme von Zahlzeichen und über den Ursprung des Stellenwerthes in den indischen Zahlen. In: Journal für reine und angewandte Mathematik, Bd. 4 (1829), S. 205-231, hier S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_system_1829/8>, abgerufen am 29.03.2024.