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Humboldt, Alexander von: Über die Haupt-Ursachen der Temperatur-Verschiedenheit auf dem Erdkörper. In: Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften in Berlin. Aus dem Jahre 1827. Berlin, 1830, S. 295-316.

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über die Temperatur-Verschiedenheit auf dem Erdkörper.

Sandbänke werden, wie der unsterbliche Benjamin Franklin zu-
erst gelehrt hat, früher durch das Thermometer, als durch das Senkblei
erkannt. Es sind submarinische Insel-Theile des Meer-Bodens, welche
die elastischen Kräfte nicht über den Wasserspiegel erheben konnten. Auf
dem Abhange der Untiefen, durch Stoß ansteigend, mischen sich die un-
teren kälteren Wasserschichten mit den oberen wärmeren. So verräth dem
Schiffer plötzliche Meereskälte die nahe Gefahr. Durch ihre Temperatur
wirken die Untiefen auf die darüber stehende Luft, in der sie Nebel und
weitgesehene Gruppen von Wolken erzeugen.

Gewöhnt, den Farbenschmuck tropischer Producte dem energischen
Reize des Lichtes und der Wärme zuzuschreiben, wird der Naturforscher
durch den Anblick schönfarbiger Seegewürme, Conchylien und Fische be-
fremdet, die, in den Aequatorial-Meeren großentheils in Tiefen leben,
in welche das Sonnenlicht, nach Erfahrungen in Taucher-Glocken und nach
Bouguer's optischen Versuchen, nicht mehr hindringt, und wo die Tem-
peratur kalter Klimate herrscht. Haben sich die Typen dieser prachtvollen
organischen Bildungen vor Jahrtausenden, unter anderen äußeren Beding-
nissen, festgestellt? Werden die großäugigen Fische, welche in 2000 Fuß
Tiefe dem Raube nachgehen, noch durch Eindrücke des Gesichtssinnes ge-
leitet? Diese Fragen verdienen neue Untersuchungen, welche eben sowohl
in das Gebiet der zoologischen Geographie, als der Physiologie und Natur-
lehre gehören. Der neueren Behauptung, daß eine Schaar phosphoresci-
render Mollusken jenen Fischen in den finstern Abgründen des Oceans vor-
leuchte, durch Licht, was die Lebensthätigkeit selbst entwickelt, kann ich
nicht beipflichten.

Als man noch wenig über die Verbreitung der Wärme auf dem Erd-
körper nachgedacht hatte, glaubte man das Klima zweier Orte nach den
Extremen beurtheilen zu können, welche die Sommer- und Winter-Tem-
peraturen erreichen. Diese Ansicht der Dinge hat sich noch in der Volks-
meinung erhalten; von den Physikern ist sie längst als unrichtig aufgegeben
worden; denn wenn auch unbezweifelt die Extreme einzelner Tage und
Nächte in gewissem Verhältniß zu der mittleren Temperatur des Jahres ste-
hen, so ist doch (und dieser Umstand hat den wichtigsten Einfluß auf das
Gedeihen der Gewächse und den Gesundheitszustand der Menschen) bei
einem und demselben Grade mittlerer jährlicher Temperatur, die Verthei-

über die Temperatur-Verschiedenheit auf dem Erdkörper.

Sandbänke werden, wie der unsterbliche Benjamin Franklin zu-
erst gelehrt hat, früher durch das Thermometer, als durch das Senkblei
erkannt. Es sind submarinische Insel-Theile des Meer-Bodens, welche
die elastischen Kräfte nicht über den Wasserspiegel erheben konnten. Auf
dem Abhange der Untiefen, durch Stoß ansteigend, mischen sich die un-
teren kälteren Wasserschichten mit den oberen wärmeren. So verräth dem
Schiffer plötzliche Meereskälte die nahe Gefahr. Durch ihre Temperatur
wirken die Untiefen auf die darüber stehende Luft, in der sie Nebel und
weitgesehene Gruppen von Wolken erzeugen.

Gewöhnt, den Farbenschmuck tropischer Producte dem energischen
Reize des Lichtes und der Wärme zuzuschreiben, wird der Naturforscher
durch den Anblick schönfarbiger Seegewürme, Conchylien und Fische be-
fremdet, die, in den Aequatorial-Meeren großentheils in Tiefen leben,
in welche das Sonnenlicht, nach Erfahrungen in Taucher-Glocken und nach
Bouguer's optischen Versuchen, nicht mehr hindringt, und wo die Tem-
peratur kalter Klimate herrscht. Haben sich die Typen dieser prachtvollen
organischen Bildungen vor Jahrtausenden, unter anderen äußeren Beding-
nissen, festgestellt? Werden die großäugigen Fische, welche in 2000 Fuß
Tiefe dem Raube nachgehen, noch durch Eindrücke des Gesichtssinnes ge-
leitet? Diese Fragen verdienen neue Untersuchungen, welche eben sowohl
in das Gebiet der zoologischen Geographie, als der Physiologie und Natur-
lehre gehören. Der neueren Behauptung, daß eine Schaar phosphoresci-
render Mollusken jenen Fischen in den finstern Abgründen des Oceans vor-
leuchte, durch Licht, was die Lebensthätigkeit selbst entwickelt, kann ich
nicht beipflichten.

Als man noch wenig über die Verbreitung der Wärme auf dem Erd-
körper nachgedacht hatte, glaubte man das Klima zweier Orte nach den
Extremen beurtheilen zu können, welche die Sommer- und Winter-Tem-
peraturen erreichen. Diese Ansicht der Dinge hat sich noch in der Volks-
meinung erhalten; von den Physikern ist sie längst als unrichtig aufgegeben
worden; denn wenn auch unbezweifelt die Extreme einzelner Tage und
Nächte in gewissem Verhältniß zu der mittleren Temperatur des Jahres ste-
hen, so ist doch (und dieser Umstand hat den wichtigsten Einfluß auf das
Gedeihen der Gewächse und den Gesundheitszustand der Menschen) bei
einem und demselben Grade mittlerer jährlicher Temperatur, die Verthei-

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[303/0010] über die Temperatur-Verschiedenheit auf dem Erdkörper. Sandbänke werden, wie der unsterbliche Benjamin Franklin zu- erst gelehrt hat, früher durch das Thermometer, als durch das Senkblei erkannt. Es sind submarinische Insel-Theile des Meer-Bodens, welche die elastischen Kräfte nicht über den Wasserspiegel erheben konnten. Auf dem Abhange der Untiefen, durch Stoß ansteigend, mischen sich die un- teren kälteren Wasserschichten mit den oberen wärmeren. So verräth dem Schiffer plötzliche Meereskälte die nahe Gefahr. Durch ihre Temperatur wirken die Untiefen auf die darüber stehende Luft, in der sie Nebel und weitgesehene Gruppen von Wolken erzeugen. Gewöhnt, den Farbenschmuck tropischer Producte dem energischen Reize des Lichtes und der Wärme zuzuschreiben, wird der Naturforscher durch den Anblick schönfarbiger Seegewürme, Conchylien und Fische be- fremdet, die, in den Aequatorial-Meeren großentheils in Tiefen leben, in welche das Sonnenlicht, nach Erfahrungen in Taucher-Glocken und nach Bouguer's optischen Versuchen, nicht mehr hindringt, und wo die Tem- peratur kalter Klimate herrscht. Haben sich die Typen dieser prachtvollen organischen Bildungen vor Jahrtausenden, unter anderen äußeren Beding- nissen, festgestellt? Werden die großäugigen Fische, welche in 2000 Fuß Tiefe dem Raube nachgehen, noch durch Eindrücke des Gesichtssinnes ge- leitet? Diese Fragen verdienen neue Untersuchungen, welche eben sowohl in das Gebiet der zoologischen Geographie, als der Physiologie und Natur- lehre gehören. Der neueren Behauptung, daß eine Schaar phosphoresci- render Mollusken jenen Fischen in den finstern Abgründen des Oceans vor- leuchte, durch Licht, was die Lebensthätigkeit selbst entwickelt, kann ich nicht beipflichten. Als man noch wenig über die Verbreitung der Wärme auf dem Erd- körper nachgedacht hatte, glaubte man das Klima zweier Orte nach den Extremen beurtheilen zu können, welche die Sommer- und Winter-Tem- peraturen erreichen. Diese Ansicht der Dinge hat sich noch in der Volks- meinung erhalten; von den Physikern ist sie längst als unrichtig aufgegeben worden; denn wenn auch unbezweifelt die Extreme einzelner Tage und Nächte in gewissem Verhältniß zu der mittleren Temperatur des Jahres ste- hen, so ist doch (und dieser Umstand hat den wichtigsten Einfluß auf das Gedeihen der Gewächse und den Gesundheitszustand der Menschen) bei einem und demselben Grade mittlerer jährlicher Temperatur, die Verthei-

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Über die Haupt-Ursachen der Temperatur-Verschiedenheit auf dem Erdkörper. In: Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften in Berlin. Aus dem Jahre 1827. Berlin, 1830, S. 295-316, hier S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_ursachen_1830/10>, abgerufen am 19.04.2024.