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Humboldt, Alexander von: Ueber die Winterkälte, welche größere Säugethiere ertragen können. Bemerkungen des Herrn Al. von Humboldt. In: Zeitschrift für allgemeine Erdkunde. Bd. 3, 43 (1854), S. 43.

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Miscellen:

Ueber die Winterkälte, welche größere Säugethiere
ertragen können.
1) Schreiben des Herrn Jules Gerard, Lieutenant bei den
Spahis
, an Herrn Al. von Humboldt.

... Sie haben mir die Ehre erzeigt, mich zu befragen, welches die
größte Kälte sein möchte, die der Löwe ertragen könnte. Die Aures-Ge-
birge
, die höchsten in Algerien, sind immer von einigen Löwen bewohnt.
Jm Sommer halten sie sich nicht fern von den Rücken der Gebirge auf, wo
es immer luftig und kühl ist; im Winter ziehen sie sich tiefer hinab, in das
Hügelland, welches an das Meer grenzt, das aber auch während zweier Mo-
nate etwa mit Schnee bedeckt wird, und zuweilen noch länger. Die größte
Kälte in diesen Gegenden sinkt nie unter 10° unter Null; in den Monaten
December, Januar und Februar hält die Kälte 2 bis 6 Grade unter dem Ge-
frierpunkt an. Sie ist also schärfer, als in Südfrankreich. Jm ganzen übri-
gen Jahre sind die Löwen nie lebendiger und frischer, als bei größerer Kälte;
dann sind sie für die Araber viel verderblicher, als in der ganzen übrigen
Jahreszeit.

Wenn die Löwen jene größten Höhen oder halbe Höhen der Hochrücken
der Gebirge verlassen, so geschieht dies weniger der Kälte, als des hohen
Schnees wegen, welcher alle Wege überdeckt. Der Löwe ist das reinlichste
aller Thiere und übertrifft darin selbst den Menschen; den geringsten Schmutz,
den kleinsten Fleck leidet er nicht. Muß er über feuchten, oder morastigen
Boden gehen, so wählt er immer den trockensten Pfad und er biegt lieber aus
dem schmutzigen Wege in den Wald ein, um dann wieder auf den trocken
gewordenen Pfad zurückzukehren. Muß er durch den Schnee gehen, so bleibt
er von Zeit zu Zeit still stehen und schüttelt den Schnee von den Tatzen und
dem Körper ab, an den sich derselbe gehängt hat. Dann ist der Löwe nach mei-
nen Beobachtungen viel weniger träge, wie in der Sommerzeit, wo er sich
mehr keuchend und angegriffen zeigt.

Aus meinen Beobachtungen ergiebt sich, daß der Löwe die große Kälte
besser erträgt, als die große Hitze, und daß er in weit kälteren Gegenden, als
die von Algerien sind, wohl leben könnte, wenn er daselbst nur hinreichende
Heerden und Waldung fände.

Jch muß es bedauern, daß ich bis jetzt der Einzige bin, der sich im All-
gemeinen mit der Löwenjagd beschäftigt hat. Wie würde es mich freuen,
wenn ich aus den verschiedensten Nationen Theilnehmer an dieser Arbeit und
dieser Jagd fände; ich würde sie brüderlich aufnehmen. Jch habe beim fran-

Miscellen:

Ueber die Winterkälte, welche größere Säugethiere
ertragen können.
1) Schreiben des Herrn Jules Gérard, Lieutenant bei den
Spahis
, an Herrn Al. von Humboldt.

... Sie haben mir die Ehre erzeigt, mich zu befragen, welches die
größte Kälte ſein möchte, die der Löwe ertragen könnte. Die Aurès-Ge-
birge
, die höchſten in Algerien, ſind immer von einigen Löwen bewohnt.
Jm Sommer halten ſie ſich nicht fern von den Rücken der Gebirge auf, wo
es immer luftig und kühl iſt; im Winter ziehen ſie ſich tiefer hinab, in das
Hügelland, welches an das Meer grenzt, das aber auch während zweier Mo-
nate etwa mit Schnee bedeckt wird, und zuweilen noch länger. Die größte
Kälte in dieſen Gegenden ſinkt nie unter 10° unter Null; in den Monaten
December, Januar und Februar hält die Kälte 2 bis 6 Grade unter dem Ge-
frierpunkt an. Sie iſt alſo ſchärfer, als in Südfrankreich. Jm ganzen übri-
gen Jahre ſind die Löwen nie lebendiger und friſcher, als bei größerer Kälte;
dann ſind ſie für die Araber viel verderblicher, als in der ganzen übrigen
Jahreszeit.

Wenn die Löwen jene größten Höhen oder halbe Höhen der Hochrücken
der Gebirge verlaſſen, ſo geſchieht dies weniger der Kälte, als des hohen
Schnees wegen, welcher alle Wege überdeckt. Der Löwe iſt das reinlichſte
aller Thiere und übertrifft darin ſelbſt den Menſchen; den geringſten Schmutz,
den kleinſten Fleck leidet er nicht. Muß er über feuchten, oder moraſtigen
Boden gehen, ſo wählt er immer den trockenſten Pfad und er biegt lieber aus
dem ſchmutzigen Wege in den Wald ein, um dann wieder auf den trocken
gewordenen Pfad zurückzukehren. Muß er durch den Schnee gehen, ſo bleibt
er von Zeit zu Zeit ſtill ſtehen und ſchüttelt den Schnee von den Tatzen und
dem Körper ab, an den ſich derſelbe gehängt hat. Dann iſt der Löwe nach mei-
nen Beobachtungen viel weniger träge, wie in der Sommerzeit, wo er ſich
mehr keuchend und angegriffen zeigt.

Aus meinen Beobachtungen ergiebt ſich, daß der Löwe die große Kälte
beſſer erträgt, als die große Hitze, und daß er in weit kälteren Gegenden, als
die von Algerien ſind, wohl leben könnte, wenn er daſelbſt nur hinreichende
Heerden und Waldung fände.

Jch muß es bedauern, daß ich bis jetzt der Einzige bin, der ſich im All-
gemeinen mit der Löwenjagd beſchäftigt hat. Wie würde es mich freuen,
wenn ich aus den verſchiedenſten Nationen Theilnehmer an dieſer Arbeit und
dieſer Jagd fände; ich würde ſie brüderlich aufnehmen. Jch habe beim fran-

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[42/0001] Miscellen: Ueber die Winterkälte, welche größere Säugethiere ertragen können. 1) Schreiben des Herrn Jules Gérard, Lieutenant bei den Spahis, an Herrn Al. von Humboldt. Paris, den 8. Mai 1854. ... Sie haben mir die Ehre erzeigt, mich zu befragen, welches die größte Kälte ſein möchte, die der Löwe ertragen könnte. Die Aurès-Ge- birge, die höchſten in Algerien, ſind immer von einigen Löwen bewohnt. Jm Sommer halten ſie ſich nicht fern von den Rücken der Gebirge auf, wo es immer luftig und kühl iſt; im Winter ziehen ſie ſich tiefer hinab, in das Hügelland, welches an das Meer grenzt, das aber auch während zweier Mo- nate etwa mit Schnee bedeckt wird, und zuweilen noch länger. Die größte Kälte in dieſen Gegenden ſinkt nie unter 10° unter Null; in den Monaten December, Januar und Februar hält die Kälte 2 bis 6 Grade unter dem Ge- frierpunkt an. Sie iſt alſo ſchärfer, als in Südfrankreich. Jm ganzen übri- gen Jahre ſind die Löwen nie lebendiger und friſcher, als bei größerer Kälte; dann ſind ſie für die Araber viel verderblicher, als in der ganzen übrigen Jahreszeit. Wenn die Löwen jene größten Höhen oder halbe Höhen der Hochrücken der Gebirge verlaſſen, ſo geſchieht dies weniger der Kälte, als des hohen Schnees wegen, welcher alle Wege überdeckt. Der Löwe iſt das reinlichſte aller Thiere und übertrifft darin ſelbſt den Menſchen; den geringſten Schmutz, den kleinſten Fleck leidet er nicht. Muß er über feuchten, oder moraſtigen Boden gehen, ſo wählt er immer den trockenſten Pfad und er biegt lieber aus dem ſchmutzigen Wege in den Wald ein, um dann wieder auf den trocken gewordenen Pfad zurückzukehren. Muß er durch den Schnee gehen, ſo bleibt er von Zeit zu Zeit ſtill ſtehen und ſchüttelt den Schnee von den Tatzen und dem Körper ab, an den ſich derſelbe gehängt hat. Dann iſt der Löwe nach mei- nen Beobachtungen viel weniger träge, wie in der Sommerzeit, wo er ſich mehr keuchend und angegriffen zeigt. Aus meinen Beobachtungen ergiebt ſich, daß der Löwe die große Kälte beſſer erträgt, als die große Hitze, und daß er in weit kälteren Gegenden, als die von Algerien ſind, wohl leben könnte, wenn er daſelbſt nur hinreichende Heerden und Waldung fände. Jch muß es bedauern, daß ich bis jetzt der Einzige bin, der ſich im All- gemeinen mit der Löwenjagd beſchäftigt hat. Wie würde es mich freuen, wenn ich aus den verſchiedenſten Nationen Theilnehmer an dieſer Arbeit und dieſer Jagd fände; ich würde ſie brüderlich aufnehmen. Jch habe beim fran-

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Ueber die Winterkälte, welche größere Säugethiere ertragen können. Bemerkungen des Herrn Al. von Humboldt. In: Zeitschrift für allgemeine Erdkunde. Bd. 3, 43 (1854), S. 43, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_winterkaelte_1854/1>, abgerufen am 29.03.2024.