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Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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gaben des Horaz, und gerade in der Stunde, die mich der Welt bescheerte, trat die Sonne in das Zeichen des Krebses. Was Wunder, daß die Theorie bei mir eine große Rolle gespielt, und daß jenes Gestirn oft meinen Lebensgang regiert hat?

Dem sei nun, wie ihm wolle: mir ist zuweilen unter solchen Umständen etwas recht Aergerliches begegnet. Meine Frau, die ich auf dem Wege nach Italien fand, lasse ich gelten; ich liebte sie herzlich, als ich sie nahm. Aber wie ging es mir mit dem berühmten Eßlair? Dieser große Künstler kam in unsere Stadt; Wallenstein war für den Abend angekündigt. Ich freute mich wie ein Kind, endlich einmal wieder aus würdigem Munde den goldenen Strom der Poesie rauschen hören zu dürfen. Dieser Abend, dachte ich, soll dir manches Dilettanten-Concert und viele gesellige Lustbarkeiten überstehen helfen. Unglücklicherweise fällt mir Nachmittags vier Uhr ein, daß Tieck in seinen dramaturgischen Blättern über den Künstler gesprochen hat. Ich greife nach dem Platze des Buches, es ist nicht da. Ich erinnere mich, es an Freund Emil verliehen zu haben. Der Bediente ward zu ihm gesandt und bringt nach drei Viertelstunden ein Billet: ich möge mich nur erinnern, daß ich das Verlangte schon vor drei Tagen zurück empfangen habe. Richtig, ich erinnere mich jetzt des Umstandes. Von Neuem durchsuche ich das ganze ästhetische Fach, und bemerke einige juristische Dissertationen, die sich höchst unberufener Weise in das Gebiet des Schönen geschlichen

gaben des Horaz, und gerade in der Stunde, die mich der Welt bescheerte, trat die Sonne in das Zeichen des Krebses. Was Wunder, daß die Theorie bei mir eine große Rolle gespielt, und daß jenes Gestirn oft meinen Lebensgang regiert hat?

Dem sei nun, wie ihm wolle: mir ist zuweilen unter solchen Umständen etwas recht Aergerliches begegnet. Meine Frau, die ich auf dem Wege nach Italien fand, lasse ich gelten; ich liebte sie herzlich, als ich sie nahm. Aber wie ging es mir mit dem berühmten Eßlair? Dieser große Künstler kam in unsere Stadt; Wallenstein war für den Abend angekündigt. Ich freute mich wie ein Kind, endlich einmal wieder aus würdigem Munde den goldenen Strom der Poesie rauschen hören zu dürfen. Dieser Abend, dachte ich, soll dir manches Dilettanten-Concert und viele gesellige Lustbarkeiten überstehen helfen. Unglücklicherweise fällt mir Nachmittags vier Uhr ein, daß Tieck in seinen dramaturgischen Blättern über den Künstler gesprochen hat. Ich greife nach dem Platze des Buches, es ist nicht da. Ich erinnere mich, es an Freund Emil verliehen zu haben. Der Bediente ward zu ihm gesandt und bringt nach drei Viertelstunden ein Billet: ich möge mich nur erinnern, daß ich das Verlangte schon vor drei Tagen zurück empfangen habe. Richtig, ich erinnere mich jetzt des Umstandes. Von Neuem durchsuche ich das ganze ästhetische Fach, und bemerke einige juristische Dissertationen, die sich höchst unberufener Weise in das Gebiet des Schönen geschlichen

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:19:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:19:09Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/11>, abgerufen am 25.04.2024.