Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Noch am letzten Abend vor der Abreise saß ich im Lampenlichte meines Arbeitszimmers und las an der letzten Nummer. Meine Frau trat herein, sah mir über die Schulter und sprach: Verdirb doch die Zeit nicht mit dem dummen Zeuge! -- Ich wußte nicht, was sie wollte. -- Das viele Reden und Plaudern von einem Schwanke ist mir ganz unausstehlich, sagte sie. Ich weiß gar nicht, wie die Leute darauf kommen, sich ihrer Fröhlichkeit halber zu rühmen, und das gar drucken zu lassen. Mir wird immer weinerlich zu Muthe, wenn ich Jemanden sagen höre: morgen will ich recht ausgelassen lustig sein. -- Ihr Frauen habt überhaupt keinen Sinn für dergleichen! fiel ich ihr ins Wort. -- Das mag wohl sein, erwiderte sie. Indessen sie wollte etwas hinzusetzen, ein spöttisches Lächeln schwebte um ihre Lippen, sie stockte, und sagte dann: Wer Lust hat, Geckenstreiche zu treiben, nun der treibe sie! Wer sie aber nicht aus dem Stegreife machen kann, der thäte besser, wie ich meine, in den letzten Tagen vor dem Aschermittwoch auch gesetzt und vernünftig zu bleiben, wie er es vorher war und nachher ist. Du kannst nicht glauben, wie sonderbar einem euer pedantisches Vergnügen vorkommt, wenn mm den Spektakel in Italien hat mit ansehen müssen.

Wir sind nun aber in Deutschland! rief ich aus, und wir leben im Zeitalter des Bewußtseins. Auch die Laune will sich selber anschauen, sich mit Klarheit genießen, sich... wie soll ich sagen? Sich....

Nun.... fragte sie lächelnd.

Noch am letzten Abend vor der Abreise saß ich im Lampenlichte meines Arbeitszimmers und las an der letzten Nummer. Meine Frau trat herein, sah mir über die Schulter und sprach: Verdirb doch die Zeit nicht mit dem dummen Zeuge! — Ich wußte nicht, was sie wollte. — Das viele Reden und Plaudern von einem Schwanke ist mir ganz unausstehlich, sagte sie. Ich weiß gar nicht, wie die Leute darauf kommen, sich ihrer Fröhlichkeit halber zu rühmen, und das gar drucken zu lassen. Mir wird immer weinerlich zu Muthe, wenn ich Jemanden sagen höre: morgen will ich recht ausgelassen lustig sein. — Ihr Frauen habt überhaupt keinen Sinn für dergleichen! fiel ich ihr ins Wort. — Das mag wohl sein, erwiderte sie. Indessen sie wollte etwas hinzusetzen, ein spöttisches Lächeln schwebte um ihre Lippen, sie stockte, und sagte dann: Wer Lust hat, Geckenstreiche zu treiben, nun der treibe sie! Wer sie aber nicht aus dem Stegreife machen kann, der thäte besser, wie ich meine, in den letzten Tagen vor dem Aschermittwoch auch gesetzt und vernünftig zu bleiben, wie er es vorher war und nachher ist. Du kannst nicht glauben, wie sonderbar einem euer pedantisches Vergnügen vorkommt, wenn mm den Spektakel in Italien hat mit ansehen müssen.

Wir sind nun aber in Deutschland! rief ich aus, und wir leben im Zeitalter des Bewußtseins. Auch die Laune will sich selber anschauen, sich mit Klarheit genießen, sich... wie soll ich sagen? Sich....

Nun.... fragte sie lächelnd.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0016"/>
        <p>Noch am letzten Abend vor der Abreise saß ich im Lampenlichte meines Arbeitszimmers und las      an der letzten Nummer. Meine Frau trat herein, sah mir über die Schulter und sprach: Verdirb      doch die Zeit nicht mit dem dummen Zeuge! &#x2014; Ich wußte nicht, was sie wollte. &#x2014; Das viele Reden      und Plaudern von einem Schwanke ist mir ganz unausstehlich, sagte sie. Ich weiß gar nicht, wie      die Leute darauf kommen, sich ihrer Fröhlichkeit halber zu rühmen, und das gar drucken zu      lassen. Mir wird immer weinerlich zu Muthe, wenn ich Jemanden sagen höre: morgen will ich recht      ausgelassen lustig sein. &#x2014; Ihr Frauen habt überhaupt keinen Sinn für dergleichen! fiel ich ihr      ins Wort. &#x2014; Das mag wohl sein, erwiderte sie. Indessen sie wollte etwas hinzusetzen, ein      spöttisches Lächeln schwebte um ihre Lippen, sie stockte, und sagte dann: Wer Lust hat,      Geckenstreiche zu treiben, nun der treibe sie! Wer sie aber nicht aus dem Stegreife machen      kann, der thäte besser, wie ich meine, in den letzten Tagen vor dem Aschermittwoch auch gesetzt      und vernünftig zu bleiben, wie er es vorher war und nachher ist. Du kannst nicht glauben, wie      sonderbar einem euer pedantisches Vergnügen vorkommt, wenn mm den Spektakel in Italien hat mit      ansehen müssen.</p><lb/>
        <p>Wir sind nun aber in Deutschland! rief ich aus, und wir leben im Zeitalter des Bewußtseins.      Auch die Laune will sich selber anschauen, sich mit Klarheit genießen, sich... wie soll ich      sagen? Sich....</p><lb/>
        <p>Nun.... fragte sie lächelnd.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0016] Noch am letzten Abend vor der Abreise saß ich im Lampenlichte meines Arbeitszimmers und las an der letzten Nummer. Meine Frau trat herein, sah mir über die Schulter und sprach: Verdirb doch die Zeit nicht mit dem dummen Zeuge! — Ich wußte nicht, was sie wollte. — Das viele Reden und Plaudern von einem Schwanke ist mir ganz unausstehlich, sagte sie. Ich weiß gar nicht, wie die Leute darauf kommen, sich ihrer Fröhlichkeit halber zu rühmen, und das gar drucken zu lassen. Mir wird immer weinerlich zu Muthe, wenn ich Jemanden sagen höre: morgen will ich recht ausgelassen lustig sein. — Ihr Frauen habt überhaupt keinen Sinn für dergleichen! fiel ich ihr ins Wort. — Das mag wohl sein, erwiderte sie. Indessen sie wollte etwas hinzusetzen, ein spöttisches Lächeln schwebte um ihre Lippen, sie stockte, und sagte dann: Wer Lust hat, Geckenstreiche zu treiben, nun der treibe sie! Wer sie aber nicht aus dem Stegreife machen kann, der thäte besser, wie ich meine, in den letzten Tagen vor dem Aschermittwoch auch gesetzt und vernünftig zu bleiben, wie er es vorher war und nachher ist. Du kannst nicht glauben, wie sonderbar einem euer pedantisches Vergnügen vorkommt, wenn mm den Spektakel in Italien hat mit ansehen müssen. Wir sind nun aber in Deutschland! rief ich aus, und wir leben im Zeitalter des Bewußtseins. Auch die Laune will sich selber anschauen, sich mit Klarheit genießen, sich... wie soll ich sagen? Sich.... Nun.... fragte sie lächelnd.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:19:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:19:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/16
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/16>, abgerufen am 28.03.2024.