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Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Drei Tage in Ems.

Als ich, eben auf dem Zimmer meines Gasthofs angelangt, mir den Reisestaub abschüttelte, meine Sachen ordnete und die Schatulle in die Commode schloß, erzählte mir der Kellner mit großer Geläufigkeit von den Neuigkeiten der Saison und nannte mir die Prinzen, Fürsten und Grafen her, welche sich um die Quelle versammelt hatten. Ich hörte im Nebenzimmer seufzen, und fragte den Burschen, wer da wohne? Die Somnambüle, flüsterte er mit geheimnißvoller Miene und sprang zur Stube hinaus, weil unten die Klingel neue Gäste verkündete.

Die Somnambüle? Ich hatte mit Interesse die Schriften über den Magnetismus gelesen, war indessen noch nie selbst in den Kreis jener Erscheinungen gedrungen, die, wie alles Geheimnißvolle, mich sehr anzogen. Ich horchte noch einigemal, ob nebenan wieder etwas laut werden wolle; jedoch vergebens. Um den Abend hinzubringen, ließ ich mir einen Esel vorführen, wie sie in großen Heerden dort zu Spazierritten gehalten werden, und zuckelte gemächlich auf meinem Thiere die Felsen an der Lahn in die Höhe. Oben auf einer wildwüsten Felsenplatte, von welcher ich zerklüftetes Gestein bis ins Thal verworren hinuntersteigen sah, hielt ich an und fragte meinen Treiber, wie dieser Ort heiße ? Die Bäderlei, versetzte er. Ich versenkte mich in die Gedanken, welche diese umbüschte Einsamkeit in mir hervorrief,

Drei Tage in Ems.

Als ich, eben auf dem Zimmer meines Gasthofs angelangt, mir den Reisestaub abschüttelte, meine Sachen ordnete und die Schatulle in die Commode schloß, erzählte mir der Kellner mit großer Geläufigkeit von den Neuigkeiten der Saison und nannte mir die Prinzen, Fürsten und Grafen her, welche sich um die Quelle versammelt hatten. Ich hörte im Nebenzimmer seufzen, und fragte den Burschen, wer da wohne? Die Somnambüle, flüsterte er mit geheimnißvoller Miene und sprang zur Stube hinaus, weil unten die Klingel neue Gäste verkündete.

Die Somnambüle? Ich hatte mit Interesse die Schriften über den Magnetismus gelesen, war indessen noch nie selbst in den Kreis jener Erscheinungen gedrungen, die, wie alles Geheimnißvolle, mich sehr anzogen. Ich horchte noch einigemal, ob nebenan wieder etwas laut werden wolle; jedoch vergebens. Um den Abend hinzubringen, ließ ich mir einen Esel vorführen, wie sie in großen Heerden dort zu Spazierritten gehalten werden, und zuckelte gemächlich auf meinem Thiere die Felsen an der Lahn in die Höhe. Oben auf einer wildwüsten Felsenplatte, von welcher ich zerklüftetes Gestein bis ins Thal verworren hinuntersteigen sah, hielt ich an und fragte meinen Treiber, wie dieser Ort heiße ? Die Bäderlei, versetzte er. Ich versenkte mich in die Gedanken, welche diese umbüschte Einsamkeit in mir hervorrief,

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[0019] Drei Tage in Ems. Als ich, eben auf dem Zimmer meines Gasthofs angelangt, mir den Reisestaub abschüttelte, meine Sachen ordnete und die Schatulle in die Commode schloß, erzählte mir der Kellner mit großer Geläufigkeit von den Neuigkeiten der Saison und nannte mir die Prinzen, Fürsten und Grafen her, welche sich um die Quelle versammelt hatten. Ich hörte im Nebenzimmer seufzen, und fragte den Burschen, wer da wohne? Die Somnambüle, flüsterte er mit geheimnißvoller Miene und sprang zur Stube hinaus, weil unten die Klingel neue Gäste verkündete. Die Somnambüle? Ich hatte mit Interesse die Schriften über den Magnetismus gelesen, war indessen noch nie selbst in den Kreis jener Erscheinungen gedrungen, die, wie alles Geheimnißvolle, mich sehr anzogen. Ich horchte noch einigemal, ob nebenan wieder etwas laut werden wolle; jedoch vergebens. Um den Abend hinzubringen, ließ ich mir einen Esel vorführen, wie sie in großen Heerden dort zu Spazierritten gehalten werden, und zuckelte gemächlich auf meinem Thiere die Felsen an der Lahn in die Höhe. Oben auf einer wildwüsten Felsenplatte, von welcher ich zerklüftetes Gestein bis ins Thal verworren hinuntersteigen sah, hielt ich an und fragte meinen Treiber, wie dieser Ort heiße ? Die Bäderlei, versetzte er. Ich versenkte mich in die Gedanken, welche diese umbüschte Einsamkeit in mir hervorrief,

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:19:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:19:09Z)

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/19>, abgerufen am 19.04.2024.