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Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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mein Blick sank zu den düsterumstarrten Gründen hinab, in welchen die Natur ihre Heilwunder bereitet, schon hatte sich das Thal vor den Strahlen der Abendsonne zugeschlossen; nur zu meiner Höhe drang noch ihr grauröthliches Licht.

Ich hörte Geräusch und Menschenstimmen hinter mir. Mich umwendend, sah ich Gesellschaft durch die Sträucher heraufklimmen. Eine Dame, ein Herr, beritten, gleich mir, neben ihnen die Treiber in ihren blauen Kitteln. Ich trat unwillkürlich dem Zuge einen Schritt näher, die Dame schlug die Augen auf; sie schien mich erst jetzt zu erblicken, und mit dem ängstlichheimlichen Rufe: Da steht er! warf sie sich von ihrem Thiere und verschwand für einen Augenblick hinter dem vorragenden Felsen. Ich hörte die Stimme ihres Begleiters, der sie zu trösten, zu beruhigen strebte: Fassen Sie sich, Comtesse, sagte er, das Mysterium behält Recht, er ist der Bestimmte. Sie sehen, er trägt einen blauen Frack und gestreifte Pantalons. -- Ich merkte, daß von mir die Rede war, wirklich trug ich einen blauen Frack und Pantalons von graugestreiftem Gingham.

Neugierig auf das, was folgen möchte, stand ich da. Der Begleiter kam auf die Platte und redete mich so an: Wollen Sie wohl die Gefälligkeit haben, der Dame, die bei Ihrem Anblicke so betroffen ist, einen kleinen Dienst zu erweisen? Sie helfen einer Leidenden, die vielleicht nur durch Ihre Güte hergestellt werden kann. Ich bejahte erstaunt, und er fuhr fort: Dann ist keine

mein Blick sank zu den düsterumstarrten Gründen hinab, in welchen die Natur ihre Heilwunder bereitet, schon hatte sich das Thal vor den Strahlen der Abendsonne zugeschlossen; nur zu meiner Höhe drang noch ihr grauröthliches Licht.

Ich hörte Geräusch und Menschenstimmen hinter mir. Mich umwendend, sah ich Gesellschaft durch die Sträucher heraufklimmen. Eine Dame, ein Herr, beritten, gleich mir, neben ihnen die Treiber in ihren blauen Kitteln. Ich trat unwillkürlich dem Zuge einen Schritt näher, die Dame schlug die Augen auf; sie schien mich erst jetzt zu erblicken, und mit dem ängstlichheimlichen Rufe: Da steht er! warf sie sich von ihrem Thiere und verschwand für einen Augenblick hinter dem vorragenden Felsen. Ich hörte die Stimme ihres Begleiters, der sie zu trösten, zu beruhigen strebte: Fassen Sie sich, Comtesse, sagte er, das Mysterium behält Recht, er ist der Bestimmte. Sie sehen, er trägt einen blauen Frack und gestreifte Pantalons. — Ich merkte, daß von mir die Rede war, wirklich trug ich einen blauen Frack und Pantalons von graugestreiftem Gingham.

Neugierig auf das, was folgen möchte, stand ich da. Der Begleiter kam auf die Platte und redete mich so an: Wollen Sie wohl die Gefälligkeit haben, der Dame, die bei Ihrem Anblicke so betroffen ist, einen kleinen Dienst zu erweisen? Sie helfen einer Leidenden, die vielleicht nur durch Ihre Güte hergestellt werden kann. Ich bejahte erstaunt, und er fuhr fort: Dann ist keine

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:19:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:19:09Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/20>, abgerufen am 29.03.2024.