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Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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meine Nähe doch nicht günstig wirken möge, wenigstens könne er nicht verantworten, mit einem Agens, dessen Bedeutung er noch nicht übersehe, frevelhaft weiter zu experimentiren. Ich mußte seine Besorgnisse ehren. Ich bat ihn, mir zu sagen, wann die Gräfin erwachen werde. Heute Nachmittag vier Uhr, versetzte er. -- So sehe ich sie denn nicht wieder! Sagen Sie ihr, daß ich sie innig bedaure, sagen Sie ihr, daß mir der Tag ein Festtag sein wird, an dem ich höre, daß es ihr wohl geht, daß sie von ihren Leiden befreit ist! -- Ja doch! Ja doch! antwortete der Arzt, ließ mir kaum Zeit, das abgelegte Metall wieder zu mir zu stecken, schob mich hinaus; hinter mir hörte ich den Riegel ins Schloß springen.

Verdrießlich, verworren ging ich -- nach der Bäderlei, meine Flasche unterm Rocke. Unterwegs fiel mir erst ein, daß, wenn ich vor dem Erwachen der Gräfin abreiste, ihr das Wasser nicht selbst reichte, dieses unschuldige Mittel ganz ohne Wirkung bleiben würde. Wer das Erste thut, darf das Zweite nicht lassen. Ich sagte dem Kellner, als ich heiß und müde von meiner Wallfahrt auf die Felsen zurückkehrte, er möge nur die Postpferde wieder abbestellen lassen. Der Mensch schüttelte den Kopf und sah mir lächelnd nach, wie ich mit meiner Wasserflasche die Treppe hinaufstieg. In meinem Zimmer war es mir zu eng zu ängstlich. Ich schämte

meine Nähe doch nicht günstig wirken möge, wenigstens könne er nicht verantworten, mit einem Agens, dessen Bedeutung er noch nicht übersehe, frevelhaft weiter zu experimentiren. Ich mußte seine Besorgnisse ehren. Ich bat ihn, mir zu sagen, wann die Gräfin erwachen werde. Heute Nachmittag vier Uhr, versetzte er. — So sehe ich sie denn nicht wieder! Sagen Sie ihr, daß ich sie innig bedaure, sagen Sie ihr, daß mir der Tag ein Festtag sein wird, an dem ich höre, daß es ihr wohl geht, daß sie von ihren Leiden befreit ist! — Ja doch! Ja doch! antwortete der Arzt, ließ mir kaum Zeit, das abgelegte Metall wieder zu mir zu stecken, schob mich hinaus; hinter mir hörte ich den Riegel ins Schloß springen.

Verdrießlich, verworren ging ich — nach der Bäderlei, meine Flasche unterm Rocke. Unterwegs fiel mir erst ein, daß, wenn ich vor dem Erwachen der Gräfin abreiste, ihr das Wasser nicht selbst reichte, dieses unschuldige Mittel ganz ohne Wirkung bleiben würde. Wer das Erste thut, darf das Zweite nicht lassen. Ich sagte dem Kellner, als ich heiß und müde von meiner Wallfahrt auf die Felsen zurückkehrte, er möge nur die Postpferde wieder abbestellen lassen. Der Mensch schüttelte den Kopf und sah mir lächelnd nach, wie ich mit meiner Wasserflasche die Treppe hinaufstieg. In meinem Zimmer war es mir zu eng zu ängstlich. Ich schämte

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[0037] meine Nähe doch nicht günstig wirken möge, wenigstens könne er nicht verantworten, mit einem Agens, dessen Bedeutung er noch nicht übersehe, frevelhaft weiter zu experimentiren. Ich mußte seine Besorgnisse ehren. Ich bat ihn, mir zu sagen, wann die Gräfin erwachen werde. Heute Nachmittag vier Uhr, versetzte er. — So sehe ich sie denn nicht wieder! Sagen Sie ihr, daß ich sie innig bedaure, sagen Sie ihr, daß mir der Tag ein Festtag sein wird, an dem ich höre, daß es ihr wohl geht, daß sie von ihren Leiden befreit ist! — Ja doch! Ja doch! antwortete der Arzt, ließ mir kaum Zeit, das abgelegte Metall wieder zu mir zu stecken, schob mich hinaus; hinter mir hörte ich den Riegel ins Schloß springen. Verdrießlich, verworren ging ich — nach der Bäderlei, meine Flasche unterm Rocke. Unterwegs fiel mir erst ein, daß, wenn ich vor dem Erwachen der Gräfin abreiste, ihr das Wasser nicht selbst reichte, dieses unschuldige Mittel ganz ohne Wirkung bleiben würde. Wer das Erste thut, darf das Zweite nicht lassen. Ich sagte dem Kellner, als ich heiß und müde von meiner Wallfahrt auf die Felsen zurückkehrte, er möge nur die Postpferde wieder abbestellen lassen. Der Mensch schüttelte den Kopf und sah mir lächelnd nach, wie ich mit meiner Wasserflasche die Treppe hinaufstieg. In meinem Zimmer war es mir zu eng zu ängstlich. Ich schämte

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:19:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:19:09Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/37>, abgerufen am 25.04.2024.