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Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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gehalten, von wo man den Hof übersehen könne. Er habe aber nichts Verdächtiges bemerkt. Der Baumgarten sei rings umschlossen. Nun, rief ich ungeduldig, ist sie etwa durch die Luft gereiset? -- Könnte wohl sein, versetzte er geheimnißvoll. Er sollte mir sagen, was er meine, war aber nicht zu bewegen, sich deutlicher zu erklären. Nein! rief er, bei solchen Sachen kann man sich in der Regel gar zu leicht das Maul verbrennen! Seines Aberwitzes müde, befahl ich ihm, die Visitation anzustellen. Wir durchsuchten Stunden lang Kisten und Kasten, Säckel und Taschen -- mein Geld blieb verschwunden. Gegen Abend traf ich in der großen Allee den Arzt, der mir gleich mit Feuer zurief: Nun, Sie haben Ihre Schatulle wiedergefunden! Ohne auf meine Erklärung, daß mir unter den obwaltenden Umständen der Fund nicht viel helfen könne, zu achten, überließ er sich seiner Ekstase über die Untrüglichkeit der Clairvoyance und wurde mir damit überaus lästig. Ich unterbrach ihn. Sie erwähnten, sagte ich, daß Sie ebenfalls Geld vermißt hätten. Haben Sie die Schlafende nicht nach dem Thäter befragt? -- Allerdings, versetzte der Arzt. Ihr Dieb und der meinige sind eine und dieselbe Person. Sie beschrieb ihn als einen starken, pockennarbigen, braungelben Mann. Als ich noch mehr wissen wollte, ist sie wieder erwacht. -- Ich machte mich von dem Magnetiseur los und ging meines Wegs. Jedes Menschengesicht ärgerte mich; das hatte ich nun von meinem Verweilen, Gehenlassen, Hingeben an Andre! Heute Morgen, als ich aufgestanden

gehalten, von wo man den Hof übersehen könne. Er habe aber nichts Verdächtiges bemerkt. Der Baumgarten sei rings umschlossen. Nun, rief ich ungeduldig, ist sie etwa durch die Luft gereiset? — Könnte wohl sein, versetzte er geheimnißvoll. Er sollte mir sagen, was er meine, war aber nicht zu bewegen, sich deutlicher zu erklären. Nein! rief er, bei solchen Sachen kann man sich in der Regel gar zu leicht das Maul verbrennen! Seines Aberwitzes müde, befahl ich ihm, die Visitation anzustellen. Wir durchsuchten Stunden lang Kisten und Kasten, Säckel und Taschen — mein Geld blieb verschwunden. Gegen Abend traf ich in der großen Allee den Arzt, der mir gleich mit Feuer zurief: Nun, Sie haben Ihre Schatulle wiedergefunden! Ohne auf meine Erklärung, daß mir unter den obwaltenden Umständen der Fund nicht viel helfen könne, zu achten, überließ er sich seiner Ekstase über die Untrüglichkeit der Clairvoyance und wurde mir damit überaus lästig. Ich unterbrach ihn. Sie erwähnten, sagte ich, daß Sie ebenfalls Geld vermißt hätten. Haben Sie die Schlafende nicht nach dem Thäter befragt? — Allerdings, versetzte der Arzt. Ihr Dieb und der meinige sind eine und dieselbe Person. Sie beschrieb ihn als einen starken, pockennarbigen, braungelben Mann. Als ich noch mehr wissen wollte, ist sie wieder erwacht. — Ich machte mich von dem Magnetiseur los und ging meines Wegs. Jedes Menschengesicht ärgerte mich; das hatte ich nun von meinem Verweilen, Gehenlassen, Hingeben an Andre! Heute Morgen, als ich aufgestanden

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:19:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:19:09Z)

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/41>, abgerufen am 28.03.2024.