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Jahn, Otto: Gottfried Herrmann. Eine Gedächnissrede. Leipzig, 1849.

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berühmten Mann, den konnte es wohl verlegen machen, dass so gar keine Gelegenheit war, ihm zu huldigen, dass er in seiner echten Bescheidenheit und Demuth gar nicht ahnte, mit welchem Gefühl der Ehrfurcht man an ihn herantrat. So einfach er war, so feind war er aller Formlosigkeit; was Anstand und Höflichkeit verlangten, übte er mit einem gewissen Pflichtgefühl; in seiner äusseren Erscheinung mit Zierlichkeit und Anmuth, in Formen, die zum Theil an die Zeit seiner Jugend erinnerten, aber der lebendige Ausdruck des herzlichen Wohlwollens waren, das sein ganzes Wesen beseelte und sich in den edlen Zügen seines Gesichtes aussprach, das nur, wenn das Schlechte und Gemeine ihm nahe kam, einen vernichtenden Ausdruck der tiefsten Verachtung annehmen konnte.

Die ungetrübte Gesundheit seines Geistes, die innere Einheit seines Gemüthes übten über seinen von Natur zarten Körper eine Macht aus, die durch die Einfachheit und Mässigkeit seines Lebens unterstützt wurde. Er ist selten ernsthaft krank gewesen, und körperliche Beschwerden, wie der ihn lange quälende Husten, überwand er durch Geduld und gestand ihnen keinen Einfluss auf seine Stimmung zu. Mitunter konnte er einer Neigung zu heroischen Selbstcuren nicht widerstehen, die er von seiner Mutter geerbt. So hatte er bei seinem Aufenthalt in Jena sich dadurch von einem furchtbaren Rheumatismus befreit, dass er in einem wohlgeheizten Zimmer Anfangs mit unsäglichen Schmerzen Schritt vor Schritt, dann immer rascher, über zwölf Stunden ohne auszuruhen auf und abging. Bis ins hohe Greisenalter blieb er körperlich rüstig, wie geistig frisch, er war wohl milder, aber nicht schwächer geworden; der rasche Gang, die Lebhaftigkeit aller Bewegungen, die kräftige Stimme, das glänzende Auge, Alles zeugte von frischer Kraft, und liess den Gedanken nicht wach werden, dass auch ihm sein Ziel gesetzt sei. Um so schmerzlicher war unsere Besorgniss, als ihn in den letzten Tagen des vergangnen Jahres ein Unwohlsein befiel, das bald ernstlich wurde und ein langes, schmerzenvolles Krankenlager befürchten lassen musste, das Gott gnädig abgewendet hat. Er selbst erkannte die Nähe seines Todes sogleich mit klarem Blick und sah ihm mit heiterer Ruhe entgegn. Er war zu gesund, um das Leben nicht zu lieben, das für ihn einen so reichen und reinen Gehalt darbot, aber er war bereit es hinzugeben. Seine einzige Sorge war die, die der Seinigen zu erleichtern. Mit unerschütterlicher Standhaftigkeit ertrug

berühmten Mann, den konnte es wohl verlegen machen, dass so gar keine Gelegenheit war, ihm zu huldigen, dass er in seiner echten Bescheidenheit und Demuth gar nicht ahnte, mit welchem Gefühl der Ehrfurcht man an ihn herantrat. So einfach er war, so feind war er aller Formlosigkeit; was Anstand und Höflichkeit verlangten, übte er mit einem gewissen Pflichtgefühl; in seiner äusseren Erscheinung mit Zierlichkeit und Anmuth, in Formen, die zum Theil an die Zeit seiner Jugend erinnerten, aber der lebendige Ausdruck des herzlichen Wohlwollens waren, das sein ganzes Wesen beseelte und sich in den edlen Zügen seines Gesichtes aussprach, das nur, wenn das Schlechte und Gemeine ihm nahe kam, einen vernichtenden Ausdruck der tiefsten Verachtung annehmen konnte.

Die ungetrübte Gesundheit seines Geistes, die innere Einheit seines Gemüthes übten über seinen von Natur zarten Körper eine Macht aus, die durch die Einfachheit und Mässigkeit seines Lebens unterstützt wurde. Er ist selten ernsthaft krank gewesen, und körperliche Beschwerden, wie der ihn lange quälende Husten, überwand er durch Geduld und gestand ihnen keinen Einfluss auf seine Stimmung zu. Mitunter konnte er einer Neigung zu heroischen Selbstcuren nicht widerstehen, die er von seiner Mutter geerbt. So hatte er bei seinem Aufenthalt in Jena sich dadurch von einem furchtbaren Rheumatismus befreit, dass er in einem wohlgeheizten Zimmer Anfangs mit unsäglichen Schmerzen Schritt vor Schritt, dann immer rascher, über zwölf Stunden ohne auszuruhen auf und abging. Bis ins hohe Greisenalter blieb er körperlich rüstig, wie geistig frisch, er war wohl milder, aber nicht schwächer geworden; der rasche Gang, die Lebhaftigkeit aller Bewegungen, die kräftige Stimme, das glänzende Auge, Alles zeugte von frischer Kraft, und liess den Gedanken nicht wach werden, dass auch ihm sein Ziel gesetzt sei. Um so schmerzlicher war unsere Besorgniss, als ihn in den letzten Tagen des vergangnen Jahres ein Unwohlsein befiel, das bald ernstlich wurde und ein langes, schmerzenvolles Krankenlager befürchten lassen musste, das Gott gnädig abgewendet hat. Er selbst erkannte die Nähe seines Todes sogleich mit klarem Blick und sah ihm mit heiterer Ruhe entgegn. Er war zu gesund, um das Leben nicht zu lieben, das für ihn einen so reichen und reinen Gehalt darbot, aber er war bereit es hinzugeben. Seine einzige Sorge war die, die der Seinigen zu erleichtern. Mit unerschütterlicher Standhaftigkeit ertrug

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berühmten Mann, den konnte es wohl verlegen machen, dass so gar keine Gelegenheit war, ihm zu huldigen, dass er in seiner echten Bescheidenheit und Demuth gar nicht ahnte, mit welchem Gefühl der Ehrfurcht man an ihn herantrat. So einfach er war, so feind war er aller Formlosigkeit; was Anstand und Höflichkeit verlangten, übte er mit einem gewissen Pflichtgefühl; in seiner äusseren Erscheinung mit Zierlichkeit und Anmuth, in Formen, die zum Theil an die Zeit seiner Jugend erinnerten, aber der lebendige Ausdruck des herzlichen Wohlwollens waren, das sein ganzes Wesen beseelte und sich in den edlen Zügen seines Gesichtes aussprach, das nur, wenn das Schlechte und Gemeine ihm nahe kam, einen vernichtenden Ausdruck der tiefsten Verachtung annehmen konnte.</p>
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[31/0031] berühmten Mann, den konnte es wohl verlegen machen, dass so gar keine Gelegenheit war, ihm zu huldigen, dass er in seiner echten Bescheidenheit und Demuth gar nicht ahnte, mit welchem Gefühl der Ehrfurcht man an ihn herantrat. So einfach er war, so feind war er aller Formlosigkeit; was Anstand und Höflichkeit verlangten, übte er mit einem gewissen Pflichtgefühl; in seiner äusseren Erscheinung mit Zierlichkeit und Anmuth, in Formen, die zum Theil an die Zeit seiner Jugend erinnerten, aber der lebendige Ausdruck des herzlichen Wohlwollens waren, das sein ganzes Wesen beseelte und sich in den edlen Zügen seines Gesichtes aussprach, das nur, wenn das Schlechte und Gemeine ihm nahe kam, einen vernichtenden Ausdruck der tiefsten Verachtung annehmen konnte. Die ungetrübte Gesundheit seines Geistes, die innere Einheit seines Gemüthes übten über seinen von Natur zarten Körper eine Macht aus, die durch die Einfachheit und Mässigkeit seines Lebens unterstützt wurde. Er ist selten ernsthaft krank gewesen, und körperliche Beschwerden, wie der ihn lange quälende Husten, überwand er durch Geduld und gestand ihnen keinen Einfluss auf seine Stimmung zu. Mitunter konnte er einer Neigung zu heroischen Selbstcuren nicht widerstehen, die er von seiner Mutter geerbt. So hatte er bei seinem Aufenthalt in Jena sich dadurch von einem furchtbaren Rheumatismus befreit, dass er in einem wohlgeheizten Zimmer Anfangs mit unsäglichen Schmerzen Schritt vor Schritt, dann immer rascher, über zwölf Stunden ohne auszuruhen auf und abging. Bis ins hohe Greisenalter blieb er körperlich rüstig, wie geistig frisch, er war wohl milder, aber nicht schwächer geworden; der rasche Gang, die Lebhaftigkeit aller Bewegungen, die kräftige Stimme, das glänzende Auge, Alles zeugte von frischer Kraft, und liess den Gedanken nicht wach werden, dass auch ihm sein Ziel gesetzt sei. Um so schmerzlicher war unsere Besorgniss, als ihn in den letzten Tagen des vergangnen Jahres ein Unwohlsein befiel, das bald ernstlich wurde und ein langes, schmerzenvolles Krankenlager befürchten lassen musste, das Gott gnädig abgewendet hat. Er selbst erkannte die Nähe seines Todes sogleich mit klarem Blick und sah ihm mit heiterer Ruhe entgegn. Er war zu gesund, um das Leben nicht zu lieben, das für ihn einen so reichen und reinen Gehalt darbot, aber er war bereit es hinzugeben. Seine einzige Sorge war die, die der Seinigen zu erleichtern. Mit unerschütterlicher Standhaftigkeit ertrug

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Zitationshilfe: Jahn, Otto: Gottfried Herrmann. Eine Gedächnissrede. Leipzig, 1849, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_rede_1849/31>, abgerufen am 29.03.2024.