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Jahn, Friedrich L.; Eiselen, Ernst W. B.: Die deutsche Turnkunst, zur Einrichtung der Turnplätze dargestellt. Berlin, 1816.

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Aber diese Sünde früherer leib- und liebloser Zeit wird
auch noch jetzt an jeglichem Menschen mehr oder min-
der heimgesucht. Darum ist die Turnkunst eine mensch-
heitliche Angelegenheit, die überall hingehört, wo sterbliche
Menschen das Erdreich bewohneu. Aber sie wird immer
wieder in ihrer besondern Gestalt und Ausübung recht
eigentlich ein vaterländisches Werk und volkthümliches
Wesen. Immer ist sie nur zeit- und volkgemäß zu trei-
ben, nach den Bedürfnissen von Himmel, Boden, Land
und Volk. Im Volk und Vaterland ist sie heimisch,
und bleibt mit ihnen immer im innigsten Bunde. Auch
gedeiht sie nur unter selbständigen Völkern, und gehört
auch nur für freie Leute. Der Sklavenleib ist für die
menschliche Seele nur ein Zwinger und Kerker.

Turnanstalten.

Jede Turnanstalt ist ein Tummelplatz leiblicher Kraft,
eine Erwerbschule mannlicher Ningfertigkeit, ein Wett-
plan der Ritterlichkeit, Erziehungsnachhülfe, Gesundheits-
pflege und öffentliche Wohlthat; sie ist Lehr- und Lern-
anstalt zugleich in einem stäten Wechselgetriebe. Zeigen,
Vormachen, Unterweisen, Selbstversuchen, Üben, Wettüben
und Weiterlehren folgen in einem Kreislauf. Die Turner
haben daher die Sache nicht von Hörensagen, sie haben kein
fliegendes Wort aufgefangen: sie haben das Werk erlebt,
eingelebt, versucht, geübt, geprüft, erprobt, erfahren und

mit

Aber dieſe Sünde früherer leib- und liebloſer Zeit wird
auch noch jetzt an jeglichem Menſchen mehr oder min-
der heimgeſucht. Darum iſt die Turnkunſt eine menſch-
heitliche Angelegenheit, die überall hingehört, wo ſterbliche
Menſchen das Erdreich bewohneu. Aber ſie wird immer
wieder in ihrer beſondern Geſtalt und Ausübung recht
eigentlich ein vaterländiſches Werk und volkthümliches
Weſen. Immer iſt ſie nur zeit- und volkgemäß zu trei-
ben, nach den Bedürfniſſen von Himmel, Boden, Land
und Volk. Im Volk und Vaterland iſt ſie heimiſch,
und bleibt mit ihnen immer im innigſten Bunde. Auch
gedeiht ſie nur unter ſelbſtändigen Völkern, und gehört
auch nur für freie Leute. Der Sklavenleib iſt für die
menſchliche Seele nur ein Zwinger und Kerker.

Turnanſtalten.

Jede Turnanſtalt iſt ein Tummelplatz leiblicher Kraft,
eine Erwerbſchule mannlicher Ningfertigkeit, ein Wett-
plan der Ritterlichkeit, Erziehungsnachhülfe, Geſundheits-
pflege und öffentliche Wohlthat; ſie iſt Lehr- und Lern-
anſtalt zugleich in einem ſtäten Wechſelgetriebe. Zeigen,
Vormachen, Unterweiſen, Selbſtverſuchen, Üben, Wettüben
und Weiterlehren folgen in einem Kreislauf. Die Turner
haben daher die Sache nicht von Hörenſagen, ſie haben kein
fliegendes Wort aufgefangen: ſie haben das Werk erlebt,
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[210/0280] Aber dieſe Sünde früherer leib- und liebloſer Zeit wird auch noch jetzt an jeglichem Menſchen mehr oder min- der heimgeſucht. Darum iſt die Turnkunſt eine menſch- heitliche Angelegenheit, die überall hingehört, wo ſterbliche Menſchen das Erdreich bewohneu. Aber ſie wird immer wieder in ihrer beſondern Geſtalt und Ausübung recht eigentlich ein vaterländiſches Werk und volkthümliches Weſen. Immer iſt ſie nur zeit- und volkgemäß zu trei- ben, nach den Bedürfniſſen von Himmel, Boden, Land und Volk. Im Volk und Vaterland iſt ſie heimiſch, und bleibt mit ihnen immer im innigſten Bunde. Auch gedeiht ſie nur unter ſelbſtändigen Völkern, und gehört auch nur für freie Leute. Der Sklavenleib iſt für die menſchliche Seele nur ein Zwinger und Kerker. Turnanſtalten. Jede Turnanſtalt iſt ein Tummelplatz leiblicher Kraft, eine Erwerbſchule mannlicher Ningfertigkeit, ein Wett- plan der Ritterlichkeit, Erziehungsnachhülfe, Geſundheits- pflege und öffentliche Wohlthat; ſie iſt Lehr- und Lern- anſtalt zugleich in einem ſtäten Wechſelgetriebe. Zeigen, Vormachen, Unterweiſen, Selbſtverſuchen, Üben, Wettüben und Weiterlehren folgen in einem Kreislauf. Die Turner haben daher die Sache nicht von Hörenſagen, ſie haben kein fliegendes Wort aufgefangen: ſie haben das Werk erlebt, eingelebt, verſucht, geübt, geprüft, erprobt, erfahren und mit

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Zitationshilfe: Jahn, Friedrich L.; Eiselen, Ernst W. B.: Die deutsche Turnkunst, zur Einrichtung der Turnplätze dargestellt. Berlin, 1816, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_turnkunst_1816/280>, abgerufen am 28.03.2024.