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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958.

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Noch etwas: was haben mit dem Rechte des Eigenthums die
Schwierigkeiten zu thun, es zu signieren und zu deklarieren? Die Frage
ist: was ist mein Eigenthum, und nicht: woran erkent es der andere,
daß es meines ist! -- Meiner Meinung nach sind nur 2 Fälle: der eine,
wenn ich auf einer Insel etc. allein bin, dan gehört alles mir -- bis 2) ein[27]5
zweiter kömt: mit diesem mus ich (das ausgenommen, was mein
Arbeitslohn ist) alles genau abtheilen *). Meine Priorität, mein
körperlicher Besiz und bisheriger Genus geben kein neues Recht, sondern
waren Genus eines alten: jezt aber red' ich mit dem zweiten die Zeichen
des doppelten Eigenthums ab, die vorher unnöthig waren und die man10
doch immer in die Bestandtheile desselben hineinzudefinieren sucht.
Der körperliche Besiz, die andere Form etc. sind solche wilkührliche
Zeichen und mehr nicht, die man dem Eigenthum eines Insulaners ver-
geblich aufdrükt.

Über das kantische Prinzip kan ich leider nur drei Worte heute15
sagen, von denen noch gut ist, wenn sie nicht blos 3 Laute sind. Die
Autonomie des Willens heist: er ist sein eignes Gesez, das Wollen ist
der Gegenstand des Wollens, er wil das Wollen. So wahr das ist, in-
sofern dadurch die Gegenstände der Begierde aus dem Gesichtskreise
des Willens geräumet werden: so bleiben doch noch andere Gegenstände,20
weil ein Wille eben so wenig seine eigne Richtung zum Gegenstand
seiner Richtung machen kan (das hiesse, der erste Wille sezte einen vor-
ersten voraus) als es eine Form ohne Materie geben kan oder ein
Sehen des Sehens. Auch könte dan die Möglichkeit einer entgegen-
[ge]sezten Autonomie nicht weggebracht werden. Die Richtung unserer25
praktischen Vernunft nach Algemeingesezlichkeit und nach der Achtung
für die Menschen als Zwecke, diese Richtung ist die Folge, aber nicht
die Erklärung dieser praktischen Vernunft -- ihr Sol, was sie von
der theoretischen unterscheidet, trent sie doch nicht von den Begierden,
deren Aeusserung nur ein eingeschränkteres bedingteres Sol ist. Kurz:30
die Bemerkung Platos -- die du mitten im Alwil findest in einer Note
-- daß die Begierde (nämlich das erstemal bei ihrer Geburt) den
Gegenstand kennen <ahnden> müsse, um ihn zu begehren (wobei freilich
das Verhältnis des Triebes zu seiner Nahrung, die er nie geschmekt,

*) Aus demselben Grunde, woraus der 2te ein Recht auf die Theilung der Be-35
dürfnisse
hat, hat ers auch auf die Theilung der Annehmlichkeiten.
3*

Noch etwas: was haben mit dem Rechte des Eigenthums die
Schwierigkeiten zu thun, es zu ſignieren und zu deklarieren? Die Frage
iſt: was iſt mein Eigenthum, und nicht: woran erkent es der andere,
daß es meines iſt! — Meiner Meinung nach ſind nur 2 Fälle: der eine,
wenn ich auf einer Inſel ꝛc. allein bin, dan gehört alles mir — bis 2) ein[27]5
zweiter kömt: mit dieſem mus ich (das ausgenommen, was mein
Arbeitslohn iſt) alles genau abtheilen *). Meine Priorität, mein
körperlicher Beſiz und bisheriger Genus geben kein neues Recht, ſondern
waren Genus eines alten: jezt aber red’ ich mit dem zweiten die Zeichen
des doppelten Eigenthums ab, die vorher unnöthig waren und die man10
doch immer in die Beſtandtheile deſſelben hineinzudefinieren ſucht.
Der körperliche Beſiz, die andere Form ꝛc. ſind ſolche wilkührliche
Zeichen und mehr nicht, die man dem Eigenthum eines Inſulaners ver-
geblich aufdrükt.

Über das kantiſche Prinzip kan ich leider nur drei Worte heute15
ſagen, von denen noch gut iſt, wenn ſie nicht blos 3 Laute ſind. Die
Autonomie des Willens heiſt: er iſt ſein eignes Geſez, das Wollen iſt
der Gegenſtand des Wollens, er wil das Wollen. So wahr das iſt, in-
ſofern dadurch die Gegenſtände der Begierde aus dem Geſichtskreiſe
des Willens geräumet werden: ſo bleiben doch noch andere Gegenſtände,20
weil ein Wille eben ſo wenig ſeine eigne Richtung zum Gegenſtand
ſeiner Richtung machen kan (das hieſſe, der erſte Wille ſezte einen vor-
erſten voraus) als es eine Form ohne Materie geben kan oder ein
Sehen des Sehens. Auch könte dan die Möglichkeit einer entgegen-
[ge]ſezten Autonomie nicht weggebracht werden. Die Richtung unſerer25
praktiſchen Vernunft nach Algemeingeſezlichkeit und nach der Achtung
für die Menſchen als Zwecke, dieſe Richtung iſt die Folge, aber nicht
die Erklärung dieſer praktiſchen Vernunft — ihr Sol, was ſie von
der theoretiſchen unterſcheidet, trent ſie doch nicht von den Begierden,
deren Aeuſſerung nur ein eingeſchränkteres bedingteres Sol iſt. Kurz:30
die Bemerkung Platos — die du mitten im Alwil findeſt in einer Note
— daß die Begierde (nämlich das erſtemal bei ihrer Geburt) den
Gegenſtand kennen <ahnden> müſſe, um ihn zu begehren (wobei freilich
das Verhältnis des Triebes zu ſeiner Nahrung, die er nie geſchmekt,

*) Aus demſelben Grunde, woraus der 2te ein Recht auf die Theilung der Be-35
dürfniſſe
hat, hat ers auch auf die Theilung der Annehmlichkeiten.
3*
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[35/0044] Noch etwas: was haben mit dem Rechte des Eigenthums die Schwierigkeiten zu thun, es zu ſignieren und zu deklarieren? Die Frage iſt: was iſt mein Eigenthum, und nicht: woran erkent es der andere, daß es meines iſt! — Meiner Meinung nach ſind nur 2 Fälle: der eine, wenn ich auf einer Inſel ꝛc. allein bin, dan gehört alles mir — bis 2) ein 5 zweiter kömt: mit dieſem mus ich (das ausgenommen, was mein Arbeitslohn iſt) alles genau abtheilen *). Meine Priorität, mein körperlicher Beſiz und bisheriger Genus geben kein neues Recht, ſondern waren Genus eines alten: jezt aber red’ ich mit dem zweiten die Zeichen des doppelten Eigenthums ab, die vorher unnöthig waren und die man 10 doch immer in die Beſtandtheile deſſelben hineinzudefinieren ſucht. Der körperliche Beſiz, die andere Form ꝛc. ſind ſolche wilkührliche Zeichen und mehr nicht, die man dem Eigenthum eines Inſulaners ver- geblich aufdrükt. [27] [FORMEL] Über das kantiſche Prinzip kan ich leider nur drei Worte heute 15 ſagen, von denen noch gut iſt, wenn ſie nicht blos 3 Laute ſind. Die Autonomie des Willens heiſt: er iſt ſein eignes Geſez, das Wollen iſt der Gegenſtand des Wollens, er wil das Wollen. So wahr das iſt, in- ſofern dadurch die Gegenſtände der Begierde aus dem Geſichtskreiſe des Willens geräumet werden: ſo bleiben doch noch andere Gegenſtände, 20 weil ein Wille eben ſo wenig ſeine eigne Richtung zum Gegenſtand ſeiner Richtung machen kan (das hieſſe, der erſte Wille ſezte einen vor- erſten voraus) als es eine Form ohne Materie geben kan oder ein Sehen des Sehens. Auch könte dan die Möglichkeit einer entgegen- [ge]ſezten Autonomie nicht weggebracht werden. Die Richtung unſerer 25 praktiſchen Vernunft nach Algemeingeſezlichkeit und nach der Achtung für die Menſchen als Zwecke, dieſe Richtung iſt die Folge, aber nicht die Erklärung dieſer praktiſchen Vernunft — ihr Sol, was ſie von der theoretiſchen unterſcheidet, trent ſie doch nicht von den Begierden, deren Aeuſſerung nur ein eingeſchränkteres bedingteres Sol iſt. Kurz: 30 die Bemerkung Platos — die du mitten im Alwil findeſt in einer Note — daß die Begierde (nämlich das erſtemal bei ihrer Geburt) den Gegenſtand kennen <ahnden> müſſe, um ihn zu begehren (wobei freilich das Verhältnis des Triebes zu ſeiner Nahrung, die er nie geſchmekt, *) Aus demſelben Grunde, woraus der 2te ein Recht auf die Theilung der Be- 35 dürfniſſe hat, hat ers auch auf die Theilung der Annehmlichkeiten. 3*

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:02:06Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:02:06Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/44>, abgerufen am 20.04.2024.