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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.

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1. An Christian Otto in Hof. [1]

Der Erstling meiner Briefe gehöret dem Erstling meiner Liebe, Dir.
Aber diesesmal erzähl ich mehr meine äussere Geschichte als meine
innere; und noch dazu ohne Extra-Wörter.5

Am lezten Sonabend entzog mich Plotho den Träumen der Ein-
samkeit: Nauendorf und sie war da. Am Sontage verlor Hof noch
das, was Tithon behielt, die Stimme: das Kirchengeläute warf mir
noch einige Laute der Vergangenheit nach. -- Für 12 rtl. (incl. des
Passagiergeldes) bin ich nach Gera geflogen wie nach Leipzig gewatet.10
Der blaue Engel in Schleiz und der schwarze Bär in Auma verdienen
verwechselte Namen: der Engel fras, der Bär sättigte mich.

Um 10 Uhr Dienstags schossen wir ins lachende Gera ein. Niemand
gefiel mir da mehr als der -- Hausknecht. Spangenberg ist der Mark-
zieher meiner Kraft und ich falle mat hin: ich mochte nicht mit ihm in15
die Bekkersche "Erholung". -- Buchhändler Heinsius speisete mich
abends wie der schwarze Bär -- Wein, Weiber und Gesang und ein
Nar sein Lebelang (D. Schmidt aus Jena) und ein Blinder, der meine
Verbeugung gar nicht erwiederte, waren da. Heinsius Frau (Schwester
Göschens) ist rundbackig, lebhaft, wizig und eine lebendige in einer20
chemise steckende Empfindung. Es war hübsch. Heinsius ist fein und
höflich.

Den andern Tag um 10 Uhr fuhr ich fort, um früher auf den Weg
zu kommen als der Regen. Der Fuhrman (noch freundlicher als sein[2]
Vor-Fahrer) nahm mit 8 rtl. gut Geld und meinen Nebenausgaben25
vorlieb. Überhaupt wust' ich es so zu machen, daß ich mit 40 rtl. pr. c.
meine ganze Reise abthat. Durch nichts lernt man mehr sparen als
wenn man verthut.

1 Jean Paul Briefe. III.
1. An Chriſtian Otto in Hof. [1]

Der Erſtling meiner Briefe gehöret dem Erſtling meiner Liebe, Dir.
Aber dieſesmal erzähl ich mehr meine äuſſere Geſchichte als meine
innere; und noch dazu ohne Extra-Wörter.5

Am lezten Sonabend entzog mich Plotho den Träumen der Ein-
ſamkeit: Nauendorf und ſie war da. Am Sontage verlor Hof noch
das, was Tithon behielt, die Stimme: das Kirchengeläute warf mir
noch einige Laute der Vergangenheit nach. — Für 12 rtl. (incl. des
Paſſagiergeldes) bin ich nach Gera geflogen wie nach Leipzig gewatet.10
Der blaue Engel in Schleiz und der ſchwarze Bär in Auma verdienen
verwechſelte Namen: der Engel fras, der Bär ſättigte mich.

Um 10 Uhr Dienſtags ſchoſſen wir ins lachende Gera ein. Niemand
gefiel mir da mehr als der — Hausknecht. Spangenberg iſt der Mark-
zieher meiner Kraft und ich falle mat hin: ich mochte nicht mit ihm in15
die Bekkerſche „Erholung“. — Buchhändler Heinſius ſpeiſete mich
abends wie der ſchwarze Bär — Wein, Weiber und Geſang und ein
Nar ſein Lebelang (D. Schmidt aus Jena) und ein Blinder, der meine
Verbeugung gar nicht erwiederte, waren da. Heinſius Frau (Schweſter
Göſchens) iſt rundbackig, lebhaft, wizig und eine lebendige in einer20
chemise ſteckende Empfindung. Es war hübſch. Heinſius iſt fein und
höflich.

Den andern Tag um 10 Uhr fuhr ich fort, um früher auf den Weg
zu kommen als der Regen. Der Fuhrman (noch freundlicher als ſein[2]
Vor-Fahrer) nahm mit 8 rtl. gut Geld und meinen Nebenausgaben25
vorlieb. Überhaupt wuſt’ ich es ſo zu machen, daß ich mit 40 rtl. pr. c.
meine ganze Reiſe abthat. Durch nichts lernt man mehr ſparen als
wenn man verthut.

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[1/0006] 1. An Chriſtian Otto in Hof. Leipzig d. 3 Okt. [vielmehr Nov.] 97 [Freitag]. Der Erſtling meiner Briefe gehöret dem Erſtling meiner Liebe, Dir. Aber dieſesmal erzähl ich mehr meine äuſſere Geſchichte als meine innere; und noch dazu ohne Extra-Wörter. 5 Am lezten Sonabend entzog mich Plotho den Träumen der Ein- ſamkeit: Nauendorf und ſie war da. Am Sontage verlor Hof noch das, was Tithon behielt, die Stimme: das Kirchengeläute warf mir noch einige Laute der Vergangenheit nach. — Für 12 rtl. (incl. des Paſſagiergeldes) bin ich nach Gera geflogen wie nach Leipzig gewatet. 10 Der blaue Engel in Schleiz und der ſchwarze Bär in Auma verdienen verwechſelte Namen: der Engel fras, der Bär ſättigte mich. Um 10 Uhr Dienſtags ſchoſſen wir ins lachende Gera ein. Niemand gefiel mir da mehr als der — Hausknecht. Spangenberg iſt der Mark- zieher meiner Kraft und ich falle mat hin: ich mochte nicht mit ihm in 15 die Bekkerſche „Erholung“. — Buchhändler Heinſius ſpeiſete mich abends wie der ſchwarze Bär — Wein, Weiber und Geſang und ein Nar ſein Lebelang (D. Schmidt aus Jena) und ein Blinder, der meine Verbeugung gar nicht erwiederte, waren da. Heinſius Frau (Schweſter Göſchens) iſt rundbackig, lebhaft, wizig und eine lebendige in einer 20 chemise ſteckende Empfindung. Es war hübſch. Heinſius iſt fein und höflich. Den andern Tag um 10 Uhr fuhr ich fort, um früher auf den Weg zu kommen als der Regen. Der Fuhrman (noch freundlicher als ſein Vor-Fahrer) nahm mit 8 rtl. gut Geld und meinen Nebenausgaben 25 vorlieb. Überhaupt wuſt’ ich es ſo zu machen, daß ich mit 40 rtl. pr. c. meine ganze Reiſe abthat. Durch nichts lernt man mehr ſparen als wenn man verthut. [2] 1 Jean Paul Briefe. III.

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:05:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:05:42Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 1. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/6>, abgerufen am 24.04.2024.