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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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A. Stellung des Indiv. Hausherrl. Gewalt. Das Haus. §. 32.
lichen Abgeschiedenheit und des rechtlichen Für-Sich-Seins
d. i. der rechtlichen Persönlichkeit ganz besonders wach
und rege. Nirgends empfindet die Persönlichkeit Verletzungen so
schwer, als hier; je mehr dieselben mit dem Frieden contrastiren,
den wir hier gewohnt sind zu finden, um so bitterer die Kränkung.

Diese Vorstellung von dem Frieden des Hauses hat in man-
chen Rechten in der gesetzlich anerkannten Unverletzlichkeit des
Hauses ihren Ausdruck gefunden, und so auch im ältern römi-
schen Recht. Zu dem oben ausgeführten Gesichtspunkt gesellte
sich für Rom noch ein anderer hinzu, der das römische Haus zu
einem Heiligthum im eigentlichen d. i. religiösen Sinn machte
und ihm den Charakter eines durch die Religion geschützten
Asyls verlieh. Das römische Haus nämlich wird nicht bloß
von Menschen bewohnt, sondern auch von Göttern, den Haus-
göttern. Den Hausherrn, ihren Priester, mit Gewalt aus sei-
nem Hause zu ziehen, wäre eine Versündigung gegen sie selbst
gewesen, und war daher durch das fas wie das jus gleichmäßig
untersagt. 206) Ja es war sogar zweifelhaft, ob man Jemanden
auch ohne alle Anwendung von Gewalt aus seiner Wohnung
vor Gericht fordern dürfe. 206a)

Haussuchungen schienen den Römern hiermit nicht in Wi-
derspruch zu stehen, denn es hatte nicht bloß in dem der dritten
Periode angehörigen Verfahren der quaestiones perpetuae 207)

206) Durch das fas s. die schöne Stelle von Cicero pro domo c. 41:
Quid est sanctius, quid omni religione munitius, quam domus uniuscu-
jusque civium? Hic arae sunt, hic foci, hic dii penates, hic sacra, reli-
giones, caeremoniae continentur. Hoc perfugium est ita sanctum, ut
inde abripi neminem fas sit.
Durch das jus: L. 18 de in jus voc. (2. 4.)
Plerique putaverunt nullum de domo sua in jus vocari licere, quia do-
mus tutissimum cuique refugium atque receptaculum sit eumque, qui
inde in jus vocaret, vim inferre videri. L. 21 ibid. Sed etsi qui domi est
interdum vocari in jus potest, tamen de domo sua nemo extrahi debet.
206a) S. die L. 18 in der vorhergehenden Note.
207) Geib, Geschichte des röm. Krim. Prozess. S. 354. Die Beispiele sind
aus Ciceros Zeit, aber nichts deutet darauf hin, daß es früher anders gewesen.

A. Stellung des Indiv. Hausherrl. Gewalt. Das Haus. §. 32.
lichen Abgeſchiedenheit und des rechtlichen Für-Sich-Seins
d. i. der rechtlichen Perſönlichkeit ganz beſonders wach
und rege. Nirgends empfindet die Perſönlichkeit Verletzungen ſo
ſchwer, als hier; je mehr dieſelben mit dem Frieden contraſtiren,
den wir hier gewohnt ſind zu finden, um ſo bitterer die Kränkung.

Dieſe Vorſtellung von dem Frieden des Hauſes hat in man-
chen Rechten in der geſetzlich anerkannten Unverletzlichkeit des
Hauſes ihren Ausdruck gefunden, und ſo auch im ältern römi-
ſchen Recht. Zu dem oben ausgeführten Geſichtspunkt geſellte
ſich für Rom noch ein anderer hinzu, der das römiſche Haus zu
einem Heiligthum im eigentlichen d. i. religiöſen Sinn machte
und ihm den Charakter eines durch die Religion geſchützten
Aſyls verlieh. Das römiſche Haus nämlich wird nicht bloß
von Menſchen bewohnt, ſondern auch von Göttern, den Haus-
göttern. Den Hausherrn, ihren Prieſter, mit Gewalt aus ſei-
nem Hauſe zu ziehen, wäre eine Verſündigung gegen ſie ſelbſt
geweſen, und war daher durch das fas wie das jus gleichmäßig
unterſagt. 206) Ja es war ſogar zweifelhaft, ob man Jemanden
auch ohne alle Anwendung von Gewalt aus ſeiner Wohnung
vor Gericht fordern dürfe. 206a)

Hausſuchungen ſchienen den Römern hiermit nicht in Wi-
derſpruch zu ſtehen, denn es hatte nicht bloß in dem der dritten
Periode angehörigen Verfahren der quaestiones perpetuae 207)

206) Durch das fas ſ. die ſchöne Stelle von Cicero pro domo c. 41:
Quid est sanctius, quid omni religione munitius, quam domus uniuscu-
jusque civium? Hic arae sunt, hic foci, hic dii penates, hic sacra, reli-
giones, caeremoniae continentur. Hoc perfugium est ita sanctum, ut
inde abripi neminem fas sit.
Durch das jus: L. 18 de in jus voc. (2. 4.)
Plerique putaverunt nullum de domo sua in jus vocari licere, quia do-
mus tutissimum cuique refugium atque receptaculum sit eumque, qui
inde in jus vocaret, vim inferre videri. L. 21 ibid. Sed etsi qui domi est
interdum vocari in jus potest, tamen de domo sua nemo extrahi debet.
206a) S. die L. 18 in der vorhergehenden Note.
207) Geib, Geſchichte des röm. Krim. Prozeſſ. S. 354. Die Beiſpiele ſind
aus Ciceros Zeit, aber nichts deutet darauf hin, daß es früher anders geweſen.
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[165/0179] A. Stellung des Indiv. Hausherrl. Gewalt. Das Haus. §. 32. lichen Abgeſchiedenheit und des rechtlichen Für-Sich-Seins d. i. der rechtlichen Perſönlichkeit ganz beſonders wach und rege. Nirgends empfindet die Perſönlichkeit Verletzungen ſo ſchwer, als hier; je mehr dieſelben mit dem Frieden contraſtiren, den wir hier gewohnt ſind zu finden, um ſo bitterer die Kränkung. Dieſe Vorſtellung von dem Frieden des Hauſes hat in man- chen Rechten in der geſetzlich anerkannten Unverletzlichkeit des Hauſes ihren Ausdruck gefunden, und ſo auch im ältern römi- ſchen Recht. Zu dem oben ausgeführten Geſichtspunkt geſellte ſich für Rom noch ein anderer hinzu, der das römiſche Haus zu einem Heiligthum im eigentlichen d. i. religiöſen Sinn machte und ihm den Charakter eines durch die Religion geſchützten Aſyls verlieh. Das römiſche Haus nämlich wird nicht bloß von Menſchen bewohnt, ſondern auch von Göttern, den Haus- göttern. Den Hausherrn, ihren Prieſter, mit Gewalt aus ſei- nem Hauſe zu ziehen, wäre eine Verſündigung gegen ſie ſelbſt geweſen, und war daher durch das fas wie das jus gleichmäßig unterſagt. 206) Ja es war ſogar zweifelhaft, ob man Jemanden auch ohne alle Anwendung von Gewalt aus ſeiner Wohnung vor Gericht fordern dürfe. 206a) Hausſuchungen ſchienen den Römern hiermit nicht in Wi- derſpruch zu ſtehen, denn es hatte nicht bloß in dem der dritten Periode angehörigen Verfahren der quaestiones perpetuae 207) 206) Durch das fas ſ. die ſchöne Stelle von Cicero pro domo c. 41: Quid est sanctius, quid omni religione munitius, quam domus uniuscu- jusque civium? Hic arae sunt, hic foci, hic dii penates, hic sacra, reli- giones, caeremoniae continentur. Hoc perfugium est ita sanctum, ut inde abripi neminem fas sit. Durch das jus: L. 18 de in jus voc. (2. 4.) Plerique putaverunt nullum de domo sua in jus vocari licere, quia do- mus tutissimum cuique refugium atque receptaculum sit eumque, qui inde in jus vocaret, vim inferre videri. L. 21 ibid. Sed etsi qui domi est interdum vocari in jus potest, tamen de domo sua nemo extrahi debet. 206a) S. die L. 18 in der vorhergehenden Note. 207) Geib, Geſchichte des röm. Krim. Prozeſſ. S. 354. Die Beiſpiele ſind aus Ciceros Zeit, aber nichts deutet darauf hin, daß es früher anders geweſen.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/179>, abgerufen am 28.03.2024.