Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite
A. Stellung d. Ind. Die Wohlfahrtsfrage. Quellen d. Pauperismus. §. 34.

Machen wir davon nun die Anwendung auf unsere vorlie-
gende Frage, so können wir uns selbst sagen, wie der durch die
Kriege veranlaßte Ausfall in der Aerndte wirken mußte. Die
Preise gingen sofort in unverhältnißmäßiger Weise in die Höhe,
die Reicheren, die allein im Stande gewesen wären, im größe-
ren Maßstabe Kornzufuhren zu bewerkstelligen und dadurch die
Preise herunterzudrücken, hatten ein Interesse daran, daß dies
nicht geschah, 366) denn gerade sie waren in dem Fall zu verkau-
fen und beuteten in jeder Weise die Conjunctur aus -- finan-
ziel und politisch. 367) Daher ihr Haß gegen den Sp. Mälius,

demselben Maße, als Rom seine Herrschaft erweiterte, und als damit der
Kornhandel an äußerer Sicherheit und geographischer Ausdehnung gewann,
eine größere Gleichmäßigkeit der Kornpreise ein, allein selbst auch noch für
diese Zeit weiß die Geschichte von auffallenden Schwankungen der Preise zu
berichten. Im Jahr 544 kostete nach Polyb. IX, 44 der Medimnus (6 Modii)
sicilischen Getraides in Rom 15 Denare, der Modius also, da der Denar
damals 16 As galt, 40 As. Sechs Jahre später war der römische Markt
dermaßen überfüllt (Liv. XXX. 38), daß den Schiffern die Ladung für die
Fracht überlassen ward. Der Satz, für den Sicilien den Römern das Korn
zu liefern hatte, war 3 und 4 Sefterzen für den Modius. Bei den öffentlichen
Getraidespenden ward der Modius für 1 As und darunter abgegeben (s. u.).
Von dem Aedilen C. Sejus, der bei einer Theurung diesen Preis innegehal-
ten, berichtet Cicero de off. II. 17, daß er keinen so sehr großen Schaden
dabei gehabt habe. Im Jahre 314 war einmal durch besondere Umstände
(Liv. IV. 12--16) der Marktpreis an drei aufeinander folgenden Markttagen
auf 1 As herabgedrückt (Plin. Hist. Nat. XVIII, 4), und ein ähnliches Fal-
len kam späterhin noch einige Male vor. S. Niebuhr röm. Gesch. B. 1.
Aufl. 4. S. 483.
366) Plin. Hist. nat. XVIII, 4 deutet auf ihren nachtheiligen Einfluß
in dieser Beziehung hin (latifundia) singulorum arcentium vicinos. Kein
Wunder, daß ein Zustand eintrat, der fast der Absperrung gleich kam. Liv. II.
34 caritas annonae ex incultis per secessionem agris, fames deinde,
qualis clausis foret.
367) Liv. IV. 12 .. regno prope per largitionis dulcedinem in cer-
vices accepto
. Darauf ging auch die Absicht des Coriolan. Liv. II, 34: si
annonam veterem volunt, jus pristinum reddant Patribus
. Um die zeit-
weise Nachgiebigkeit und politische Apathie der Plebs zu begreifen, darf man
den Einfluß dieses Zwangsmittels nicht außer Acht lassen.
A. Stellung d. Ind. Die Wohlfahrtsfrage. Quellen d. Pauperismus. §. 34.

Machen wir davon nun die Anwendung auf unſere vorlie-
gende Frage, ſo können wir uns ſelbſt ſagen, wie der durch die
Kriege veranlaßte Ausfall in der Aerndte wirken mußte. Die
Preiſe gingen ſofort in unverhältnißmäßiger Weiſe in die Höhe,
die Reicheren, die allein im Stande geweſen wären, im größe-
ren Maßſtabe Kornzufuhren zu bewerkſtelligen und dadurch die
Preiſe herunterzudrücken, hatten ein Intereſſe daran, daß dies
nicht geſchah, 366) denn gerade ſie waren in dem Fall zu verkau-
fen und beuteten in jeder Weiſe die Conjunctur aus — finan-
ziel und politiſch. 367) Daher ihr Haß gegen den Sp. Mälius,

demſelben Maße, als Rom ſeine Herrſchaft erweiterte, und als damit der
Kornhandel an äußerer Sicherheit und geographiſcher Ausdehnung gewann,
eine größere Gleichmäßigkeit der Kornpreiſe ein, allein ſelbſt auch noch für
dieſe Zeit weiß die Geſchichte von auffallenden Schwankungen der Preiſe zu
berichten. Im Jahr 544 koſtete nach Polyb. IX, 44 der Medimnus (6 Modii)
ſiciliſchen Getraides in Rom 15 Denare, der Modius alſo, da der Denar
damals 16 As galt, 40 As. Sechs Jahre ſpäter war der römiſche Markt
dermaßen überfüllt (Liv. XXX. 38), daß den Schiffern die Ladung für die
Fracht überlaſſen ward. Der Satz, für den Sicilien den Römern das Korn
zu liefern hatte, war 3 und 4 Sefterzen für den Modius. Bei den öffentlichen
Getraideſpenden ward der Modius für 1 As und darunter abgegeben (ſ. u.).
Von dem Aedilen C. Sejus, der bei einer Theurung dieſen Preis innegehal-
ten, berichtet Cicero de off. II. 17, daß er keinen ſo ſehr großen Schaden
dabei gehabt habe. Im Jahre 314 war einmal durch beſondere Umſtände
(Liv. IV. 12—16) der Marktpreis an drei aufeinander folgenden Markttagen
auf 1 As herabgedrückt (Plin. Hist. Nat. XVIII, 4), und ein ähnliches Fal-
len kam ſpäterhin noch einige Male vor. S. Niebuhr röm. Geſch. B. 1.
Aufl. 4. S. 483.
366) Plin. Hist. nat. XVIII, 4 deutet auf ihren nachtheiligen Einfluß
in dieſer Beziehung hin (latifundia) singulorum arcentium vicinos. Kein
Wunder, daß ein Zuſtand eintrat, der faſt der Abſperrung gleich kam. Liv. II.
34 caritas annonae ex incultis per secessionem agris, fames deinde,
qualis clausis foret.
367) Liv. IV. 12 .. regno prope per largitionis dulcedinem in cer-
vices accepto
. Darauf ging auch die Abſicht des Coriolan. Liv. II, 34: si
annonam veterem volunt, jus pristinum reddant Patribus
. Um die zeit-
weiſe Nachgiebigkeit und politiſche Apathie der Plebs zu begreifen, darf man
den Einfluß dieſes Zwangsmittels nicht außer Acht laſſen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <pb facs="#f0259" n="245"/>
                    <fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">A.</hi> Stellung d. Ind. Die Wohlfahrtsfrage. Quellen d. Pauperismus. §. 34.</fw><lb/>
                    <p>Machen wir davon nun die Anwendung auf un&#x017F;ere vorlie-<lb/>
gende Frage, &#x017F;o können wir uns &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;agen, wie der durch die<lb/>
Kriege veranlaßte Ausfall in der Aerndte wirken mußte. Die<lb/>
Prei&#x017F;e gingen &#x017F;ofort in unverhältnißmäßiger Wei&#x017F;e in die Höhe,<lb/>
die Reicheren, die allein im Stande gewe&#x017F;en wären, im größe-<lb/>
ren Maß&#x017F;tabe Kornzufuhren zu bewerk&#x017F;telligen und dadurch die<lb/>
Prei&#x017F;e herunterzudrücken, hatten ein Intere&#x017F;&#x017F;e daran, daß dies<lb/>
nicht ge&#x017F;chah, <note place="foot" n="366)"><hi rendition="#aq">Plin. Hist. nat. XVIII,</hi> 4 deutet auf ihren nachtheiligen Einfluß<lb/>
in die&#x017F;er Beziehung hin <hi rendition="#aq">(latifundia) singulorum arcentium vicinos.</hi> Kein<lb/>
Wunder, daß ein Zu&#x017F;tand eintrat, der fa&#x017F;t der Ab&#x017F;perrung gleich kam. <hi rendition="#aq">Liv. II.<lb/>
34 caritas annonae ex <hi rendition="#g">incultis</hi> per secessionem <hi rendition="#g">agris</hi>, fames deinde,<lb/><hi rendition="#g">qualis clausis foret</hi>.</hi></note> denn gerade &#x017F;ie waren in dem Fall zu verkau-<lb/>
fen und beuteten in jeder Wei&#x017F;e die Conjunctur aus &#x2014; finan-<lb/>
ziel und politi&#x017F;ch. <note place="foot" n="367)"><hi rendition="#aq">Liv. IV. 12 .. regno prope per largitionis dulcedinem in cer-<lb/>
vices accepto</hi>. Darauf ging auch die Ab&#x017F;icht des Coriolan. <hi rendition="#aq">Liv. II, 34: si<lb/>
annonam veterem volunt, jus pristinum reddant Patribus</hi>. Um die zeit-<lb/>
wei&#x017F;e Nachgiebigkeit und politi&#x017F;che Apathie der Plebs zu begreifen, darf man<lb/>
den Einfluß die&#x017F;es Zwangsmittels nicht außer Acht la&#x017F;&#x017F;en.</note> Daher ihr Haß gegen den Sp. Mälius,<lb/><note xml:id="seg2pn_36_2" prev="#seg2pn_36_1" place="foot" n="365)">dem&#x017F;elben Maße, als Rom &#x017F;eine Herr&#x017F;chaft erweiterte, und als damit der<lb/>
Kornhandel an äußerer Sicherheit und geographi&#x017F;cher Ausdehnung gewann,<lb/>
eine größere Gleichmäßigkeit der Kornprei&#x017F;e ein, allein &#x017F;elb&#x017F;t auch noch für<lb/>
die&#x017F;e Zeit weiß die Ge&#x017F;chichte von auffallenden Schwankungen der Prei&#x017F;e zu<lb/>
berichten. Im Jahr 544 ko&#x017F;tete nach <hi rendition="#aq">Polyb. IX,</hi> 44 der Medimnus (6 Modii)<lb/>
&#x017F;icili&#x017F;chen Getraides in Rom 15 Denare, der Modius al&#x017F;o, da der Denar<lb/>
damals 16 As galt, 40 As. Sechs Jahre &#x017F;päter war der römi&#x017F;che Markt<lb/>
dermaßen überfüllt (<hi rendition="#aq">Liv. XXX.</hi> 38), daß den Schiffern die Ladung für die<lb/>
Fracht überla&#x017F;&#x017F;en ward. Der Satz, für den Sicilien den Römern das Korn<lb/>
zu liefern hatte, war 3 und 4 Sefterzen für den Modius. Bei den öffentlichen<lb/>
Getraide&#x017F;penden ward der Modius für 1 As und darunter abgegeben (&#x017F;. u.).<lb/>
Von dem Aedilen C. Sejus, der bei einer Theurung die&#x017F;en Preis innegehal-<lb/>
ten, berichtet Cicero <hi rendition="#aq">de off. II.</hi> 17, daß er keinen &#x017F;o &#x017F;ehr großen Schaden<lb/>
dabei gehabt habe. Im Jahre 314 war einmal durch be&#x017F;ondere Um&#x017F;tände<lb/>
(<hi rendition="#aq">Liv. IV.</hi> 12&#x2014;16) der Marktpreis an drei aufeinander folgenden Markttagen<lb/>
auf 1 As herabgedrückt (<hi rendition="#aq">Plin. Hist. Nat. XVIII,</hi> 4), und ein ähnliches Fal-<lb/>
len kam &#x017F;päterhin noch einige Male vor. S. Niebuhr röm. Ge&#x017F;ch. B. 1.<lb/>
Aufl. 4. S. 483.</note><lb/></p>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[245/0259] A. Stellung d. Ind. Die Wohlfahrtsfrage. Quellen d. Pauperismus. §. 34. Machen wir davon nun die Anwendung auf unſere vorlie- gende Frage, ſo können wir uns ſelbſt ſagen, wie der durch die Kriege veranlaßte Ausfall in der Aerndte wirken mußte. Die Preiſe gingen ſofort in unverhältnißmäßiger Weiſe in die Höhe, die Reicheren, die allein im Stande geweſen wären, im größe- ren Maßſtabe Kornzufuhren zu bewerkſtelligen und dadurch die Preiſe herunterzudrücken, hatten ein Intereſſe daran, daß dies nicht geſchah, 366) denn gerade ſie waren in dem Fall zu verkau- fen und beuteten in jeder Weiſe die Conjunctur aus — finan- ziel und politiſch. 367) Daher ihr Haß gegen den Sp. Mälius, 365) 366) Plin. Hist. nat. XVIII, 4 deutet auf ihren nachtheiligen Einfluß in dieſer Beziehung hin (latifundia) singulorum arcentium vicinos. Kein Wunder, daß ein Zuſtand eintrat, der faſt der Abſperrung gleich kam. Liv. II. 34 caritas annonae ex incultis per secessionem agris, fames deinde, qualis clausis foret. 367) Liv. IV. 12 .. regno prope per largitionis dulcedinem in cer- vices accepto. Darauf ging auch die Abſicht des Coriolan. Liv. II, 34: si annonam veterem volunt, jus pristinum reddant Patribus. Um die zeit- weiſe Nachgiebigkeit und politiſche Apathie der Plebs zu begreifen, darf man den Einfluß dieſes Zwangsmittels nicht außer Acht laſſen. 365) demſelben Maße, als Rom ſeine Herrſchaft erweiterte, und als damit der Kornhandel an äußerer Sicherheit und geographiſcher Ausdehnung gewann, eine größere Gleichmäßigkeit der Kornpreiſe ein, allein ſelbſt auch noch für dieſe Zeit weiß die Geſchichte von auffallenden Schwankungen der Preiſe zu berichten. Im Jahr 544 koſtete nach Polyb. IX, 44 der Medimnus (6 Modii) ſiciliſchen Getraides in Rom 15 Denare, der Modius alſo, da der Denar damals 16 As galt, 40 As. Sechs Jahre ſpäter war der römiſche Markt dermaßen überfüllt (Liv. XXX. 38), daß den Schiffern die Ladung für die Fracht überlaſſen ward. Der Satz, für den Sicilien den Römern das Korn zu liefern hatte, war 3 und 4 Sefterzen für den Modius. Bei den öffentlichen Getraideſpenden ward der Modius für 1 As und darunter abgegeben (ſ. u.). Von dem Aedilen C. Sejus, der bei einer Theurung dieſen Preis innegehal- ten, berichtet Cicero de off. II. 17, daß er keinen ſo ſehr großen Schaden dabei gehabt habe. Im Jahre 314 war einmal durch beſondere Umſtände (Liv. IV. 12—16) der Marktpreis an drei aufeinander folgenden Markttagen auf 1 As herabgedrückt (Plin. Hist. Nat. XVIII, 4), und ein ähnliches Fal- len kam ſpäterhin noch einige Male vor. S. Niebuhr röm. Geſch. B. 1. Aufl. 4. S. 483.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/259
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/259>, abgerufen am 10.10.2024.