Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts.
derblich ward, davon lag der Grund nicht bloß in ihnen selbst, in ihrem gesunden Sinn und ihrer praktischen Natur, sondern in jenem Schutzmittel gegen alles unfruchtbare Grübeln: der nothgedrungenen unausgesetzten Thätigkeit. Spielereien kom- men nur da auf, wo es an ernsten Aufgaben fehlt.
Indem ich mich jetzt anschicke, dies obige Urtheil im Ein- zelnen zu begründen, muß ich, um das ganze Material an die- ser Stelle übersichtlich zusammenzustellen und andererseits nicht zu nutzloser Wiederholung genöthigt zu sein, den Leser ersuchen, die S. 511 und 512 anticipirten Belege als integrirenden Be- standtheil der gegenwärtigen Darstellung zu betrachten und einer abermaligen Lectüre zu unterziehen. Im übrigen werde ich meinen Stoff unter folgende drei Gesichtspunkte bringen:
1. Die Verbalformen.
2. Die juristische Syntax.
3. Das Gesetz der Correspondenz der Form.
1. Die Verbalformen.
Wenn uns aus einem heutigen Schriftstück juristischen In- halts, einem Gesetz, einer Verordnung, einem Urtheil, einer theoretischen Darstellung des Rechts, einem Contract, Testa- ment ein Bruchstück vorgelegt würde ohne Angabe seiner Quelle, wie schwer oder richtiger unmöglich würde es uns in den mei- sten Fällen sein, letztere aus der Sprache der Urkunde zu er- rathen. Die Sprache ist in fast allen diesen Darstellungen eine und dieselbe, ein Paragraph aus einem Gesetzbuch lautet nicht selten ganz so doctrinär wie einer aus einem Compendium, der Erlaß einer Verwaltungsbehörde wie ein Gesetz, eine Bestim- mung aus einem Testament wie aus einem Vertrage.
Würde uns dieselbe Aufgabe an einem derartigen Bruch- stück des römischen Alterthums gestellt, ein einziges Wort würde häufig zur Lösung derselben genügen. Ich meine natür- lich nicht die entscheidenden Worte, mit denen die Urkunde sich selbst charakterisirt, wie z. B. hac lege, placere Senatiui
Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
derblich ward, davon lag der Grund nicht bloß in ihnen ſelbſt, in ihrem geſunden Sinn und ihrer praktiſchen Natur, ſondern in jenem Schutzmittel gegen alles unfruchtbare Grübeln: der nothgedrungenen unausgeſetzten Thätigkeit. Spielereien kom- men nur da auf, wo es an ernſten Aufgaben fehlt.
Indem ich mich jetzt anſchicke, dies obige Urtheil im Ein- zelnen zu begründen, muß ich, um das ganze Material an die- ſer Stelle überſichtlich zuſammenzuſtellen und andererſeits nicht zu nutzloſer Wiederholung genöthigt zu ſein, den Leſer erſuchen, die S. 511 und 512 anticipirten Belege als integrirenden Be- ſtandtheil der gegenwärtigen Darſtellung zu betrachten und einer abermaligen Lectüre zu unterziehen. Im übrigen werde ich meinen Stoff unter folgende drei Geſichtspunkte bringen:
1. Die Verbalformen.
2. Die juriſtiſche Syntax.
3. Das Geſetz der Correſpondenz der Form.
1. Die Verbalformen.
Wenn uns aus einem heutigen Schriftſtück juriſtiſchen In- halts, einem Geſetz, einer Verordnung, einem Urtheil, einer theoretiſchen Darſtellung des Rechts, einem Contract, Teſta- ment ein Bruchſtück vorgelegt würde ohne Angabe ſeiner Quelle, wie ſchwer oder richtiger unmöglich würde es uns in den mei- ſten Fällen ſein, letztere aus der Sprache der Urkunde zu er- rathen. Die Sprache iſt in faſt allen dieſen Darſtellungen eine und dieſelbe, ein Paragraph aus einem Geſetzbuch lautet nicht ſelten ganz ſo doctrinär wie einer aus einem Compendium, der Erlaß einer Verwaltungsbehörde wie ein Geſetz, eine Beſtim- mung aus einem Teſtament wie aus einem Vertrage.
Würde uns dieſelbe Aufgabe an einem derartigen Bruch- ſtück des römiſchen Alterthums geſtellt, ein einziges Wort würde häufig zur Löſung derſelben genügen. Ich meine natür- lich nicht die entſcheidenden Worte, mit denen die Urkunde ſich ſelbſt charakteriſirt, wie z. B. hac lege, placere Senatiui
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Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
derblich ward, davon lag der Grund nicht bloß in ihnen ſelbſt,
in ihrem geſunden Sinn und ihrer praktiſchen Natur, ſondern
in jenem Schutzmittel gegen alles unfruchtbare Grübeln: der
nothgedrungenen unausgeſetzten Thätigkeit. Spielereien kom-
men nur da auf, wo es an ernſten Aufgaben fehlt.
Indem ich mich jetzt anſchicke, dies obige Urtheil im Ein-
zelnen zu begründen, muß ich, um das ganze Material an die-
ſer Stelle überſichtlich zuſammenzuſtellen und andererſeits nicht
zu nutzloſer Wiederholung genöthigt zu ſein, den Leſer erſuchen,
die S. 511 und 512 anticipirten Belege als integrirenden Be-
ſtandtheil der gegenwärtigen Darſtellung zu betrachten und
einer abermaligen Lectüre zu unterziehen. Im übrigen werde
ich meinen Stoff unter folgende drei Geſichtspunkte bringen:
1. Die Verbalformen.
2. Die juriſtiſche Syntax.
3. Das Geſetz der Correſpondenz der Form.
1. Die Verbalformen.
Wenn uns aus einem heutigen Schriftſtück juriſtiſchen In-
halts, einem Geſetz, einer Verordnung, einem Urtheil, einer
theoretiſchen Darſtellung des Rechts, einem Contract, Teſta-
ment ein Bruchſtück vorgelegt würde ohne Angabe ſeiner Quelle,
wie ſchwer oder richtiger unmöglich würde es uns in den mei-
ſten Fällen ſein, letztere aus der Sprache der Urkunde zu er-
rathen. Die Sprache iſt in faſt allen dieſen Darſtellungen eine
und dieſelbe, ein Paragraph aus einem Geſetzbuch lautet nicht
ſelten ganz ſo doctrinär wie einer aus einem Compendium, der
Erlaß einer Verwaltungsbehörde wie ein Geſetz, eine Beſtim-
mung aus einem Teſtament wie aus einem Vertrage.
Würde uns dieſelbe Aufgabe an einem derartigen Bruch-
ſtück des römiſchen Alterthums geſtellt, ein einziges Wort
würde häufig zur Löſung derſelben genügen. Ich meine natür-
lich nicht die entſcheidenden Worte, mit denen die Urkunde ſich
ſelbſt charakteriſirt, wie z. B. hac lege, placere Senatiui
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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 626. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/332>, abgerufen am 30.11.2023.
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