Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

B. Das Rechtsgeschäft. Concentration desselben. §. 53.
positiven Kraft des Nachtrages wollte selbst die spätere Juris-
prudenz trotz ihrer sonstigen Freiheit von den Traditionen der
alten Methode 190) sich nicht verstehen -- sicherlich nicht darum,
weil derselbe ihrem juristischen Auffassungsvermögen als et-
was Unmögliches erschienen wäre (wie etwa die Idee eines Nach-
zeugens), sondern weil sie eine solche Zersplitterung für praktisch
bedenklich hielt. Den einzigen mir bekannten Ausnahmsfall ent-
hält die act. de pecunia constituta des prätorischen Edicts; die
Ausnahme bestand aber nicht darin, daß das Constitutum die
ursprüngliche Schuld selbst modificirt hätte -- unter dieser Vor-
aussetzung hätte es verstattet sein müssen, den Inhalt des Con-
stitutums mit der ursprünglichen Contractsklage geltend zu
machen -- sondern darin, daß hier eine Accession zum Haupt-
vertrag als selbständiger Verpflichtungsgrund anerkannt ward.
Das Constitutum bietet uns demnach ein Seitenstück zu dem Co-
dicill; beide überheben der Mühe, eines einzelnen Zusatzes we-
gen das ganze Geschäft von neuem vorzunehmen. Daß die ältere
Jurisprudenz, selbst wenn sie den Begriff der Exception gekannt
hätte, den Zusatz-Verträgen nicht einmal die Wirkung einer Ex-
ception hätte zugestehen können, bedarf nicht erst der Bemerkung;
denn was hätte dies anders geheißen, als den Grundsatz der
Einheit der Handlung verläugnen?

Zwei Rechtsgeschäfte scheint aber dennoch das ältere Recht
gekannt zu haben, welche unserm Princip der Einheit des Akts
spotteten: die Emancipation und Adoption. Beide erforderten
nämlich statt eines einzigen Akts bei Söhnen sechs oder sieben,
bei Töchtern und Enkeln zwei Akte, die wiederum durch einen
längern Zwischenraum getrennt sein konnten. Womit es zusam-
men hing, daß beide Geschäfte durch dreimaligen oder einmaligen
Verkauf vorbereitet werden mußten, ist an früherer Stelle (B. 2

190) Eine solche Frage, wie die von Pomponius und Ulpian in L. 7 §. 6
cit.: si igitur in totum (abiri ab emtione) potest, cur non et pars ejus
pactione mutari potest?
wäre im Munde eines alten Juristen undenkbar ge-
wesen.

B. Das Rechtsgeſchäft. Concentration deſſelben. §. 53.
poſitiven Kraft des Nachtrages wollte ſelbſt die ſpätere Juris-
prudenz trotz ihrer ſonſtigen Freiheit von den Traditionen der
alten Methode 190) ſich nicht verſtehen — ſicherlich nicht darum,
weil derſelbe ihrem juriſtiſchen Auffaſſungsvermögen als et-
was Unmögliches erſchienen wäre (wie etwa die Idee eines Nach-
zeugens), ſondern weil ſie eine ſolche Zerſplitterung für praktiſch
bedenklich hielt. Den einzigen mir bekannten Ausnahmsfall ent-
hält die act. de pecunia constituta des prätoriſchen Edicts; die
Ausnahme beſtand aber nicht darin, daß das Conſtitutum die
urſprüngliche Schuld ſelbſt modificirt hätte — unter dieſer Vor-
ausſetzung hätte es verſtattet ſein müſſen, den Inhalt des Con-
ſtitutums mit der urſprünglichen Contractsklage geltend zu
machen — ſondern darin, daß hier eine Acceſſion zum Haupt-
vertrag als ſelbſtändiger Verpflichtungsgrund anerkannt ward.
Das Conſtitutum bietet uns demnach ein Seitenſtück zu dem Co-
dicill; beide überheben der Mühe, eines einzelnen Zuſatzes we-
gen das ganze Geſchäft von neuem vorzunehmen. Daß die ältere
Jurisprudenz, ſelbſt wenn ſie den Begriff der Exception gekannt
hätte, den Zuſatz-Verträgen nicht einmal die Wirkung einer Ex-
ception hätte zugeſtehen können, bedarf nicht erſt der Bemerkung;
denn was hätte dies anders geheißen, als den Grundſatz der
Einheit der Handlung verläugnen?

Zwei Rechtsgeſchäfte ſcheint aber dennoch das ältere Recht
gekannt zu haben, welche unſerm Princip der Einheit des Akts
ſpotteten: die Emancipation und Adoption. Beide erforderten
nämlich ſtatt eines einzigen Akts bei Söhnen ſechs oder ſieben,
bei Töchtern und Enkeln zwei Akte, die wiederum durch einen
längern Zwiſchenraum getrennt ſein konnten. Womit es zuſam-
men hing, daß beide Geſchäfte durch dreimaligen oder einmaligen
Verkauf vorbereitet werden mußten, iſt an früherer Stelle (B. 2

190) Eine ſolche Frage, wie die von Pomponius und Ulpian in L. 7 §. 6
cit.: si igitur in totum (abiri ab emtione) potest, cur non et pars ejus
pactione mutari potest?
wäre im Munde eines alten Juriſten undenkbar ge-
weſen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <div n="9">
                        <p><pb facs="#f0165" n="149"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">B.</hi> Das Rechtsge&#x017F;chäft. Concentration de&#x017F;&#x017F;elben. §. 53.</fw><lb/>
po&#x017F;itiven Kraft des Nachtrages wollte &#x017F;elb&#x017F;t die &#x017F;pätere Juris-<lb/>
prudenz trotz ihrer &#x017F;on&#x017F;tigen Freiheit von den Traditionen der<lb/>
alten Methode <note place="foot" n="190)">Eine &#x017F;olche Frage, wie die von Pomponius und Ulpian in <hi rendition="#aq">L. 7 §. 6<lb/>
cit.: si igitur in totum (abiri ab emtione) potest, cur non et <hi rendition="#g">pars</hi> ejus<lb/>
pactione mutari potest?</hi> wäre im Munde eines alten Juri&#x017F;ten undenkbar ge-<lb/>
we&#x017F;en.</note> &#x017F;ich nicht ver&#x017F;tehen &#x2014; &#x017F;icherlich nicht darum,<lb/>
weil der&#x017F;elbe ihrem <hi rendition="#g">juri&#x017F;ti&#x017F;chen</hi> Auffa&#x017F;&#x017F;ungsvermögen als et-<lb/>
was Unmögliches er&#x017F;chienen wäre (wie etwa die Idee eines <hi rendition="#g">Nach</hi>-<lb/>
zeugens), &#x017F;ondern weil &#x017F;ie eine &#x017F;olche Zer&#x017F;plitterung für prakti&#x017F;ch<lb/>
bedenklich hielt. Den einzigen mir bekannten Ausnahmsfall ent-<lb/>
hält die <hi rendition="#aq">act. de pecunia constituta</hi> des prätori&#x017F;chen Edicts; die<lb/>
Ausnahme be&#x017F;tand aber nicht darin, daß das Con&#x017F;titutum die<lb/>
ur&#x017F;prüngliche Schuld &#x017F;elb&#x017F;t modificirt hätte &#x2014; unter die&#x017F;er Vor-<lb/>
aus&#x017F;etzung hätte es ver&#x017F;tattet &#x017F;ein mü&#x017F;&#x017F;en, den Inhalt des Con-<lb/>
&#x017F;titutums mit der ur&#x017F;prünglichen Contractsklage geltend zu<lb/>
machen &#x2014; &#x017F;ondern darin, daß hier eine Acce&#x017F;&#x017F;ion zum Haupt-<lb/>
vertrag als &#x017F;elb&#x017F;tändiger Verpflichtungsgrund anerkannt ward.<lb/>
Das Con&#x017F;titutum bietet uns demnach ein Seiten&#x017F;tück zu dem Co-<lb/>
dicill; beide überheben der Mühe, eines einzelnen Zu&#x017F;atzes we-<lb/>
gen das ganze Ge&#x017F;chäft von neuem vorzunehmen. Daß die ältere<lb/>
Jurisprudenz, &#x017F;elb&#x017F;t wenn &#x017F;ie den Begriff der Exception gekannt<lb/>
hätte, den Zu&#x017F;atz-Verträgen nicht einmal die Wirkung einer Ex-<lb/>
ception hätte zuge&#x017F;tehen können, bedarf nicht er&#x017F;t der Bemerkung;<lb/>
denn was hätte dies anders geheißen, als den Grund&#x017F;atz der<lb/>
Einheit der Handlung verläugnen?</p><lb/>
                        <p><hi rendition="#g">Zwei</hi> Rechtsge&#x017F;chäfte &#x017F;cheint aber dennoch das ältere Recht<lb/>
gekannt zu haben, welche un&#x017F;erm Princip der Einheit des Akts<lb/>
&#x017F;potteten: die Emancipation und Adoption. Beide erforderten<lb/>
nämlich &#x017F;tatt eines einzigen Akts bei Söhnen &#x017F;echs oder &#x017F;ieben,<lb/>
bei Töchtern und Enkeln zwei Akte, die wiederum durch einen<lb/>
längern Zwi&#x017F;chenraum getrennt &#x017F;ein konnten. Womit es zu&#x017F;am-<lb/>
men hing, daß beide Ge&#x017F;chäfte durch dreimaligen oder einmaligen<lb/>
Verkauf vorbereitet werden mußten, i&#x017F;t an früherer Stelle (B. 2<lb/></p>
                      </div>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[149/0165] B. Das Rechtsgeſchäft. Concentration deſſelben. §. 53. poſitiven Kraft des Nachtrages wollte ſelbſt die ſpätere Juris- prudenz trotz ihrer ſonſtigen Freiheit von den Traditionen der alten Methode 190) ſich nicht verſtehen — ſicherlich nicht darum, weil derſelbe ihrem juriſtiſchen Auffaſſungsvermögen als et- was Unmögliches erſchienen wäre (wie etwa die Idee eines Nach- zeugens), ſondern weil ſie eine ſolche Zerſplitterung für praktiſch bedenklich hielt. Den einzigen mir bekannten Ausnahmsfall ent- hält die act. de pecunia constituta des prätoriſchen Edicts; die Ausnahme beſtand aber nicht darin, daß das Conſtitutum die urſprüngliche Schuld ſelbſt modificirt hätte — unter dieſer Vor- ausſetzung hätte es verſtattet ſein müſſen, den Inhalt des Con- ſtitutums mit der urſprünglichen Contractsklage geltend zu machen — ſondern darin, daß hier eine Acceſſion zum Haupt- vertrag als ſelbſtändiger Verpflichtungsgrund anerkannt ward. Das Conſtitutum bietet uns demnach ein Seitenſtück zu dem Co- dicill; beide überheben der Mühe, eines einzelnen Zuſatzes we- gen das ganze Geſchäft von neuem vorzunehmen. Daß die ältere Jurisprudenz, ſelbſt wenn ſie den Begriff der Exception gekannt hätte, den Zuſatz-Verträgen nicht einmal die Wirkung einer Ex- ception hätte zugeſtehen können, bedarf nicht erſt der Bemerkung; denn was hätte dies anders geheißen, als den Grundſatz der Einheit der Handlung verläugnen? Zwei Rechtsgeſchäfte ſcheint aber dennoch das ältere Recht gekannt zu haben, welche unſerm Princip der Einheit des Akts ſpotteten: die Emancipation und Adoption. Beide erforderten nämlich ſtatt eines einzigen Akts bei Söhnen ſechs oder ſieben, bei Töchtern und Enkeln zwei Akte, die wiederum durch einen längern Zwiſchenraum getrennt ſein konnten. Womit es zuſam- men hing, daß beide Geſchäfte durch dreimaligen oder einmaligen Verkauf vorbereitet werden mußten, iſt an früherer Stelle (B. 2 190) Eine ſolche Frage, wie die von Pomponius und Ulpian in L. 7 §. 6 cit.: si igitur in totum (abiri ab emtione) potest, cur non et pars ejus pactione mutari potest? wäre im Munde eines alten Juriſten undenkbar ge- weſen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/165
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/165>, abgerufen am 19.04.2024.