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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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Höhenpunkt der alten analyt. Kunst. §. 49.
heit des älteren Rechts hat, wie schon bemerkt, dem Flor der
analytischen Kunst großen Vorschub geleistet und wohl nie in der
Geschichte hat letztere selbst sich zu einer solchen Höhe der Vir-
tuosität erhoben und das Problem der Zersetzung des Rechts
nicht bloß so meisterhaft gelöst, sondern auch so anschaulich
gezeigt, als im alten römischen Recht. Namentlich diese letz-
tere Thatsache: das anschauliche Zeigen kann ich nicht genug
hervorheben. Es lassen sich Aufgaben vollkommen richtig lösen,
aber ohne daß ein Dritter in Stand gesetzt würde den Weg zu
erkennen, auf dem dies geschehen, und anderseits gibt es eine
Art der Lösung, bei der jeder Schritt zum Ziele gewissermaßen
vor den Augen der Zuschauer geschieht, das gewonnene Re-
sultat das Mittel, wodurch es gewonnen, noch mit sich führt.
In der letztern Weise löst im älteren Recht die analytische Me-
thode ihre Aufgabe. Wie unter einem durchsichtigen Glase das
Innere einer Maschine, so arbeitet sie unter unsern Augen,
gleich als ob der Mechanismus eigens zum Schulunterricht ver-
fertigt worden wäre (ich erinnere an die Bemerkung auf S. 10);
was anderwärts bloß auf dem Wege des innerlichen Denkens
vor sich geht, geschieht hier in Form einer sichtbaren äußerlichen
Einrichtung -- im alten Proceß sieht man das Rechtsverhältniß,
so zu sagen, unter das Schneidewerk gerathen, wodurch es zer-
setzt werden soll. Eben wegen dieser Sichtbarkeit der Procedur
will ich meine Darstellung mit dem Proceß beginnen. Dieselbe
würde sonst eigentlich folgenden Gang zu nehmen haben. Sie
müßte zuerst nachweisen, wie die Rechtsbegriffe geschieden
sind, und dann erst, wie das praktische Leben mit ihnen operirt.
Allein aus dem angegebenen Grunde schlage ich den entgegen-
gesetzten Weg ein, bei dem ich zuerst

I. Die concrete Analyse schildern will d. h. die analytische
Behandlung des concreten Rechtsverhältnisses
A. im Processe, und zwar
1. analytischer Mechanismus des Processes im all-
gemeinen (§. 50);

Höhenpunkt der alten analyt. Kunſt. §. 49.
heit des älteren Rechts hat, wie ſchon bemerkt, dem Flor der
analytiſchen Kunſt großen Vorſchub geleiſtet und wohl nie in der
Geſchichte hat letztere ſelbſt ſich zu einer ſolchen Höhe der Vir-
tuoſität erhoben und das Problem der Zerſetzung des Rechts
nicht bloß ſo meiſterhaft gelöſt, ſondern auch ſo anſchaulich
gezeigt, als im alten römiſchen Recht. Namentlich dieſe letz-
tere Thatſache: das anſchauliche Zeigen kann ich nicht genug
hervorheben. Es laſſen ſich Aufgaben vollkommen richtig löſen,
aber ohne daß ein Dritter in Stand geſetzt würde den Weg zu
erkennen, auf dem dies geſchehen, und anderſeits gibt es eine
Art der Löſung, bei der jeder Schritt zum Ziele gewiſſermaßen
vor den Augen der Zuſchauer geſchieht, das gewonnene Re-
ſultat das Mittel, wodurch es gewonnen, noch mit ſich führt.
In der letztern Weiſe löſt im älteren Recht die analytiſche Me-
thode ihre Aufgabe. Wie unter einem durchſichtigen Glaſe das
Innere einer Maſchine, ſo arbeitet ſie unter unſern Augen,
gleich als ob der Mechanismus eigens zum Schulunterricht ver-
fertigt worden wäre (ich erinnere an die Bemerkung auf S. 10);
was anderwärts bloß auf dem Wege des innerlichen Denkens
vor ſich geht, geſchieht hier in Form einer ſichtbaren äußerlichen
Einrichtung — im alten Proceß ſieht man das Rechtsverhältniß,
ſo zu ſagen, unter das Schneidewerk gerathen, wodurch es zer-
ſetzt werden ſoll. Eben wegen dieſer Sichtbarkeit der Procedur
will ich meine Darſtellung mit dem Proceß beginnen. Dieſelbe
würde ſonſt eigentlich folgenden Gang zu nehmen haben. Sie
müßte zuerſt nachweiſen, wie die Rechtsbegriffe geſchieden
ſind, und dann erſt, wie das praktiſche Leben mit ihnen operirt.
Allein aus dem angegebenen Grunde ſchlage ich den entgegen-
geſetzten Weg ein, bei dem ich zuerſt

I. Die concrete Analyſe ſchildern will d. h. die analytiſche
Behandlung des concreten Rechtsverhältniſſes
A. im Proceſſe, und zwar
1. analytiſcher Mechanismus des Proceſſes im all-
gemeinen (§. 50);
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[15/0031] Höhenpunkt der alten analyt. Kunſt. §. 49. heit des älteren Rechts hat, wie ſchon bemerkt, dem Flor der analytiſchen Kunſt großen Vorſchub geleiſtet und wohl nie in der Geſchichte hat letztere ſelbſt ſich zu einer ſolchen Höhe der Vir- tuoſität erhoben und das Problem der Zerſetzung des Rechts nicht bloß ſo meiſterhaft gelöſt, ſondern auch ſo anſchaulich gezeigt, als im alten römiſchen Recht. Namentlich dieſe letz- tere Thatſache: das anſchauliche Zeigen kann ich nicht genug hervorheben. Es laſſen ſich Aufgaben vollkommen richtig löſen, aber ohne daß ein Dritter in Stand geſetzt würde den Weg zu erkennen, auf dem dies geſchehen, und anderſeits gibt es eine Art der Löſung, bei der jeder Schritt zum Ziele gewiſſermaßen vor den Augen der Zuſchauer geſchieht, das gewonnene Re- ſultat das Mittel, wodurch es gewonnen, noch mit ſich führt. In der letztern Weiſe löſt im älteren Recht die analytiſche Me- thode ihre Aufgabe. Wie unter einem durchſichtigen Glaſe das Innere einer Maſchine, ſo arbeitet ſie unter unſern Augen, gleich als ob der Mechanismus eigens zum Schulunterricht ver- fertigt worden wäre (ich erinnere an die Bemerkung auf S. 10); was anderwärts bloß auf dem Wege des innerlichen Denkens vor ſich geht, geſchieht hier in Form einer ſichtbaren äußerlichen Einrichtung — im alten Proceß ſieht man das Rechtsverhältniß, ſo zu ſagen, unter das Schneidewerk gerathen, wodurch es zer- ſetzt werden ſoll. Eben wegen dieſer Sichtbarkeit der Procedur will ich meine Darſtellung mit dem Proceß beginnen. Dieſelbe würde ſonſt eigentlich folgenden Gang zu nehmen haben. Sie müßte zuerſt nachweiſen, wie die Rechtsbegriffe geſchieden ſind, und dann erſt, wie das praktiſche Leben mit ihnen operirt. Allein aus dem angegebenen Grunde ſchlage ich den entgegen- geſetzten Weg ein, bei dem ich zuerſt I. Die concrete Analyſe ſchildern will d. h. die analytiſche Behandlung des concreten Rechtsverhältniſſes A. im Proceſſe, und zwar 1. analytiſcher Mechanismus des Proceſſes im all- gemeinen (§. 50);

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/31>, abgerufen am 28.03.2024.