Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Buch. Zweiter Abschnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie.
Antwort, die im Grunde nur eine Beschreibung, die An-
gabe der äußern Erscheinung des Rechts enthält, können wir
uns aber für unsere Zwecke nicht begnügen. Die Antwort, die
uns Noth thut, muß das Innere des Rechts: sein Wesen
treffen, wenn sie uns sonst als Ausgangs- und Anhaltspunkt
für die folgenden Untersuchungen dienen soll.

Eine derartige Antwort müßte uns die Rechtsphilosophie
geben. Während Kant und seine Schule über die äußere Er-
scheinungsform des Rechts: den Zwang nicht hinausgekommen
ist,436) hat Hegel -- und sein Einfluß ist für die neuere posi-
tive Jurisprudenz bewußt oder unbewußt ein ganz entscheiden-
der geworden -- die Substanz des Rechts sowohl im objectiven
als subjectiven Sinn in den Willen gesetzt. Damit ist für das-
selbe nach beiden Seiten ein unläugbarer Fortschritt begründet,
aber in der Einseitigkeit seiner Verfolgung hat das Willensmo-
ment dennoch vom rechten Wege abgelenkt und nicht minder,
wie der Begriff des Zwanges, mit einem reinen Formalismus
des Rechtsbegriffs geendet. Die Bezeichnung des Rechts im
objectiven Sinn als des "allgemeinen Willens" gibt in formaler
Beziehung das Wesen desselben in einer Weise wieder, wie sie
nicht kürzer und treffender gedacht werden kann. Denn das
Wesen des Rechts, was immerhin auch seine Aufgabe, sein Ziel,
sein Inhalt sein möge, besteht in der Verwirklichung, die
Voraussetzung dazu aber ist die Macht, das Organ und der Trä-
ger der Macht aber der Wille. Erst durch ihn werden die Rechts-
gedanken -- die des Gesetzgebers im Gesetz, die des Volks
im Gewohnheitsrecht -- zu Rechtssätzen, zu wirklichem,

nitionen wechselt man einen Silberthaler gegen einen Papierthaler, man ist
ebensoweit wie vorher. Was ist Recht? "Befugniß zu handeln u. s. w."
Was ist Befugniß? "Recht zu handeln" -- da gibt man den Papierthaler
wieder zurück. Wer wechseln will, muß mir den Werth in einer andern
Münzsorte darstellen, wer definiren will, den Begriff in andern Begriffen.
436) Einleitung zu den Metaphys. Anfangsgründen der Rechtslehre:
"Recht und Befugniß zu zwingen bedeuten also einerlei."

Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie.
Antwort, die im Grunde nur eine Beſchreibung, die An-
gabe der äußern Erſcheinung des Rechts enthält, können wir
uns aber für unſere Zwecke nicht begnügen. Die Antwort, die
uns Noth thut, muß das Innere des Rechts: ſein Weſen
treffen, wenn ſie uns ſonſt als Ausgangs- und Anhaltspunkt
für die folgenden Unterſuchungen dienen ſoll.

Eine derartige Antwort müßte uns die Rechtsphiloſophie
geben. Während Kant und ſeine Schule über die äußere Er-
ſcheinungsform des Rechts: den Zwang nicht hinausgekommen
iſt,436) hat Hegel — und ſein Einfluß iſt für die neuere poſi-
tive Jurisprudenz bewußt oder unbewußt ein ganz entſcheiden-
der geworden — die Subſtanz des Rechts ſowohl im objectiven
als ſubjectiven Sinn in den Willen geſetzt. Damit iſt für daſ-
ſelbe nach beiden Seiten ein unläugbarer Fortſchritt begründet,
aber in der Einſeitigkeit ſeiner Verfolgung hat das Willensmo-
ment dennoch vom rechten Wege abgelenkt und nicht minder,
wie der Begriff des Zwanges, mit einem reinen Formalismus
des Rechtsbegriffs geendet. Die Bezeichnung des Rechts im
objectiven Sinn als des „allgemeinen Willens“ gibt in formaler
Beziehung das Weſen deſſelben in einer Weiſe wieder, wie ſie
nicht kürzer und treffender gedacht werden kann. Denn das
Weſen des Rechts, was immerhin auch ſeine Aufgabe, ſein Ziel,
ſein Inhalt ſein möge, beſteht in der Verwirklichung, die
Vorausſetzung dazu aber iſt die Macht, das Organ und der Trä-
ger der Macht aber der Wille. Erſt durch ihn werden die Rechts-
gedanken — die des Geſetzgebers im Geſetz, die des Volks
im Gewohnheitsrecht — zu Rechtsſätzen, zu wirklichem,

nitionen wechſelt man einen Silberthaler gegen einen Papierthaler, man iſt
ebenſoweit wie vorher. Was iſt Recht? „Befugniß zu handeln u. ſ. w.“
Was iſt Befugniß? „Recht zu handeln“ — da gibt man den Papierthaler
wieder zurück. Wer wechſeln will, muß mir den Werth in einer andern
Münzſorte darſtellen, wer definiren will, den Begriff in andern Begriffen.
436) Einleitung zu den Metaphyſ. Anfangsgründen der Rechtslehre:
„Recht und Befugniß zu zwingen bedeuten alſo einerlei.“
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0324" n="308"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Zweiter Ab&#x017F;chnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie.</fw><lb/>
Antwort, die im Grunde nur eine <hi rendition="#g">Be&#x017F;chreibung</hi>, die An-<lb/>
gabe der <hi rendition="#g">äußern</hi> Er&#x017F;cheinung des Rechts enthält, können wir<lb/>
uns aber für un&#x017F;ere Zwecke nicht begnügen. Die Antwort, die<lb/>
uns Noth thut, muß das Innere des Rechts: &#x017F;ein <hi rendition="#g">We&#x017F;en</hi><lb/>
treffen, wenn &#x017F;ie uns &#x017F;on&#x017F;t als Ausgangs- und Anhaltspunkt<lb/>
für die folgenden Unter&#x017F;uchungen dienen &#x017F;oll.</p><lb/>
                <p>Eine derartige Antwort müßte uns die Rechtsphilo&#x017F;ophie<lb/>
geben. Während <hi rendition="#g">Kant</hi> und &#x017F;eine Schule über die äußere Er-<lb/>
&#x017F;cheinungsform des Rechts: den <hi rendition="#g">Zwang</hi> nicht hinausgekommen<lb/>
i&#x017F;t,<note place="foot" n="436)">Einleitung zu den Metaphy&#x017F;. Anfangsgründen der Rechtslehre:<lb/>
&#x201E;Recht und Befugniß zu zwingen bedeuten al&#x017F;o einerlei.&#x201C;</note> hat <hi rendition="#g">Hegel</hi> &#x2014; und &#x017F;ein Einfluß i&#x017F;t für die neuere po&#x017F;i-<lb/>
tive Jurisprudenz bewußt oder unbewußt ein ganz ent&#x017F;cheiden-<lb/>
der geworden &#x2014; die Sub&#x017F;tanz des Rechts &#x017F;owohl im objectiven<lb/>
als &#x017F;ubjectiven Sinn in den Willen ge&#x017F;etzt. Damit i&#x017F;t für da&#x017F;-<lb/>
&#x017F;elbe nach beiden Seiten ein unläugbarer Fort&#x017F;chritt begründet,<lb/>
aber in der Ein&#x017F;eitigkeit &#x017F;einer Verfolgung hat das Willensmo-<lb/>
ment dennoch vom rechten Wege abgelenkt und nicht minder,<lb/>
wie der Begriff des Zwanges, mit einem reinen Formalismus<lb/>
des Rechtsbegriffs geendet. Die Bezeichnung des Rechts im<lb/>
objectiven Sinn als des &#x201E;allgemeinen Willens&#x201C; gibt in formaler<lb/>
Beziehung das We&#x017F;en de&#x017F;&#x017F;elben in einer Wei&#x017F;e wieder, wie &#x017F;ie<lb/>
nicht kürzer und treffender gedacht werden kann. Denn das<lb/>
We&#x017F;en des Rechts, was immerhin auch &#x017F;eine Aufgabe, &#x017F;ein Ziel,<lb/>
&#x017F;ein Inhalt &#x017F;ein möge, be&#x017F;teht in der <hi rendition="#g">Verwirklichung</hi>, die<lb/>
Voraus&#x017F;etzung dazu aber i&#x017F;t die Macht, das Organ und der Trä-<lb/>
ger der Macht aber der Wille. Er&#x017F;t durch ihn werden die Rechts-<lb/><hi rendition="#g">gedanken</hi> &#x2014; die des Ge&#x017F;etzgebers im Ge&#x017F;etz, die des Volks<lb/>
im Gewohnheitsrecht &#x2014; zu <hi rendition="#g">Rechts&#x017F;ätzen</hi>, zu wirklichem,<lb/><note xml:id="seg2pn_26_2" prev="#seg2pn_26_1" place="foot" n="435)">nitionen wech&#x017F;elt man einen Silberthaler gegen einen Papierthaler, man i&#x017F;t<lb/>
eben&#x017F;oweit wie vorher. Was i&#x017F;t Recht? &#x201E;<hi rendition="#g">Befugniß</hi> zu handeln u. &#x017F;. w.&#x201C;<lb/>
Was i&#x017F;t Befugniß? &#x201E;<hi rendition="#g">Recht</hi> zu handeln&#x201C; &#x2014; da gibt man den Papierthaler<lb/>
wieder zurück. Wer wech&#x017F;eln will, muß mir den Werth in einer andern<lb/>
Münz&#x017F;orte dar&#x017F;tellen, wer definiren will, den Begriff in andern Begriffen.</note><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[308/0324] Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie. Antwort, die im Grunde nur eine Beſchreibung, die An- gabe der äußern Erſcheinung des Rechts enthält, können wir uns aber für unſere Zwecke nicht begnügen. Die Antwort, die uns Noth thut, muß das Innere des Rechts: ſein Weſen treffen, wenn ſie uns ſonſt als Ausgangs- und Anhaltspunkt für die folgenden Unterſuchungen dienen ſoll. Eine derartige Antwort müßte uns die Rechtsphiloſophie geben. Während Kant und ſeine Schule über die äußere Er- ſcheinungsform des Rechts: den Zwang nicht hinausgekommen iſt, 436) hat Hegel — und ſein Einfluß iſt für die neuere poſi- tive Jurisprudenz bewußt oder unbewußt ein ganz entſcheiden- der geworden — die Subſtanz des Rechts ſowohl im objectiven als ſubjectiven Sinn in den Willen geſetzt. Damit iſt für daſ- ſelbe nach beiden Seiten ein unläugbarer Fortſchritt begründet, aber in der Einſeitigkeit ſeiner Verfolgung hat das Willensmo- ment dennoch vom rechten Wege abgelenkt und nicht minder, wie der Begriff des Zwanges, mit einem reinen Formalismus des Rechtsbegriffs geendet. Die Bezeichnung des Rechts im objectiven Sinn als des „allgemeinen Willens“ gibt in formaler Beziehung das Weſen deſſelben in einer Weiſe wieder, wie ſie nicht kürzer und treffender gedacht werden kann. Denn das Weſen des Rechts, was immerhin auch ſeine Aufgabe, ſein Ziel, ſein Inhalt ſein möge, beſteht in der Verwirklichung, die Vorausſetzung dazu aber iſt die Macht, das Organ und der Trä- ger der Macht aber der Wille. Erſt durch ihn werden die Rechts- gedanken — die des Geſetzgebers im Geſetz, die des Volks im Gewohnheitsrecht — zu Rechtsſätzen, zu wirklichem, 435) 436) Einleitung zu den Metaphyſ. Anfangsgründen der Rechtslehre: „Recht und Befugniß zu zwingen bedeuten alſo einerlei.“ 435) nitionen wechſelt man einen Silberthaler gegen einen Papierthaler, man iſt ebenſoweit wie vorher. Was iſt Recht? „Befugniß zu handeln u. ſ. w.“ Was iſt Befugniß? „Recht zu handeln“ — da gibt man den Papierthaler wieder zurück. Wer wechſeln will, muß mir den Werth in einer andern Münzſorte darſtellen, wer definiren will, den Begriff in andern Begriffen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/324
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/324>, abgerufen am 29.03.2024.