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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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Zweites Buch. Zweiter Abschnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie.
flexwirkung vor (§. 63), ein Verhältniß, das allerdings
mit dem Recht die größte Aehnlichkeit hat, aber um so sorgfäl-
tiger von ihm geschieden werden muß. Der Staat erläßt das
Gesetz in Wirklichkeit in seinem Interesse, welches hier freilich
mit dem der Fabrikanten ebenso Hand in Hand geht, wie bei
dem Legat, wodurch Jemand seiner Nichte für den Fall ihrer
Verheirathung eine Dos legirt, das der Legatarin und das
ihres Mannes. Sowenig wie letzterer einen rechtlichen An-
spruch auf Auszahlung des Legats erhält, ebensowenig die Fa-
brikanten auf Vollzug des Schutzzollgesetzes, die Anwendung
desselben ist von ihrem Wollen oder Nichtwollen völlig unab-
hängig, lediglich Sache der betreffenden Behörden. Ganz das-
selbe gilt für die Polizei- und Criminalgesetze.

Demnach kömmt zur Vervollständigung unseres Begriffs --
ich halte es für nöthig daran zu erinnern, daß ich hier bloß von
Privatrechten spreche -- noch das Moment hinzu, daß dem
Berechtigten selber der Schutz seines Interesses anvertraut ist,
daß er rücksichtlich dieses Schutzes nicht von der Gnade eines
Andern abhängig ist, sondern selber die Initiative ergreifen
kann. Diese Initiative ist nach römischem Recht die Klage,
d. h. die Anrufung des zur Gewährung dieses Schutzes ver-
pflichteten Civilrichters. Sonach läßt sich also das Recht
definiren als Selbstschutz des Interesses. Ob dieser
Schutz in eigner Person oder durch Stellvertreter, zu denen für
handlungsunfähige Personen auch die Vormünder gehören,
ausgeübt wird, verschlägt nichts, denn immer wird hier die
Klage erhoben im Namen des Berechtigten, und der Erfolg
derselben kömmt ihm zu gute.

Die Klage also ist das Kriterium der Privatrechte. Wo die
Klage anfängt unausführbar zu werden, hört die Möglichkeit
des civilrechtlichen Schutzes der Interessen auf, wird deren
Schutz Sache der Verwaltung, unausführbar aber wird sie
bei dem Punkt, wo die Bedingungen, an deren Dasein die
Möglichkeit richterlicher Entscheidung geknüpft ist: die ge-

Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie.
flexwirkung vor (§. 63), ein Verhältniß, das allerdings
mit dem Recht die größte Aehnlichkeit hat, aber um ſo ſorgfäl-
tiger von ihm geſchieden werden muß. Der Staat erläßt das
Geſetz in Wirklichkeit in ſeinem Intereſſe, welches hier freilich
mit dem der Fabrikanten ebenſo Hand in Hand geht, wie bei
dem Legat, wodurch Jemand ſeiner Nichte für den Fall ihrer
Verheirathung eine Dos legirt, das der Legatarin und das
ihres Mannes. Sowenig wie letzterer einen rechtlichen An-
ſpruch auf Auszahlung des Legats erhält, ebenſowenig die Fa-
brikanten auf Vollzug des Schutzzollgeſetzes, die Anwendung
deſſelben iſt von ihrem Wollen oder Nichtwollen völlig unab-
hängig, lediglich Sache der betreffenden Behörden. Ganz daſ-
ſelbe gilt für die Polizei- und Criminalgeſetze.

Demnach kömmt zur Vervollſtändigung unſeres Begriffs —
ich halte es für nöthig daran zu erinnern, daß ich hier bloß von
Privatrechten ſpreche — noch das Moment hinzu, daß dem
Berechtigten ſelber der Schutz ſeines Intereſſes anvertraut iſt,
daß er rückſichtlich dieſes Schutzes nicht von der Gnade eines
Andern abhängig iſt, ſondern ſelber die Initiative ergreifen
kann. Dieſe Initiative iſt nach römiſchem Recht die Klage,
d. h. die Anrufung des zur Gewährung dieſes Schutzes ver-
pflichteten Civilrichters. Sonach läßt ſich alſo das Recht
definiren als Selbſtſchutz des Intereſſes. Ob dieſer
Schutz in eigner Perſon oder durch Stellvertreter, zu denen für
handlungsunfähige Perſonen auch die Vormünder gehören,
ausgeübt wird, verſchlägt nichts, denn immer wird hier die
Klage erhoben im Namen des Berechtigten, und der Erfolg
derſelben kömmt ihm zu gute.

Die Klage alſo iſt das Kriterium der Privatrechte. Wo die
Klage anfängt unausführbar zu werden, hört die Möglichkeit
des civilrechtlichen Schutzes der Intereſſen auf, wird deren
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[328/0344] Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie. flexwirkung vor (§. 63), ein Verhältniß, das allerdings mit dem Recht die größte Aehnlichkeit hat, aber um ſo ſorgfäl- tiger von ihm geſchieden werden muß. Der Staat erläßt das Geſetz in Wirklichkeit in ſeinem Intereſſe, welches hier freilich mit dem der Fabrikanten ebenſo Hand in Hand geht, wie bei dem Legat, wodurch Jemand ſeiner Nichte für den Fall ihrer Verheirathung eine Dos legirt, das der Legatarin und das ihres Mannes. Sowenig wie letzterer einen rechtlichen An- ſpruch auf Auszahlung des Legats erhält, ebenſowenig die Fa- brikanten auf Vollzug des Schutzzollgeſetzes, die Anwendung deſſelben iſt von ihrem Wollen oder Nichtwollen völlig unab- hängig, lediglich Sache der betreffenden Behörden. Ganz daſ- ſelbe gilt für die Polizei- und Criminalgeſetze. Demnach kömmt zur Vervollſtändigung unſeres Begriffs — ich halte es für nöthig daran zu erinnern, daß ich hier bloß von Privatrechten ſpreche — noch das Moment hinzu, daß dem Berechtigten ſelber der Schutz ſeines Intereſſes anvertraut iſt, daß er rückſichtlich dieſes Schutzes nicht von der Gnade eines Andern abhängig iſt, ſondern ſelber die Initiative ergreifen kann. Dieſe Initiative iſt nach römiſchem Recht die Klage, d. h. die Anrufung des zur Gewährung dieſes Schutzes ver- pflichteten Civilrichters. Sonach läßt ſich alſo das Recht definiren als Selbſtſchutz des Intereſſes. Ob dieſer Schutz in eigner Perſon oder durch Stellvertreter, zu denen für handlungsunfähige Perſonen auch die Vormünder gehören, ausgeübt wird, verſchlägt nichts, denn immer wird hier die Klage erhoben im Namen des Berechtigten, und der Erfolg derſelben kömmt ihm zu gute. Die Klage alſo iſt das Kriterium der Privatrechte. Wo die Klage anfängt unausführbar zu werden, hört die Möglichkeit des civilrechtlichen Schutzes der Intereſſen auf, wird deren Schutz Sache der Verwaltung, unausführbar aber wird ſie bei dem Punkt, wo die Bedingungen, an deren Daſein die Möglichkeit richterlicher Entſcheidung geknüpft iſt: die ge-

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/344>, abgerufen am 23.04.2024.