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Kafka, Franz: Der Prozess (Hg. Max Brod). Berlin, 1925.

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die Frau. "Warum sollte keine Sitzung sein?" fragte er und wollte es nicht glauben. Aber die Frau überzeugte ihn, indem sie die Tür des Nebenzimmers öffnete. Es war wirklich leer und sah in seiner Leere noch kläglicher aus, als am letzten Sonntag. Auf dem Tisch, der unverändert auf dem Podium stand, lagen einige Bücher. "Kann ich mir die Bücher anschauen," fragte K., nicht aus besonderer Neugierde, sondern nur um nicht vollständig nutzlos hier gewesen zu sein. "Nein," sagte die Frau und schloß wieder die Tür, "das ist nicht erlaubt. Die Bücher gehören dem Untersuchungsrichter." "Ach so," sagte K. und nickte, "die Bücher sind wohl Gesetzbücher und es gehört zu der Art dieses Gerichtswesens, daß man nicht nur unschuldig, sondern auch unwissend verurteilt wird." "Es wird so sein," sagte die Frau, die ihn nicht genau verstanden hatte. "Nun, dann gehe ich wieder," sagte K. "Soll ich dem Untersuchungsrichter etwas melden?" fragte die Frau. "Sie kennen ihn?" fragte K. "Natürlich," sagte die Frau, "mein Mann ist ja Gerichtsdiener." Erst jetzt merkte K., daß das Zimmer, in dem letzthin nur ein Waschbottich gestanden war, jetzt ein

die Frau. „Warum sollte keine Sitzung sein?“ fragte er und wollte es nicht glauben. Aber die Frau überzeugte ihn, indem sie die Tür des Nebenzimmers öffnete. Es war wirklich leer und sah in seiner Leere noch kläglicher aus, als am letzten Sonntag. Auf dem Tisch, der unverändert auf dem Podium stand, lagen einige Bücher. „Kann ich mir die Bücher anschauen,“ fragte K., nicht aus besonderer Neugierde, sondern nur um nicht vollständig nutzlos hier gewesen zu sein. „Nein,“ sagte die Frau und schloß wieder die Tür, „das ist nicht erlaubt. Die Bücher gehören dem Untersuchungsrichter.“ „Ach so,“ sagte K. und nickte, „die Bücher sind wohl Gesetzbücher und es gehört zu der Art dieses Gerichtswesens, daß man nicht nur unschuldig, sondern auch unwissend verurteilt wird.“ „Es wird so sein,“ sagte die Frau, die ihn nicht genau verstanden hatte. „Nun, dann gehe ich wieder,“ sagte K. „Soll ich dem Untersuchungsrichter etwas melden?“ fragte die Frau. „Sie kennen ihn?“ fragte K. „Natürlich,“ sagte die Frau, „mein Mann ist ja Gerichtsdiener.“ Erst jetzt merkte K., daß das Zimmer, in dem letzthin nur ein Waschbottich gestanden war, jetzt ein

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[85/0087] die Frau. „Warum sollte keine Sitzung sein?“ fragte er und wollte es nicht glauben. Aber die Frau überzeugte ihn, indem sie die Tür des Nebenzimmers öffnete. Es war wirklich leer und sah in seiner Leere noch kläglicher aus, als am letzten Sonntag. Auf dem Tisch, der unverändert auf dem Podium stand, lagen einige Bücher. „Kann ich mir die Bücher anschauen,“ fragte K., nicht aus besonderer Neugierde, sondern nur um nicht vollständig nutzlos hier gewesen zu sein. „Nein,“ sagte die Frau und schloß wieder die Tür, „das ist nicht erlaubt. Die Bücher gehören dem Untersuchungsrichter.“ „Ach so,“ sagte K. und nickte, „die Bücher sind wohl Gesetzbücher und es gehört zu der Art dieses Gerichtswesens, daß man nicht nur unschuldig, sondern auch unwissend verurteilt wird.“ „Es wird so sein,“ sagte die Frau, die ihn nicht genau verstanden hatte. „Nun, dann gehe ich wieder,“ sagte K. „Soll ich dem Untersuchungsrichter etwas melden?“ fragte die Frau. „Sie kennen ihn?“ fragte K. „Natürlich,“ sagte die Frau, „mein Mann ist ja Gerichtsdiener.“ Erst jetzt merkte K., daß das Zimmer, in dem letzthin nur ein Waschbottich gestanden war, jetzt ein

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Zitationshilfe: Kafka, Franz: Der Prozess (Hg. Max Brod). Berlin, 1925, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kafka_prozess_1925/87>, abgerufen am 19.04.2024.