Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite
I. Th. II. B. II. Hauptst. Von der Dialectik
I.
Die Antinomie
der practischen Vernunft.

In dem höchsten für uns practischen, d. i. durch
unsern Willen wirklich zu machenden, Gute, werden Tu-
gend und Glückseligkeit als nothwendig verbunden ge-
dacht, so, daß das eine durch reine practische Vernunft
nicht angenommen werden kann, ohne daß das ande-
re auch zu ihm gehöre. Nun ist diese Verbin-
dung (wie eine jede überhaupt) entweder analytisch,
oder synthetisch. Da diese gegebene aber nicht
analytisch seyn kann, wie nur eben vorher gezeigt
worden, so muß sie synthetisch, und zwar als Ver-
knüpfung der Ursache mit der Wirkung gedacht wer-
den; weil sie ein practisches Gut, d. i. was durch Hand-
lung möglich ist, betrifft. Es muß also entweder die
Begierde nach Glückseligkeit die Bewegursache zu Ma-
ximen der Tugend, oder die Maxime der Tugend muß die
wirkende Ursache der Glückseligkeit seyn. Das erste ist
schlechterdings unmöglich; weil (wie in der Analytik
bewiesen worden) Maximen, die den Bestimmungs-
grund des Willens in dem Verlangen nach seiner Glück-
seligkeit setzen, gar nicht moralisch sind, und keine Tu-
gend gründen können. Das zweyte ist aber auch un-
möglich,
weil alle practische Verknüpfung der Ursachen
und der Wirkungen in der Welt, als Erfolg der Wil-

lens-
I. Th. II. B. II. Hauptſt. Von der Dialectik
I.
Die Antinomie
der practiſchen Vernunft.

In dem hoͤchſten fuͤr uns practiſchen, d. i. durch
unſern Willen wirklich zu machenden, Gute, werden Tu-
gend und Gluͤckſeligkeit als nothwendig verbunden ge-
dacht, ſo, daß das eine durch reine practiſche Vernunft
nicht angenommen werden kann, ohne daß das ande-
re auch zu ihm gehoͤre. Nun iſt dieſe Verbin-
dung (wie eine jede uͤberhaupt) entweder analytiſch,
oder ſynthetiſch. Da dieſe gegebene aber nicht
analytiſch ſeyn kann, wie nur eben vorher gezeigt
worden, ſo muß ſie ſynthetiſch, und zwar als Ver-
knuͤpfung der Urſache mit der Wirkung gedacht wer-
den; weil ſie ein practiſches Gut, d. i. was durch Hand-
lung moͤglich iſt, betrifft. Es muß alſo entweder die
Begierde nach Gluͤckſeligkeit die Bewegurſache zu Ma-
ximen der Tugend, oder die Maxime der Tugend muß die
wirkende Urſache der Gluͤckſeligkeit ſeyn. Das erſte iſt
ſchlechterdings unmoͤglich; weil (wie in der Analytik
bewieſen worden) Maximen, die den Beſtimmungs-
grund des Willens in dem Verlangen nach ſeiner Gluͤck-
ſeligkeit ſetzen, gar nicht moraliſch ſind, und keine Tu-
gend gruͤnden koͤnnen. Das zweyte iſt aber auch un-
moͤglich,
weil alle practiſche Verknuͤpfung der Urſachen
und der Wirkungen in der Welt, als Erfolg der Wil-

lens-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0212" n="204"/>
            <fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Th. <hi rendition="#aq">II.</hi> B. <hi rendition="#aq">II.</hi> Haupt&#x017F;t. Von der Dialectik</fw><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">I.</hi><lb/><hi rendition="#g">Die Antinomie</hi><lb/>
der practi&#x017F;chen Vernunft.</hi> </head><lb/>
              <p><hi rendition="#in">I</hi>n dem ho&#x0364;ch&#x017F;ten fu&#x0364;r uns practi&#x017F;chen, d. i. durch<lb/>
un&#x017F;ern Willen wirklich zu machenden, Gute, werden Tu-<lb/>
gend und Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit als nothwendig verbunden ge-<lb/>
dacht, &#x017F;o, daß das eine durch reine practi&#x017F;che Vernunft<lb/>
nicht angenommen werden kann, ohne daß das ande-<lb/>
re auch zu ihm geho&#x0364;re. Nun i&#x017F;t die&#x017F;e Verbin-<lb/>
dung (wie eine jede u&#x0364;berhaupt) entweder <hi rendition="#fr">analyti&#x017F;ch,</hi><lb/>
oder <hi rendition="#fr">&#x017F;yntheti&#x017F;ch.</hi> Da die&#x017F;e gegebene aber nicht<lb/>
analyti&#x017F;ch &#x017F;eyn kann, wie nur eben vorher gezeigt<lb/>
worden, &#x017F;o muß &#x017F;ie &#x017F;yntheti&#x017F;ch, und zwar als Ver-<lb/>
knu&#x0364;pfung der Ur&#x017F;ache mit der Wirkung gedacht wer-<lb/>
den; weil &#x017F;ie ein practi&#x017F;ches Gut, d. i. was durch Hand-<lb/>
lung mo&#x0364;glich i&#x017F;t, betrifft. Es muß al&#x017F;o entweder die<lb/>
Begierde nach Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit die Bewegur&#x017F;ache zu Ma-<lb/>
ximen der Tugend, oder die Maxime der Tugend muß die<lb/>
wirkende Ur&#x017F;ache der Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit &#x017F;eyn. Das er&#x017F;te i&#x017F;t<lb/><hi rendition="#fr">&#x017F;chlechterdings</hi> unmo&#x0364;glich; weil (wie in der Analytik<lb/>
bewie&#x017F;en worden) Maximen, die den Be&#x017F;timmungs-<lb/>
grund des Willens in dem Verlangen nach &#x017F;einer Glu&#x0364;ck-<lb/>
&#x017F;eligkeit &#x017F;etzen, gar nicht morali&#x017F;ch &#x017F;ind, und keine Tu-<lb/>
gend gru&#x0364;nden ko&#x0364;nnen. Das zweyte i&#x017F;t aber <hi rendition="#fr">auch un-<lb/>
mo&#x0364;glich,</hi> weil alle practi&#x017F;che Verknu&#x0364;pfung der Ur&#x017F;achen<lb/>
und der Wirkungen in der Welt, als Erfolg der Wil-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">lens-</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[204/0212] I. Th. II. B. II. Hauptſt. Von der Dialectik I. Die Antinomie der practiſchen Vernunft. In dem hoͤchſten fuͤr uns practiſchen, d. i. durch unſern Willen wirklich zu machenden, Gute, werden Tu- gend und Gluͤckſeligkeit als nothwendig verbunden ge- dacht, ſo, daß das eine durch reine practiſche Vernunft nicht angenommen werden kann, ohne daß das ande- re auch zu ihm gehoͤre. Nun iſt dieſe Verbin- dung (wie eine jede uͤberhaupt) entweder analytiſch, oder ſynthetiſch. Da dieſe gegebene aber nicht analytiſch ſeyn kann, wie nur eben vorher gezeigt worden, ſo muß ſie ſynthetiſch, und zwar als Ver- knuͤpfung der Urſache mit der Wirkung gedacht wer- den; weil ſie ein practiſches Gut, d. i. was durch Hand- lung moͤglich iſt, betrifft. Es muß alſo entweder die Begierde nach Gluͤckſeligkeit die Bewegurſache zu Ma- ximen der Tugend, oder die Maxime der Tugend muß die wirkende Urſache der Gluͤckſeligkeit ſeyn. Das erſte iſt ſchlechterdings unmoͤglich; weil (wie in der Analytik bewieſen worden) Maximen, die den Beſtimmungs- grund des Willens in dem Verlangen nach ſeiner Gluͤck- ſeligkeit ſetzen, gar nicht moraliſch ſind, und keine Tu- gend gruͤnden koͤnnen. Das zweyte iſt aber auch un- moͤglich, weil alle practiſche Verknuͤpfung der Urſachen und der Wirkungen in der Welt, als Erfolg der Wil- lens-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/212
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/212>, abgerufen am 28.03.2024.