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Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788.

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der reinen practischen Vernunft.
he sie vor mir und verknüpfe sie unmittelbar mit dem
Bewußtseyn meiner Existenz. Das erste fängt von dem
Platze an, den ich in der äußern Sinnenwelt einnehme,
und erweitert die Verknüpfung, darin ich stehe, ins
unabsehlich-Große mit Welten über Welten und Sy-
stemen von Systemen, überdem noch in grenzenlose Zei-
ten ihrer periodischen Bewegung, deren Anfang und
Fortdauer. Das zweyte fängt von meinem unsichtbaren
Selbst, meiner Persönlichkeit, an, und stellt mich in
einer Welt dar, die wahre Unendlichkeit hat, aber nur
dem Verstande spürbar ist, und mit welcher (dadurch
aber auch zugleich mit allen jenen sichtbaren Welten)
ich mich, nicht wie dort, in blos zufälliger, sondern
allgemeiner und nothwendiger Verknüpfung erkenne.
Der erstere Anblick einer zahllosen Weltenmenge vernich-
tet gleichsam meine Wichtigkeit, als eines thierischen
Geschöpfs,
das die Materie, daraus es ward, dem
Planeten (einem bloßen Punct im Weltall) wieder zu-
rückgeben muß, nachdem es eine kurze Zeit (man
weiß nicht wie) mit Lebenskraft versehen gewesen. Der
zweyte erhebt dagegen meinen Werth, als einer Intel-
ligenz,
unendlich, durch meine Persönlichkeit, in wel-
cher das moralische Gesetz mir ein von der Thierheit
und selbst von der ganzen Sinnenwelt unabhängiges Le-
ben offenbart, wenigstens so viel sich aus der zweck-
mäßigen Bestimmung meines Daseyns durch dieses Gesetz,
welche nicht auf Bedingungen und Grenzen dieses Lebens

ein-
Kants Crit. d pract Vern. T

der reinen practiſchen Vernunft.
he ſie vor mir und verknuͤpfe ſie unmittelbar mit dem
Bewußtſeyn meiner Exiſtenz. Das erſte faͤngt von dem
Platze an, den ich in der aͤußern Sinnenwelt einnehme,
und erweitert die Verknuͤpfung, darin ich ſtehe, ins
unabſehlich-Große mit Welten uͤber Welten und Sy-
ſtemen von Syſtemen, uͤberdem noch in grenzenloſe Zei-
ten ihrer periodiſchen Bewegung, deren Anfang und
Fortdauer. Das zweyte faͤngt von meinem unſichtbaren
Selbſt, meiner Perſoͤnlichkeit, an, und ſtellt mich in
einer Welt dar, die wahre Unendlichkeit hat, aber nur
dem Verſtande ſpuͤrbar iſt, und mit welcher (dadurch
aber auch zugleich mit allen jenen ſichtbaren Welten)
ich mich, nicht wie dort, in blos zufaͤlliger, ſondern
allgemeiner und nothwendiger Verknuͤpfung erkenne.
Der erſtere Anblick einer zahlloſen Weltenmenge vernich-
tet gleichſam meine Wichtigkeit, als eines thieriſchen
Geſchoͤpfs,
das die Materie, daraus es ward, dem
Planeten (einem bloßen Punct im Weltall) wieder zu-
ruͤckgeben muß, nachdem es eine kurze Zeit (man
weiß nicht wie) mit Lebenskraft verſehen geweſen. Der
zweyte erhebt dagegen meinen Werth, als einer Intel-
ligenz,
unendlich, durch meine Perſoͤnlichkeit, in wel-
cher das moraliſche Geſetz mir ein von der Thierheit
und ſelbſt von der ganzen Sinnenwelt unabhaͤngiges Le-
ben offenbart, wenigſtens ſo viel ſich aus der zweck-
maͤßigen Beſtimmung meines Daſeyns durch dieſes Geſetz,
welche nicht auf Bedingungen und Grenzen dieſes Lebens

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[289/0297] der reinen practiſchen Vernunft. he ſie vor mir und verknuͤpfe ſie unmittelbar mit dem Bewußtſeyn meiner Exiſtenz. Das erſte faͤngt von dem Platze an, den ich in der aͤußern Sinnenwelt einnehme, und erweitert die Verknuͤpfung, darin ich ſtehe, ins unabſehlich-Große mit Welten uͤber Welten und Sy- ſtemen von Syſtemen, uͤberdem noch in grenzenloſe Zei- ten ihrer periodiſchen Bewegung, deren Anfang und Fortdauer. Das zweyte faͤngt von meinem unſichtbaren Selbſt, meiner Perſoͤnlichkeit, an, und ſtellt mich in einer Welt dar, die wahre Unendlichkeit hat, aber nur dem Verſtande ſpuͤrbar iſt, und mit welcher (dadurch aber auch zugleich mit allen jenen ſichtbaren Welten) ich mich, nicht wie dort, in blos zufaͤlliger, ſondern allgemeiner und nothwendiger Verknuͤpfung erkenne. Der erſtere Anblick einer zahlloſen Weltenmenge vernich- tet gleichſam meine Wichtigkeit, als eines thieriſchen Geſchoͤpfs, das die Materie, daraus es ward, dem Planeten (einem bloßen Punct im Weltall) wieder zu- ruͤckgeben muß, nachdem es eine kurze Zeit (man weiß nicht wie) mit Lebenskraft verſehen geweſen. Der zweyte erhebt dagegen meinen Werth, als einer Intel- ligenz, unendlich, durch meine Perſoͤnlichkeit, in wel- cher das moraliſche Geſetz mir ein von der Thierheit und ſelbſt von der ganzen Sinnenwelt unabhaͤngiges Le- ben offenbart, wenigſtens ſo viel ſich aus der zweck- maͤßigen Beſtimmung meines Daſeyns durch dieſes Geſetz, welche nicht auf Bedingungen und Grenzen dieſes Lebens ein- Kants Crit. d pract Vern. T

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/297>, abgerufen am 28.03.2024.