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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

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Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch.
indem es den auf Entdeckungen herumschwärmenden See-
fahrer unaufhörlich mit leeren Hoffnungen täuscht, ihn in
Abentheuer verflicht, von denen er niemals ablassen, und
sie doch auch niemals zu Ende bringen kan. Ehe wir uns
aber auf dieses Meer wagen, um es nach allen Breiten zu
durchsuchen, und gewiß zu werden, ob etwas in ihnen zu
hoffen sey, so wird es nützlich seyn, zuvor noch einen Blick
auf die Carte des Landes zu werfen, das wir eben verlas-
sen wollen, und erstlich zu fragen, ob wir mit dem, was
es in sich enthält, nicht allenfalls zufrieden seyn könten,
oder auch aus Noth zufrieden seyn müssen, wenn es sonst
überall keinen Boden giebt, auf dem wir uns anbauen kön-
ten, zweitens, unter welchem Titel wir denn selbst dieses
Land besitzen, und uns wider alle feindselige Ansprüche ge-
sichert halten können. Obschon wir diese Fragen in dem Lauf
der Analytik schon hinreichend beantwortet haben, so kan
doch ein summarischer Ueberschlag ihrer Auflösungen die
Ueberzeugung dadurch verstärken, daß er die Momente
derselben in einem Punct vereinigt.

Wir haben nemlich gesehen: daß alles, was der
Verstand aus sich selbst schöpft, ohne es von der Erfah-
rung zu borgen, das habe er dennoch zu keinem andern
Behuf, als lediglich zum Erfahrungsgebrauch. Die
Grundsätze des reinen Verstandes, sie mögen nun a priori
constitutiv seyn, (wie die mathematischen) oder blos regu-
lativ (wie die dynamischen) enthalten nichts als gleichsam

nur

Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch.
indem es den auf Entdeckungen herumſchwaͤrmenden See-
fahrer unaufhoͤrlich mit leeren Hoffnungen taͤuſcht, ihn in
Abentheuer verflicht, von denen er niemals ablaſſen, und
ſie doch auch niemals zu Ende bringen kan. Ehe wir uns
aber auf dieſes Meer wagen, um es nach allen Breiten zu
durchſuchen, und gewiß zu werden, ob etwas in ihnen zu
hoffen ſey, ſo wird es nuͤtzlich ſeyn, zuvor noch einen Blick
auf die Carte des Landes zu werfen, das wir eben verlaſ-
ſen wollen, und erſtlich zu fragen, ob wir mit dem, was
es in ſich enthaͤlt, nicht allenfalls zufrieden ſeyn koͤnten,
oder auch aus Noth zufrieden ſeyn muͤſſen, wenn es ſonſt
uͤberall keinen Boden giebt, auf dem wir uns anbauen koͤn-
ten, zweitens, unter welchem Titel wir denn ſelbſt dieſes
Land beſitzen, und uns wider alle feindſelige Anſpruͤche ge-
ſichert halten koͤnnen. Obſchon wir dieſe Fragen in dem Lauf
der Analytik ſchon hinreichend beantwortet haben, ſo kan
doch ein ſummariſcher Ueberſchlag ihrer Aufloͤſungen die
Ueberzeugung dadurch verſtaͤrken, daß er die Momente
derſelben in einem Punct vereinigt.

Wir haben nemlich geſehen: daß alles, was der
Verſtand aus ſich ſelbſt ſchoͤpft, ohne es von der Erfah-
rung zu borgen, das habe er dennoch zu keinem andern
Behuf, als lediglich zum Erfahrungsgebrauch. Die
Grundſaͤtze des reinen Verſtandes, ſie moͤgen nun a priori
conſtitutiv ſeyn, (wie die mathematiſchen) oder blos regu-
lativ (wie die dynamiſchen) enthalten nichts als gleichſam

nur
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[236/0266] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. indem es den auf Entdeckungen herumſchwaͤrmenden See- fahrer unaufhoͤrlich mit leeren Hoffnungen taͤuſcht, ihn in Abentheuer verflicht, von denen er niemals ablaſſen, und ſie doch auch niemals zu Ende bringen kan. Ehe wir uns aber auf dieſes Meer wagen, um es nach allen Breiten zu durchſuchen, und gewiß zu werden, ob etwas in ihnen zu hoffen ſey, ſo wird es nuͤtzlich ſeyn, zuvor noch einen Blick auf die Carte des Landes zu werfen, das wir eben verlaſ- ſen wollen, und erſtlich zu fragen, ob wir mit dem, was es in ſich enthaͤlt, nicht allenfalls zufrieden ſeyn koͤnten, oder auch aus Noth zufrieden ſeyn muͤſſen, wenn es ſonſt uͤberall keinen Boden giebt, auf dem wir uns anbauen koͤn- ten, zweitens, unter welchem Titel wir denn ſelbſt dieſes Land beſitzen, und uns wider alle feindſelige Anſpruͤche ge- ſichert halten koͤnnen. Obſchon wir dieſe Fragen in dem Lauf der Analytik ſchon hinreichend beantwortet haben, ſo kan doch ein ſummariſcher Ueberſchlag ihrer Aufloͤſungen die Ueberzeugung dadurch verſtaͤrken, daß er die Momente derſelben in einem Punct vereinigt. Wir haben nemlich geſehen: daß alles, was der Verſtand aus ſich ſelbſt ſchoͤpft, ohne es von der Erfah- rung zu borgen, das habe er dennoch zu keinem andern Behuf, als lediglich zum Erfahrungsgebrauch. Die Grundſaͤtze des reinen Verſtandes, ſie moͤgen nun a priori conſtitutiv ſeyn, (wie die mathematiſchen) oder blos regu- lativ (wie die dynamiſchen) enthalten nichts als gleichſam nur

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/266>, abgerufen am 29.04.2024.