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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

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IX. Absch. Vom empir. Gebrauche des regul. etc.
ganze iederzeit nur im Begriffe, keinesweges aber (als
Ganzes) in der Anschauung. Also kan ich nicht von fei-
ner Grösse auf die Grösse des Regressus schliessen, und die-
se iener gemäß bestimmen, sondern ich muß mir allererst
einen Begriff von der Weltgrösse durch die Grösse des em-
pirischen Regressus machen. Von diesem aber weis ich
niemals etwas mehr, als daß ich von iedem gegebenen
Gliede der Reihe von Bedingungen immer noch zu einem
höheren (entfernteren) Gliede empirisch fortgehen müsse.
Also ist dadurch die Grösse des Ganzen der Erscheinungen
gar nicht schlechthin bestimt, mithin kan man auch nicht
sagen: daß dieser Regressus ins Unendliche gehe, weil
dieses die Glieder, dahin der Regressus noch nicht gelan-
get ist, anticipiren und ihre Menge so groß vorstellen wür-
de, daß keine empirische Synthesis dazu gelangen kan,
folglich die Weltgrösse vor dem Regressus (wenn gleich
nur negativ) bestimmen würde, welches unmöglich ist.
Denn diese ist mir durch keine Anschauung, (ihrer Totali-
tät nach) mithin auch ihre Grösse vor dem Regressus gar
nicht gegeben. Demnach können wir von der Weltgrösse
an sich gar nichts sagen, auch nicht einmal, daß in ihr
ein regressus in infinitum statt finde, sondern müssen nur
nach der Regel, die den empirischen Regressus in ihr be-
stimt, den Begriff von ihrer Grösse suchen. Diese Regel
aber sagt nichts mehr, als daß, so weit wir auch in der
Reihe der empirischen Bedingungen gekommen seyn mö-
gen, wir nirgend eine absolute Gränze annehmen sollen,

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IX. Abſch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc.
ganze iederzeit nur im Begriffe, keinesweges aber (als
Ganzes) in der Anſchauung. Alſo kan ich nicht von fei-
ner Groͤſſe auf die Groͤſſe des Regreſſus ſchlieſſen, und die-
ſe iener gemaͤß beſtimmen, ſondern ich muß mir allererſt
einen Begriff von der Weltgroͤſſe durch die Groͤſſe des em-
piriſchen Regreſſus machen. Von dieſem aber weis ich
niemals etwas mehr, als daß ich von iedem gegebenen
Gliede der Reihe von Bedingungen immer noch zu einem
hoͤheren (entfernteren) Gliede empiriſch fortgehen muͤſſe.
Alſo iſt dadurch die Groͤſſe des Ganzen der Erſcheinungen
gar nicht ſchlechthin beſtimt, mithin kan man auch nicht
ſagen: daß dieſer Regreſſus ins Unendliche gehe, weil
dieſes die Glieder, dahin der Regreſſus noch nicht gelan-
get iſt, anticipiren und ihre Menge ſo groß vorſtellen wuͤr-
de, daß keine empiriſche Syntheſis dazu gelangen kan,
folglich die Weltgroͤſſe vor dem Regreſſus (wenn gleich
nur negativ) beſtimmen wuͤrde, welches unmoͤglich iſt.
Denn dieſe iſt mir durch keine Anſchauung, (ihrer Totali-
taͤt nach) mithin auch ihre Groͤſſe vor dem Regreſſus gar
nicht gegeben. Demnach koͤnnen wir von der Weltgroͤſſe
an ſich gar nichts ſagen, auch nicht einmal, daß in ihr
ein regreſſus in infinitum ſtatt finde, ſondern muͤſſen nur
nach der Regel, die den empiriſchen Regreſſus in ihr be-
ſtimt, den Begriff von ihrer Groͤſſe ſuchen. Dieſe Regel
aber ſagt nichts mehr, als daß, ſo weit wir auch in der
Reihe der empiriſchen Bedingungen gekommen ſeyn moͤ-
gen, wir nirgend eine abſolute Graͤnze annehmen ſollen,

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[519/0549] IX. Abſch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. ganze iederzeit nur im Begriffe, keinesweges aber (als Ganzes) in der Anſchauung. Alſo kan ich nicht von fei- ner Groͤſſe auf die Groͤſſe des Regreſſus ſchlieſſen, und die- ſe iener gemaͤß beſtimmen, ſondern ich muß mir allererſt einen Begriff von der Weltgroͤſſe durch die Groͤſſe des em- piriſchen Regreſſus machen. Von dieſem aber weis ich niemals etwas mehr, als daß ich von iedem gegebenen Gliede der Reihe von Bedingungen immer noch zu einem hoͤheren (entfernteren) Gliede empiriſch fortgehen muͤſſe. Alſo iſt dadurch die Groͤſſe des Ganzen der Erſcheinungen gar nicht ſchlechthin beſtimt, mithin kan man auch nicht ſagen: daß dieſer Regreſſus ins Unendliche gehe, weil dieſes die Glieder, dahin der Regreſſus noch nicht gelan- get iſt, anticipiren und ihre Menge ſo groß vorſtellen wuͤr- de, daß keine empiriſche Syntheſis dazu gelangen kan, folglich die Weltgroͤſſe vor dem Regreſſus (wenn gleich nur negativ) beſtimmen wuͤrde, welches unmoͤglich iſt. Denn dieſe iſt mir durch keine Anſchauung, (ihrer Totali- taͤt nach) mithin auch ihre Groͤſſe vor dem Regreſſus gar nicht gegeben. Demnach koͤnnen wir von der Weltgroͤſſe an ſich gar nichts ſagen, auch nicht einmal, daß in ihr ein regreſſus in infinitum ſtatt finde, ſondern muͤſſen nur nach der Regel, die den empiriſchen Regreſſus in ihr be- ſtimt, den Begriff von ihrer Groͤſſe ſuchen. Dieſe Regel aber ſagt nichts mehr, als daß, ſo weit wir auch in der Reihe der empiriſchen Bedingungen gekommen ſeyn moͤ- gen, wir nirgend eine abſolute Graͤnze annehmen ſollen, ſon- K k 4

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 519. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/549>, abgerufen am 19.05.2024.