Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst.
blosses Selbstgeschöpf ihres Denkens so fort vor ein wirk-
liches Wesen anzunehmen, wenn sie nicht wodurch anders
gedrungen würde, irgendwo ihren Ruhestand, in dem
Regressus vom Bedingten, das gegeben ist, zum Unbeding-
ten zu suchen, das zwar an sich und seinem blossen Begriff
noch nicht als wirklich gegeben ist, welches aber allein die
Reihe der zu ihren Gründen hinausgeführten Bedingun-
gen vollenden kan. Dieses ist nun der natürliche Gang,
den iede menschliche Vernunft, selbst die gemeineste nimt,
obgleich nicht eine iede in demselben aushält. Sie fängt
nicht von Begriffen, sondern von der gemeinen Erfahrung
an, und legt also etwas Existirendes zum Grunde. Die-
ser Boden aber sinkt, wenn er nicht auf dem unbewegli-
chen Felsen des Absolutnothwendigen ruhet. Dieser sel-
ber aber schwebt ohne Stütze, wenn noch ausser und
unter ihm leerer Raum ist, und er nicht selbst alles er-
füllet und dadurch keinen Platz zum Warum mehr übrig
läßt, d. i. der Realität nach unendlich ist.

Wenn etwas, was es auch sey, existirt, so muß
auch eingeräumt werden, daß irgend etwas nothwendi-
gerweise existire. Denn das Zufällige existirt nur unter
der Bedingung eines anderen, als seiner Ursache und von
dieser gilt der Schluß fernerhin, bis zu einer Ursache, die
nicht zufällig und eben darum ohne Bedingung nothwen-
digerweise da ist. Das ist das Argument, worauf die
Vernunft ihren Fortschritt zum Urwesen gründet.


Nun

Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt.
bloſſes Selbſtgeſchoͤpf ihres Denkens ſo fort vor ein wirk-
liches Weſen anzunehmen, wenn ſie nicht wodurch anders
gedrungen wuͤrde, irgendwo ihren Ruheſtand, in dem
Regreſſus vom Bedingten, das gegeben iſt, zum Unbeding-
ten zu ſuchen, das zwar an ſich und ſeinem bloſſen Begriff
noch nicht als wirklich gegeben iſt, welches aber allein die
Reihe der zu ihren Gruͤnden hinausgefuͤhrten Bedingun-
gen vollenden kan. Dieſes iſt nun der natuͤrliche Gang,
den iede menſchliche Vernunft, ſelbſt die gemeineſte nimt,
obgleich nicht eine iede in demſelben aushaͤlt. Sie faͤngt
nicht von Begriffen, ſondern von der gemeinen Erfahrung
an, und legt alſo etwas Exiſtirendes zum Grunde. Die-
ſer Boden aber ſinkt, wenn er nicht auf dem unbewegli-
chen Felſen des Abſolutnothwendigen ruhet. Dieſer ſel-
ber aber ſchwebt ohne Stuͤtze, wenn noch auſſer und
unter ihm leerer Raum iſt, und er nicht ſelbſt alles er-
fuͤllet und dadurch keinen Platz zum Warum mehr uͤbrig
laͤßt, d. i. der Realitaͤt nach unendlich iſt.

Wenn etwas, was es auch ſey, exiſtirt, ſo muß
auch eingeraͤumt werden, daß irgend etwas nothwendi-
gerweiſe exiſtire. Denn das Zufaͤllige exiſtirt nur unter
der Bedingung eines anderen, als ſeiner Urſache und von
dieſer gilt der Schluß fernerhin, bis zu einer Urſache, die
nicht zufaͤllig und eben darum ohne Bedingung nothwen-
digerweiſe da iſt. Das iſt das Argument, worauf die
Vernunft ihren Fortſchritt zum Urweſen gruͤndet.


Nun
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <p><pb facs="#f0614" n="584"/><fw place="top" type="header">Elementarl. <hi rendition="#aq">II.</hi> Th. <hi rendition="#aq">II.</hi> Abth. <hi rendition="#aq">II.</hi> Buch. <hi rendition="#aq">III.</hi> Haupt&#x017F;t.</fw><lb/>
blo&#x017F;&#x017F;es Selb&#x017F;tge&#x017F;cho&#x0364;pf ihres Denkens &#x017F;o fort vor ein wirk-<lb/>
liches We&#x017F;en anzunehmen, wenn &#x017F;ie nicht wodurch anders<lb/>
gedrungen wu&#x0364;rde, irgendwo ihren Ruhe&#x017F;tand, in dem<lb/>
Regre&#x017F;&#x017F;us vom Bedingten, das gegeben i&#x017F;t, zum Unbeding-<lb/>
ten zu &#x017F;uchen, das zwar an &#x017F;ich und &#x017F;einem blo&#x017F;&#x017F;en Begriff<lb/>
noch nicht als wirklich gegeben i&#x017F;t, welches aber allein die<lb/>
Reihe der zu ihren Gru&#x0364;nden hinausgefu&#x0364;hrten Bedingun-<lb/>
gen vollenden kan. Die&#x017F;es i&#x017F;t nun der natu&#x0364;rliche Gang,<lb/>
den iede men&#x017F;chliche Vernunft, &#x017F;elb&#x017F;t die gemeine&#x017F;te nimt,<lb/>
obgleich nicht eine iede in dem&#x017F;elben ausha&#x0364;lt. Sie fa&#x0364;ngt<lb/>
nicht von Begriffen, &#x017F;ondern von der gemeinen Erfahrung<lb/>
an, und legt al&#x017F;o etwas Exi&#x017F;tirendes zum Grunde. Die-<lb/>
&#x017F;er Boden aber &#x017F;inkt, wenn er nicht auf dem unbewegli-<lb/>
chen Fel&#x017F;en des Ab&#x017F;olutnothwendigen ruhet. Die&#x017F;er &#x017F;el-<lb/>
ber aber &#x017F;chwebt ohne Stu&#x0364;tze, wenn noch au&#x017F;&#x017F;er und<lb/>
unter ihm leerer Raum i&#x017F;t, und er nicht &#x017F;elb&#x017F;t alles er-<lb/>
fu&#x0364;llet und dadurch keinen Platz zum <hi rendition="#fr">Warum</hi> mehr u&#x0364;brig<lb/>
la&#x0364;ßt, d. i. der Realita&#x0364;t nach unendlich i&#x017F;t.</p><lb/>
                      <p>Wenn etwas, was es auch &#x017F;ey, exi&#x017F;tirt, &#x017F;o muß<lb/>
auch eingera&#x0364;umt werden, daß irgend etwas nothwendi-<lb/>
gerwei&#x017F;e exi&#x017F;tire. Denn das Zufa&#x0364;llige exi&#x017F;tirt nur unter<lb/>
der Bedingung eines anderen, als &#x017F;einer Ur&#x017F;ache und von<lb/>
die&#x017F;er gilt der Schluß fernerhin, bis zu einer Ur&#x017F;ache, die<lb/>
nicht zufa&#x0364;llig und eben darum ohne Bedingung nothwen-<lb/>
digerwei&#x017F;e da i&#x017F;t. Das i&#x017F;t das Argument, worauf die<lb/>
Vernunft ihren Fort&#x017F;chritt zum Urwe&#x017F;en gru&#x0364;ndet.</p><lb/>
                      <fw place="bottom" type="catch">Nun</fw><lb/>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[584/0614] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. bloſſes Selbſtgeſchoͤpf ihres Denkens ſo fort vor ein wirk- liches Weſen anzunehmen, wenn ſie nicht wodurch anders gedrungen wuͤrde, irgendwo ihren Ruheſtand, in dem Regreſſus vom Bedingten, das gegeben iſt, zum Unbeding- ten zu ſuchen, das zwar an ſich und ſeinem bloſſen Begriff noch nicht als wirklich gegeben iſt, welches aber allein die Reihe der zu ihren Gruͤnden hinausgefuͤhrten Bedingun- gen vollenden kan. Dieſes iſt nun der natuͤrliche Gang, den iede menſchliche Vernunft, ſelbſt die gemeineſte nimt, obgleich nicht eine iede in demſelben aushaͤlt. Sie faͤngt nicht von Begriffen, ſondern von der gemeinen Erfahrung an, und legt alſo etwas Exiſtirendes zum Grunde. Die- ſer Boden aber ſinkt, wenn er nicht auf dem unbewegli- chen Felſen des Abſolutnothwendigen ruhet. Dieſer ſel- ber aber ſchwebt ohne Stuͤtze, wenn noch auſſer und unter ihm leerer Raum iſt, und er nicht ſelbſt alles er- fuͤllet und dadurch keinen Platz zum Warum mehr uͤbrig laͤßt, d. i. der Realitaͤt nach unendlich iſt. Wenn etwas, was es auch ſey, exiſtirt, ſo muß auch eingeraͤumt werden, daß irgend etwas nothwendi- gerweiſe exiſtire. Denn das Zufaͤllige exiſtirt nur unter der Bedingung eines anderen, als ſeiner Urſache und von dieſer gilt der Schluß fernerhin, bis zu einer Urſache, die nicht zufaͤllig und eben darum ohne Bedingung nothwen- digerweiſe da iſt. Das iſt das Argument, worauf die Vernunft ihren Fortſchritt zum Urweſen gruͤndet. Nun

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/614
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 584. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/614>, abgerufen am 07.05.2024.