Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

V. Absch. Unmöglichkeit eines cosmol. Beweises etc.
des übersteigt gänzlich alle äusserste Bestrebungen, unse-
ren Verstand über diesen Punct zu befriedigen, aber auch
alle Versuche, ihn wegen dieses seines Unvermögens zu be-
ruhigen.

Die unbedingte Nothwendigkeit, die wir, als den
lezten Träger aller Dinge, so unentbehrlich bedürfen, ist
der wahre Abgrund vor die menschliche Vernunft. Selbst
die Ewigkeit, so schauderhafterhaben sie auch ein Haller
schildern mag, macht lange den schwindelichten Eindruck
nicht auf das Gemüth; denn sie mißt nur die Dauer der
Dinge, aber trägt sie nicht. Man kan sich des Gedan-
ken nicht erwehren, man kan ihn aber auch nicht ertra-
gen: daß ein Wesen, welches wir uns auch als das Höch-
ste unter allen möglichen vorstellen, gleichsam zu sich selbst
sage: Ich bin von Ewigkeit zu Ewigkeit, ausser mir ist
nichts, ohne das, was blos durch meinen Willen etwas
ist; aber woher bin ich denn? Hier sinkt alles unter
uns und die größte Vollkommenheit, wie die kleinste,
schwebt ohne Haltung blos vor der speculativen Vernunft,
der es nichts koste, die eine so wie die andere, ohne die
mindeste Hinderniß verschwinden zu lassen.

Viele Kräfte der Natur, die ihr Daseyn durch ge-
wisse Wirkungen äussern, bleiben vor uns unerforschlich;
denn wir können ihnen durch Beobachtung nicht weit ge-
nug nachspühren. Das den Erscheinungen zum Grunde
liegende transscendentale Obiect und, mit demselben der
Grund, warum unsere Sinnlichkeit diese vielmehr als an-

dere
Q q 3

V. Abſch. Unmoͤglichkeit eines cosmol. Beweiſes ꝛc.
des uͤberſteigt gaͤnzlich alle aͤuſſerſte Beſtrebungen, unſe-
ren Verſtand uͤber dieſen Punct zu befriedigen, aber auch
alle Verſuche, ihn wegen dieſes ſeines Unvermoͤgens zu be-
ruhigen.

Die unbedingte Nothwendigkeit, die wir, als den
lezten Traͤger aller Dinge, ſo unentbehrlich beduͤrfen, iſt
der wahre Abgrund vor die menſchliche Vernunft. Selbſt
die Ewigkeit, ſo ſchauderhafterhaben ſie auch ein Haller
ſchildern mag, macht lange den ſchwindelichten Eindruck
nicht auf das Gemuͤth; denn ſie mißt nur die Dauer der
Dinge, aber traͤgt ſie nicht. Man kan ſich des Gedan-
ken nicht erwehren, man kan ihn aber auch nicht ertra-
gen: daß ein Weſen, welches wir uns auch als das Hoͤch-
ſte unter allen moͤglichen vorſtellen, gleichſam zu ſich ſelbſt
ſage: Ich bin von Ewigkeit zu Ewigkeit, auſſer mir iſt
nichts, ohne das, was blos durch meinen Willen etwas
iſt; aber woher bin ich denn? Hier ſinkt alles unter
uns und die groͤßte Vollkommenheit, wie die kleinſte,
ſchwebt ohne Haltung blos vor der ſpeculativen Vernunft,
der es nichts koſte, die eine ſo wie die andere, ohne die
mindeſte Hinderniß verſchwinden zu laſſen.

Viele Kraͤfte der Natur, die ihr Daſeyn durch ge-
wiſſe Wirkungen aͤuſſern, bleiben vor uns unerforſchlich;
denn wir koͤnnen ihnen durch Beobachtung nicht weit ge-
nug nachſpuͤhren. Das den Erſcheinungen zum Grunde
liegende transſcendentale Obiect und, mit demſelben der
Grund, warum unſere Sinnlichkeit dieſe vielmehr als an-

dere
Q q 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <p><pb facs="#f0643" n="613"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> Ab&#x017F;ch. Unmo&#x0364;glichkeit eines cosmol. Bewei&#x017F;es &#xA75B;c.</fw><lb/>
des u&#x0364;ber&#x017F;teigt ga&#x0364;nzlich alle a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;er&#x017F;te Be&#x017F;trebungen, un&#x017F;e-<lb/>
ren Ver&#x017F;tand u&#x0364;ber die&#x017F;en Punct zu befriedigen, aber auch<lb/>
alle Ver&#x017F;uche, ihn wegen die&#x017F;es &#x017F;eines Unvermo&#x0364;gens zu be-<lb/>
ruhigen.</p><lb/>
                      <p>Die unbedingte Nothwendigkeit, die wir, als den<lb/>
lezten Tra&#x0364;ger aller Dinge, &#x017F;o unentbehrlich bedu&#x0364;rfen, i&#x017F;t<lb/>
der wahre Abgrund vor die men&#x017F;chliche Vernunft. Selb&#x017F;t<lb/>
die Ewigkeit, &#x017F;o &#x017F;chauderhafterhaben &#x017F;ie auch ein <hi rendition="#fr">Haller</hi><lb/>
&#x017F;childern mag, macht lange den &#x017F;chwindelichten Eindruck<lb/>
nicht auf das Gemu&#x0364;th; denn &#x017F;ie <hi rendition="#fr">mißt</hi> nur die Dauer der<lb/>
Dinge, aber tra&#x0364;gt &#x017F;ie nicht. Man kan &#x017F;ich des Gedan-<lb/>
ken nicht erwehren, man kan ihn aber auch nicht ertra-<lb/>
gen: daß ein We&#x017F;en, welches wir uns auch als das Ho&#x0364;ch-<lb/>
&#x017F;te unter allen mo&#x0364;glichen vor&#x017F;tellen, gleich&#x017F;am zu &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
&#x017F;age: Ich bin von Ewigkeit zu Ewigkeit, au&#x017F;&#x017F;er mir i&#x017F;t<lb/>
nichts, ohne das, was blos durch meinen Willen etwas<lb/>
i&#x017F;t; <hi rendition="#fr">aber woher bin ich denn?</hi> Hier &#x017F;inkt alles unter<lb/>
uns und die gro&#x0364;ßte Vollkommenheit, wie die klein&#x017F;te,<lb/>
&#x017F;chwebt ohne Haltung blos vor der &#x017F;peculativen Vernunft,<lb/>
der es nichts <choice><sic>ko&#x017F;tes</sic><corr>ko&#x017F;te</corr></choice>, die eine &#x017F;o wie die andere, ohne die<lb/>
minde&#x017F;te Hinderniß ver&#x017F;chwinden zu la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
                      <p>Viele Kra&#x0364;fte der Natur, die ihr Da&#x017F;eyn durch ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;e Wirkungen a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ern, bleiben vor uns unerfor&#x017F;chlich;<lb/>
denn wir ko&#x0364;nnen ihnen durch Beobachtung nicht weit ge-<lb/>
nug nach&#x017F;pu&#x0364;hren. Das den Er&#x017F;cheinungen zum Grunde<lb/>
liegende trans&#x017F;cendentale Obiect und, mit dem&#x017F;elben der<lb/>
Grund, warum un&#x017F;ere Sinnlichkeit die&#x017F;e vielmehr als an-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Q q 3</fw><fw place="bottom" type="catch">dere</fw><lb/></p>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[613/0643] V. Abſch. Unmoͤglichkeit eines cosmol. Beweiſes ꝛc. des uͤberſteigt gaͤnzlich alle aͤuſſerſte Beſtrebungen, unſe- ren Verſtand uͤber dieſen Punct zu befriedigen, aber auch alle Verſuche, ihn wegen dieſes ſeines Unvermoͤgens zu be- ruhigen. Die unbedingte Nothwendigkeit, die wir, als den lezten Traͤger aller Dinge, ſo unentbehrlich beduͤrfen, iſt der wahre Abgrund vor die menſchliche Vernunft. Selbſt die Ewigkeit, ſo ſchauderhafterhaben ſie auch ein Haller ſchildern mag, macht lange den ſchwindelichten Eindruck nicht auf das Gemuͤth; denn ſie mißt nur die Dauer der Dinge, aber traͤgt ſie nicht. Man kan ſich des Gedan- ken nicht erwehren, man kan ihn aber auch nicht ertra- gen: daß ein Weſen, welches wir uns auch als das Hoͤch- ſte unter allen moͤglichen vorſtellen, gleichſam zu ſich ſelbſt ſage: Ich bin von Ewigkeit zu Ewigkeit, auſſer mir iſt nichts, ohne das, was blos durch meinen Willen etwas iſt; aber woher bin ich denn? Hier ſinkt alles unter uns und die groͤßte Vollkommenheit, wie die kleinſte, ſchwebt ohne Haltung blos vor der ſpeculativen Vernunft, der es nichts koſte, die eine ſo wie die andere, ohne die mindeſte Hinderniß verſchwinden zu laſſen. Viele Kraͤfte der Natur, die ihr Daſeyn durch ge- wiſſe Wirkungen aͤuſſern, bleiben vor uns unerforſchlich; denn wir koͤnnen ihnen durch Beobachtung nicht weit ge- nug nachſpuͤhren. Das den Erſcheinungen zum Grunde liegende transſcendentale Obiect und, mit demſelben der Grund, warum unſere Sinnlichkeit dieſe vielmehr als an- dere Q q 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/643
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 613. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/643>, abgerufen am 28.04.2024.