Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Wenn ich den Inbegriff aller Erkentniß der reinen
und speculativen Vernunft wie ein Gebäude anse-
he, dazu wir wenigstens die Idee in uns haben, so kan
ich sagen, wir haben in der transscendentalen Elementar-
lehre den Bauzeug überschlagen und bestimt, zu welchem
Gebäude, von welcher Höhe und Festigkeit er zulange.
Freilich fand es sich: daß, ob wir zwar einen Thurm im
Sinne hatten, der bis an den Himmel reichen solte, der
Vorrath der Materialien doch nur zu einem Wohnhause
zureichte, welches zu unseren Geschäften auf der Ebene
der Erfahrung gerade geräumig und hoch gnug war, sie
zu übersehen, daß aber iene kühne Unternehmung aus
Mangel an Stoff fehlschlagen mußte, ohne einmal auf die
Sprachverwirrung zu rechnen, welche die Arbeiter über
den Plan unvermeidlich entzweien und sie in alle Welt zer-
streuen mußte, um sich, ein ieder nach seinem Entwurfe,
besonders anzubauen. Jezt ist es uns nicht so wol um
die Materialien, als vielmehr um den Plan zu thun und,
indem wir gewarnet sind, es nicht auf einen beliebigen
blinden Entwurf, der vielleicht unser ganzes Vermögen
übersteigen könte, zu wagen, gleichwol doch von der Er-
richtung eines festen Wohnsitzes nicht wol abstehen kön-
nen, den Anschlag zu einem Gebäude in Verhältniß auf
den Vorrath, der uns gegeben und zu gleich unserem
Bedürfniß angemessen ist, zu machen.

Ich verstehe also unter der transscendentalen Metho-
denlehre, die Bestimmung der formalen Bedingungen eines

voll-
Y y 2

Wenn ich den Inbegriff aller Erkentniß der reinen
und ſpeculativen Vernunft wie ein Gebaͤude anſe-
he, dazu wir wenigſtens die Idee in uns haben, ſo kan
ich ſagen, wir haben in der transſcendentalen Elementar-
lehre den Bauzeug uͤberſchlagen und beſtimt, zu welchem
Gebaͤude, von welcher Hoͤhe und Feſtigkeit er zulange.
Freilich fand es ſich: daß, ob wir zwar einen Thurm im
Sinne hatten, der bis an den Himmel reichen ſolte, der
Vorrath der Materialien doch nur zu einem Wohnhauſe
zureichte, welches zu unſeren Geſchaͤften auf der Ebene
der Erfahrung gerade geraͤumig und hoch gnug war, ſie
zu uͤberſehen, daß aber iene kuͤhne Unternehmung aus
Mangel an Stoff fehlſchlagen mußte, ohne einmal auf die
Sprachverwirrung zu rechnen, welche die Arbeiter uͤber
den Plan unvermeidlich entzweien und ſie in alle Welt zer-
ſtreuen mußte, um ſich, ein ieder nach ſeinem Entwurfe,
beſonders anzubauen. Jezt iſt es uns nicht ſo wol um
die Materialien, als vielmehr um den Plan zu thun und,
indem wir gewarnet ſind, es nicht auf einen beliebigen
blinden Entwurf, der vielleicht unſer ganzes Vermoͤgen
uͤberſteigen koͤnte, zu wagen, gleichwol doch von der Er-
richtung eines feſten Wohnſitzes nicht wol abſtehen koͤn-
nen, den Anſchlag zu einem Gebaͤude in Verhaͤltniß auf
den Vorrath, der uns gegeben und zu gleich unſerem
Beduͤrfniß angemeſſen iſt, zu machen.

Ich verſtehe alſo unter der transſcendentalen Metho-
denlehre, die Beſtimmung der formalen Bedingungen eines

voll-
Y y 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0737" n="707"/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p><hi rendition="#in">W</hi>enn ich den Inbegriff aller Erkentniß der reinen<lb/>
und &#x017F;peculativen Vernunft wie ein Geba&#x0364;ude an&#x017F;e-<lb/>
he, dazu wir wenig&#x017F;tens die Idee in uns haben, &#x017F;o kan<lb/>
ich &#x017F;agen, wir haben in der trans&#x017F;cendentalen Elementar-<lb/>
lehre den Bauzeug u&#x0364;ber&#x017F;chlagen und be&#x017F;timt, zu welchem<lb/>
Geba&#x0364;ude, von welcher Ho&#x0364;he und Fe&#x017F;tigkeit er zulange.<lb/>
Freilich fand es &#x017F;ich: daß, ob wir zwar einen Thurm im<lb/>
Sinne hatten, der bis an den Himmel reichen &#x017F;olte, der<lb/>
Vorrath der Materialien doch nur zu einem Wohnhau&#x017F;e<lb/>
zureichte, welches zu un&#x017F;eren Ge&#x017F;cha&#x0364;ften auf der Ebene<lb/>
der Erfahrung gerade gera&#x0364;umig und hoch gnug war, &#x017F;ie<lb/>
zu u&#x0364;ber&#x017F;ehen, daß aber iene ku&#x0364;hne Unternehmung aus<lb/>
Mangel an Stoff fehl&#x017F;chlagen mußte, ohne einmal auf die<lb/>
Sprachverwirrung zu rechnen, welche die Arbeiter u&#x0364;ber<lb/>
den Plan unvermeidlich entzweien und &#x017F;ie in alle Welt zer-<lb/>
&#x017F;treuen mußte, um &#x017F;ich, ein ieder nach &#x017F;einem Entwurfe,<lb/>
be&#x017F;onders anzubauen. Jezt i&#x017F;t es uns nicht &#x017F;o wol um<lb/>
die Materialien, als vielmehr um den Plan zu thun und,<lb/>
indem wir gewarnet &#x017F;ind, es nicht auf einen beliebigen<lb/>
blinden Entwurf, der vielleicht un&#x017F;er ganzes Vermo&#x0364;gen<lb/>
u&#x0364;ber&#x017F;teigen ko&#x0364;nte, zu wagen, gleichwol doch von der Er-<lb/>
richtung eines fe&#x017F;ten Wohn&#x017F;itzes nicht wol ab&#x017F;tehen ko&#x0364;n-<lb/>
nen, den An&#x017F;chlag zu einem Geba&#x0364;ude in Verha&#x0364;ltniß auf<lb/>
den Vorrath, der uns gegeben und zu gleich un&#x017F;erem<lb/>
Bedu&#x0364;rfniß angeme&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t, zu machen.</p><lb/>
        <p>Ich ver&#x017F;tehe al&#x017F;o unter der trans&#x017F;cendentalen Metho-<lb/>
denlehre, die Be&#x017F;timmung der formalen Bedingungen eines<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Y y 2</fw><fw place="bottom" type="catch">voll-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[707/0737] Wenn ich den Inbegriff aller Erkentniß der reinen und ſpeculativen Vernunft wie ein Gebaͤude anſe- he, dazu wir wenigſtens die Idee in uns haben, ſo kan ich ſagen, wir haben in der transſcendentalen Elementar- lehre den Bauzeug uͤberſchlagen und beſtimt, zu welchem Gebaͤude, von welcher Hoͤhe und Feſtigkeit er zulange. Freilich fand es ſich: daß, ob wir zwar einen Thurm im Sinne hatten, der bis an den Himmel reichen ſolte, der Vorrath der Materialien doch nur zu einem Wohnhauſe zureichte, welches zu unſeren Geſchaͤften auf der Ebene der Erfahrung gerade geraͤumig und hoch gnug war, ſie zu uͤberſehen, daß aber iene kuͤhne Unternehmung aus Mangel an Stoff fehlſchlagen mußte, ohne einmal auf die Sprachverwirrung zu rechnen, welche die Arbeiter uͤber den Plan unvermeidlich entzweien und ſie in alle Welt zer- ſtreuen mußte, um ſich, ein ieder nach ſeinem Entwurfe, beſonders anzubauen. Jezt iſt es uns nicht ſo wol um die Materialien, als vielmehr um den Plan zu thun und, indem wir gewarnet ſind, es nicht auf einen beliebigen blinden Entwurf, der vielleicht unſer ganzes Vermoͤgen uͤberſteigen koͤnte, zu wagen, gleichwol doch von der Er- richtung eines feſten Wohnſitzes nicht wol abſtehen koͤn- nen, den Anſchlag zu einem Gebaͤude in Verhaͤltniß auf den Vorrath, der uns gegeben und zu gleich unſerem Beduͤrfniß angemeſſen iſt, zu machen. Ich verſtehe alſo unter der transſcendentalen Metho- denlehre, die Beſtimmung der formalen Bedingungen eines voll- Y y 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/737
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 707. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/737>, abgerufen am 06.05.2024.