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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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mit diesem Ein Mal zu Ende, als der Trödler
hereintrat und sich erkundigte, ob ich die Werke
behalten wolle, da sich sonst ein anderweitiger
Käufer gezeigt habe. Unter diesen Umständen
mußte der Schatz baar bezahlt werden, was weit
über meine Kräfte ging; die Mutter sah wohl,
daß er mir etwas Wichtiges war, aber mein drei¬
ßigtägiges Liegen und Lesen machte sie unent¬
schlossen und darüber ergriff der Mann wieder
seine Schnur, band die Bücher zusammen,
schwang den Pack auf den Rücken und em¬
pfahl sich.

Es war, als ob eine Schaar glänzender und
singender Geister die Stube verließen, so daß
diese auf einmal still und leer schien; ich sprang
auf, sah mich um und würde mich wie in einem
Grabe gedünkt haben, wenn nicht die Stricknadeln
meiner Mutter ein freundliches Geräusch verur¬
sacht hätten. Ich machte mich in's Freie; die
alte Bergstadt, Felsen, Wald, Fluß und See und
das formenreiche Gebirge lagen im milden Schein
der Märzsonne, und indem meine Blicke Alles
umfaßten, empfand ich ein reines und nachhal¬

mit dieſem Ein Mal zu Ende, als der Troͤdler
hereintrat und ſich erkundigte, ob ich die Werke
behalten wolle, da ſich ſonſt ein anderweitiger
Kaͤufer gezeigt habe. Unter dieſen Umſtaͤnden
mußte der Schatz baar bezahlt werden, was weit
uͤber meine Kraͤfte ging; die Mutter ſah wohl,
daß er mir etwas Wichtiges war, aber mein drei¬
ßigtaͤgiges Liegen und Leſen machte ſie unent¬
ſchloſſen und daruͤber ergriff der Mann wieder
ſeine Schnur, band die Buͤcher zuſammen,
ſchwang den Pack auf den Ruͤcken und em¬
pfahl ſich.

Es war, als ob eine Schaar glaͤnzender und
ſingender Geiſter die Stube verließen, ſo daß
dieſe auf einmal ſtill und leer ſchien; ich ſprang
auf, ſah mich um und wuͤrde mich wie in einem
Grabe geduͤnkt haben, wenn nicht die Stricknadeln
meiner Mutter ein freundliches Geraͤuſch verur¬
ſacht haͤtten. Ich machte mich in's Freie; die
alte Bergſtadt, Felſen, Wald, Fluß und See und
das formenreiche Gebirge lagen im milden Schein
der Maͤrzſonne, und indem meine Blicke Alles
umfaßten, empfand ich ein reines und nachhal¬

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[7/0017] mit dieſem Ein Mal zu Ende, als der Troͤdler hereintrat und ſich erkundigte, ob ich die Werke behalten wolle, da ſich ſonſt ein anderweitiger Kaͤufer gezeigt habe. Unter dieſen Umſtaͤnden mußte der Schatz baar bezahlt werden, was weit uͤber meine Kraͤfte ging; die Mutter ſah wohl, daß er mir etwas Wichtiges war, aber mein drei¬ ßigtaͤgiges Liegen und Leſen machte ſie unent¬ ſchloſſen und daruͤber ergriff der Mann wieder ſeine Schnur, band die Buͤcher zuſammen, ſchwang den Pack auf den Ruͤcken und em¬ pfahl ſich. Es war, als ob eine Schaar glaͤnzender und ſingender Geiſter die Stube verließen, ſo daß dieſe auf einmal ſtill und leer ſchien; ich ſprang auf, ſah mich um und wuͤrde mich wie in einem Grabe geduͤnkt haben, wenn nicht die Stricknadeln meiner Mutter ein freundliches Geraͤuſch verur¬ ſacht haͤtten. Ich machte mich in's Freie; die alte Bergſtadt, Felſen, Wald, Fluß und See und das formenreiche Gebirge lagen im milden Schein der Maͤrzſonne, und indem meine Blicke Alles umfaßten, empfand ich ein reines und nachhal¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/17>, abgerufen am 19.04.2024.