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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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ergab es sich, daß ich eben da fortfahren mußte,
wo ich zuletzt aufgehört hatte, und daß ich durch¬
aus nicht im Stande war, plötzlich etwas Neues
zu schaffen, weil ich dazu erst etwas Neues hätte
sehen müssen. Da mir aber nicht Ein Blatt
eines Meisters zu Gebote stand und die prächtigen
Blätter meiner Phantasie sogleich in Nichts sich
auflösten, wenn ich den Stift auf das Papier
setzte, so brachte ich ein trübseliges Gekritzel zu
Stande, indem ich aus meiner alten Weise her¬
auszukommen suchte, welche ich verachtete, während
ich sie jetzt sogar nur verdarb. So quälte ich
mich mehrere Tage herum, in Gedanken immer
eine gute und sachgemäße Arbeit sehend, aber
rathlos mit der Hand. Es wurde mir angst und
bange, ich glaubte jetzt sogleich verzweifeln zu
müssen, wenn es mir nicht gelänge, und seufzend
bat ich Gott, mir aus der Klemme zu helfen.
Ich betete noch mit den gleichen kindlichen Worten,
wie schon vor zehn Jahren, immer das Gleiche
wiederholend, so daß es mir selbst auffiel, als ich
halblaut vor mich hin flüsterte. Darüber nach¬
sinnend hielt ich mit der hastigen Arbeit inne

ergab es ſich, daß ich eben da fortfahren mußte,
wo ich zuletzt aufgehoͤrt hatte, und daß ich durch¬
aus nicht im Stande war, ploͤtzlich etwas Neues
zu ſchaffen, weil ich dazu erſt etwas Neues haͤtte
ſehen muͤſſen. Da mir aber nicht Ein Blatt
eines Meiſters zu Gebote ſtand und die praͤchtigen
Blaͤtter meiner Phantaſie ſogleich in Nichts ſich
aufloͤſten, wenn ich den Stift auf das Papier
ſetzte, ſo brachte ich ein truͤbſeliges Gekritzel zu
Stande, indem ich aus meiner alten Weiſe her¬
auszukommen ſuchte, welche ich verachtete, waͤhrend
ich ſie jetzt ſogar nur verdarb. So quaͤlte ich
mich mehrere Tage herum, in Gedanken immer
eine gute und ſachgemaͤße Arbeit ſehend, aber
rathlos mit der Hand. Es wurde mir angſt und
bange, ich glaubte jetzt ſogleich verzweifeln zu
muͤſſen, wenn es mir nicht gelaͤnge, und ſeufzend
bat ich Gott, mir aus der Klemme zu helfen.
Ich betete noch mit den gleichen kindlichen Worten,
wie ſchon vor zehn Jahren, immer das Gleiche
wiederholend, ſo daß es mir ſelbſt auffiel, als ich
halblaut vor mich hin fluͤſterte. Daruͤber nach¬
ſinnend hielt ich mit der haſtigen Arbeit inne

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[13/0023] ergab es ſich, daß ich eben da fortfahren mußte, wo ich zuletzt aufgehoͤrt hatte, und daß ich durch¬ aus nicht im Stande war, ploͤtzlich etwas Neues zu ſchaffen, weil ich dazu erſt etwas Neues haͤtte ſehen muͤſſen. Da mir aber nicht Ein Blatt eines Meiſters zu Gebote ſtand und die praͤchtigen Blaͤtter meiner Phantaſie ſogleich in Nichts ſich aufloͤſten, wenn ich den Stift auf das Papier ſetzte, ſo brachte ich ein truͤbſeliges Gekritzel zu Stande, indem ich aus meiner alten Weiſe her¬ auszukommen ſuchte, welche ich verachtete, waͤhrend ich ſie jetzt ſogar nur verdarb. So quaͤlte ich mich mehrere Tage herum, in Gedanken immer eine gute und ſachgemaͤße Arbeit ſehend, aber rathlos mit der Hand. Es wurde mir angſt und bange, ich glaubte jetzt ſogleich verzweifeln zu muͤſſen, wenn es mir nicht gelaͤnge, und ſeufzend bat ich Gott, mir aus der Klemme zu helfen. Ich betete noch mit den gleichen kindlichen Worten, wie ſchon vor zehn Jahren, immer das Gleiche wiederholend, ſo daß es mir ſelbſt auffiel, als ich halblaut vor mich hin fluͤſterte. Daruͤber nach¬ ſinnend hielt ich mit der haſtigen Arbeit inne

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/23>, abgerufen am 28.03.2024.