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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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nicht zurückbleiben und ebenfalls thun, was er
könne, so lange er hier sei, und ich solle nur gleich
morgen kommen und anfangen.

So richtete ich mich mit großer Befriedigung
bei ihm ein. Den ersten und zweiten Tag ging
es noch ziemlich gemüthlich zu; allein schon am
dritten begann Römer einen ganz anderen Ton
zu singen, indem er urplötzlich höchst kritisch und
streng wurde, meine Arbeit erbarmungslos her¬
unter machte und mir bewies, daß ich nicht nur
noch nichts könne, sondern auch lässig und un¬
achtsam sei. Das kam mir höchst wunderlich
vor, ich nahm mich ein wenig zusammen, was
aber nicht viel Dank einbrachte; im Gegentheil
wurde Römer immer strenger und ironischer in
seinem Tadel, den er nicht in die rücksichtsvollsten
Ausdrücke faßte. Da nahm ich mich ernstlicher
zusammen, der Tadel wurde ebenfalls ernstlich
und fast rührend, bis ich endlich mich ganz zer¬
knirscht und demüthig daran machte, mir bei je¬
dem Striche den Platz, wo er hin sollte, wohl
besah, manchmal ihn zart und bedächtig hinsetzte,
manchmal nach kurzem Erwägen plötzlich wie

nicht zuruͤckbleiben und ebenfalls thun, was er
koͤnne, ſo lange er hier ſei, und ich ſolle nur gleich
morgen kommen und anfangen.

So richtete ich mich mit großer Befriedigung
bei ihm ein. Den erſten und zweiten Tag ging
es noch ziemlich gemuͤthlich zu; allein ſchon am
dritten begann Roͤmer einen ganz anderen Ton
zu ſingen, indem er urploͤtzlich hoͤchſt kritiſch und
ſtreng wurde, meine Arbeit erbarmungslos her¬
unter machte und mir bewies, daß ich nicht nur
noch nichts koͤnne, ſondern auch laͤſſig und un¬
achtſam ſei. Das kam mir hoͤchſt wunderlich
vor, ich nahm mich ein wenig zuſammen, was
aber nicht viel Dank einbrachte; im Gegentheil
wurde Roͤmer immer ſtrenger und ironiſcher in
ſeinem Tadel, den er nicht in die ruͤckſichtsvollſten
Ausdruͤcke faßte. Da nahm ich mich ernſtlicher
zuſammen, der Tadel wurde ebenfalls ernſtlich
und faſt ruͤhrend, bis ich endlich mich ganz zer¬
knirſcht und demuͤthig daran machte, mir bei je¬
dem Striche den Platz, wo er hin ſollte, wohl
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[30/0040] nicht zuruͤckbleiben und ebenfalls thun, was er koͤnne, ſo lange er hier ſei, und ich ſolle nur gleich morgen kommen und anfangen. So richtete ich mich mit großer Befriedigung bei ihm ein. Den erſten und zweiten Tag ging es noch ziemlich gemuͤthlich zu; allein ſchon am dritten begann Roͤmer einen ganz anderen Ton zu ſingen, indem er urploͤtzlich hoͤchſt kritiſch und ſtreng wurde, meine Arbeit erbarmungslos her¬ unter machte und mir bewies, daß ich nicht nur noch nichts koͤnne, ſondern auch laͤſſig und un¬ achtſam ſei. Das kam mir hoͤchſt wunderlich vor, ich nahm mich ein wenig zuſammen, was aber nicht viel Dank einbrachte; im Gegentheil wurde Roͤmer immer ſtrenger und ironiſcher in ſeinem Tadel, den er nicht in die ruͤckſichtsvollſten Ausdruͤcke faßte. Da nahm ich mich ernſtlicher zuſammen, der Tadel wurde ebenfalls ernſtlich und faſt ruͤhrend, bis ich endlich mich ganz zer¬ knirſcht und demuͤthig daran machte, mir bei je¬ dem Striche den Platz, wo er hin ſollte, wohl beſah, manchmal ihn zart und bedaͤchtig hinſetzte, manchmal nach kurzem Erwaͤgen ploͤtzlich wie

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/40>, abgerufen am 28.03.2024.