Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

zwei leichten Strichen angegeben, stiegen in die
Höhe. Davon war Einiges bereits mit der
Schilffeder markirt, dann schien die Arbeit stehen
geblieben. Ueber den ganzen übrigen leeren Raum
schien ein ungeheures graues Spinnennetz zu
hangen, welches sich aber bei näherer Untersu¬
chung als die sonderbarste Arbeit von der Welt
auswies. An eine gedankenlose Kritzelei, welche
Heinrich in einer Ecke angebracht, um die Feder
zu proben, hatte sich nach und nach ein unend¬
liches Gewebe von Federstrichen angesetzt, welches
er jeden Tag und fast jede Stunde in zerstreu¬
tem Hinbrüten weiter spann, so daß es nun den
größten Theil des Rahmens bedeckte. Betrachtete
man das Wirrsal noch genauer, so entdeckte man
den bewunderungswerthesten Zusammenhang, den
löblichsten Fleiß darin, indem es in Einem fort¬
gesetzten Zuge von Federstrichen und Krümmun¬
gen, welche vielleicht Tausende von Ellen aus¬
machten, ein Labyrinth bildete, das vom Anfangs¬
punkte bis zum Ende zu verfolgen war. Zuwei¬
len zeigte sich eine neue Manier, gewissermaßen
eine neue Epoche der Arbeit, neue Muster und

zwei leichten Strichen angegeben, ſtiegen in die
Hoͤhe. Davon war Einiges bereits mit der
Schilffeder markirt, dann ſchien die Arbeit ſtehen
geblieben. Ueber den ganzen uͤbrigen leeren Raum
ſchien ein ungeheures graues Spinnennetz zu
hangen, welches ſich aber bei naͤherer Unterſu¬
chung als die ſonderbarſte Arbeit von der Welt
auswies. An eine gedankenloſe Kritzelei, welche
Heinrich in einer Ecke angebracht, um die Feder
zu proben, hatte ſich nach und nach ein unend¬
liches Gewebe von Federſtrichen angeſetzt, welches
er jeden Tag und faſt jede Stunde in zerſtreu¬
tem Hinbruͤten weiter ſpann, ſo daß es nun den
groͤßten Theil des Rahmens bedeckte. Betrachtete
man das Wirrſal noch genauer, ſo entdeckte man
den bewunderungswertheſten Zuſammenhang, den
loͤblichſten Fleiß darin, indem es in Einem fort¬
geſetzten Zuge von Federſtrichen und Kruͤmmun¬
gen, welche vielleicht Tauſende von Ellen aus¬
machten, ein Labyrinth bildete, das vom Anfangs¬
punkte bis zum Ende zu verfolgen war. Zuwei¬
len zeigte ſich eine neue Manier, gewiſſermaßen
eine neue Epoche der Arbeit, neue Muſter und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0032" n="22"/>
zwei leichten Strichen angegeben, &#x017F;tiegen in die<lb/>
Ho&#x0364;he. Davon war Einiges bereits mit der<lb/>
Schilffeder markirt, dann &#x017F;chien die Arbeit &#x017F;tehen<lb/>
geblieben. Ueber den ganzen u&#x0364;brigen leeren Raum<lb/>
&#x017F;chien ein ungeheures graues Spinnennetz zu<lb/>
hangen, welches &#x017F;ich aber bei na&#x0364;herer Unter&#x017F;<lb/>
chung als die &#x017F;onderbar&#x017F;te Arbeit von der Welt<lb/>
auswies. An eine gedankenlo&#x017F;e Kritzelei, welche<lb/>
Heinrich in einer Ecke angebracht, um die Feder<lb/>
zu proben, hatte &#x017F;ich nach und nach ein unend¬<lb/>
liches Gewebe von Feder&#x017F;trichen ange&#x017F;etzt, welches<lb/>
er jeden Tag und fa&#x017F;t jede Stunde in zer&#x017F;treu¬<lb/>
tem Hinbru&#x0364;ten weiter &#x017F;pann, &#x017F;o daß es nun den<lb/>
gro&#x0364;ßten Theil des Rahmens bedeckte. Betrachtete<lb/>
man das Wirr&#x017F;al noch genauer, &#x017F;o entdeckte man<lb/>
den bewunderungswerthe&#x017F;ten Zu&#x017F;ammenhang, den<lb/>
lo&#x0364;blich&#x017F;ten Fleiß darin, indem es in Einem fort¬<lb/>
ge&#x017F;etzten Zuge von Feder&#x017F;trichen und Kru&#x0364;mmun¬<lb/>
gen, welche vielleicht Tau&#x017F;ende von Ellen aus¬<lb/>
machten, ein Labyrinth bildete, das vom Anfangs¬<lb/>
punkte bis zum Ende zu verfolgen war. Zuwei¬<lb/>
len zeigte &#x017F;ich eine neue Manier, gewi&#x017F;&#x017F;ermaßen<lb/>
eine neue Epoche der Arbeit, neue Mu&#x017F;ter und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22/0032] zwei leichten Strichen angegeben, ſtiegen in die Hoͤhe. Davon war Einiges bereits mit der Schilffeder markirt, dann ſchien die Arbeit ſtehen geblieben. Ueber den ganzen uͤbrigen leeren Raum ſchien ein ungeheures graues Spinnennetz zu hangen, welches ſich aber bei naͤherer Unterſu¬ chung als die ſonderbarſte Arbeit von der Welt auswies. An eine gedankenloſe Kritzelei, welche Heinrich in einer Ecke angebracht, um die Feder zu proben, hatte ſich nach und nach ein unend¬ liches Gewebe von Federſtrichen angeſetzt, welches er jeden Tag und faſt jede Stunde in zerſtreu¬ tem Hinbruͤten weiter ſpann, ſo daß es nun den groͤßten Theil des Rahmens bedeckte. Betrachtete man das Wirrſal noch genauer, ſo entdeckte man den bewunderungswertheſten Zuſammenhang, den loͤblichſten Fleiß darin, indem es in Einem fort¬ geſetzten Zuge von Federſtrichen und Kruͤmmun¬ gen, welche vielleicht Tauſende von Ellen aus¬ machten, ein Labyrinth bildete, das vom Anfangs¬ punkte bis zum Ende zu verfolgen war. Zuwei¬ len zeigte ſich eine neue Manier, gewiſſermaßen eine neue Epoche der Arbeit, neue Muſter und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/32
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/32>, abgerufen am 19.04.2024.