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Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872.

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worden, und zwar wie eine Purpurnelke, und sie
sagte, während ihr das Herz klopfte: "Mein Bescheid
ist bald gegeben, da ich aus deinen Worten entnehme,
daß du mich nicht liebst, o Aquilinus! Dieses könnte
mir gleichgiltig sein, wenn es nicht beleidigend wäre
für die Tochter eines edlen Römers, angelogen zu
werden!"

"Ich lüge nie!" sagte Aquilinus kalt; "lebe wohl!"

Eugenia wandte sich ab, ohne seinen Abschied zu
erwiedern, und Aquilinus schritt langsam aus dem
Hause nach seiner Wohnung. Jene wollte, als ob
nichts geschehen wäre, ihre Bücher vornehmen; allein
die Schrift verwirrte sich vor ihren Augen und die
Hyazinthen mußten ihr vorlesen, indessen sie voll
heißen Aergers mit ihren Gedanken anderwärts
schweifte.

Denn wenn sie bis auf diesen Tag den Consul
als denjenigen betrachtet hatte, den sie allein unter
allen Freiern zum Gemahl haben mochte, wenn es
ihr allenfalls gefiele, so war er ihr jetzt ein Stein
des Anstoßes geworden, über den sie nicht hinweg
kommen konnte.

Aquilinus seinerseits verwaltete ruhig seine Ge¬
schäfte und seufzte heimlich über seine eigene Thor¬
heit, welche ihn die pedantische Schöne nicht ver¬
gessen ließ.

worden, und zwar wie eine Purpurnelke, und ſie
ſagte, während ihr das Herz klopfte: „Mein Beſcheid
iſt bald gegeben, da ich aus deinen Worten entnehme,
daß du mich nicht liebſt, o Aquilinus! Dieſes könnte
mir gleichgiltig ſein, wenn es nicht beleidigend wäre
für die Tochter eines edlen Römers, angelogen zu
werden!“

„Ich lüge nie!“ ſagte Aquilinus kalt; „lebe wohl!“

Eugenia wandte ſich ab, ohne ſeinen Abſchied zu
erwiedern, und Aquilinus ſchritt langſam aus dem
Hauſe nach ſeiner Wohnung. Jene wollte, als ob
nichts geſchehen wäre, ihre Bücher vornehmen; allein
die Schrift verwirrte ſich vor ihren Augen und die
Hyazinthen mußten ihr vorleſen, indeſſen ſie voll
heißen Aergers mit ihren Gedanken anderwärts
ſchweifte.

Denn wenn ſie bis auf dieſen Tag den Conſul
als denjenigen betrachtet hatte, den ſie allein unter
allen Freiern zum Gemahl haben mochte, wenn es
ihr allenfalls gefiele, ſo war er ihr jetzt ein Stein
des Anſtoßes geworden, über den ſie nicht hinweg
kommen konnte.

Aquilinus ſeinerſeits verwaltete ruhig ſeine Ge¬
ſchäfte und ſeufzte heimlich über ſeine eigene Thor¬
heit, welche ihn die pedantiſche Schöne nicht ver¬
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[8/0022] worden, und zwar wie eine Purpurnelke, und ſie ſagte, während ihr das Herz klopfte: „Mein Beſcheid iſt bald gegeben, da ich aus deinen Worten entnehme, daß du mich nicht liebſt, o Aquilinus! Dieſes könnte mir gleichgiltig ſein, wenn es nicht beleidigend wäre für die Tochter eines edlen Römers, angelogen zu werden!“ „Ich lüge nie!“ ſagte Aquilinus kalt; „lebe wohl!“ Eugenia wandte ſich ab, ohne ſeinen Abſchied zu erwiedern, und Aquilinus ſchritt langſam aus dem Hauſe nach ſeiner Wohnung. Jene wollte, als ob nichts geſchehen wäre, ihre Bücher vornehmen; allein die Schrift verwirrte ſich vor ihren Augen und die Hyazinthen mußten ihr vorleſen, indeſſen ſie voll heißen Aergers mit ihren Gedanken anderwärts ſchweifte. Denn wenn ſie bis auf dieſen Tag den Conſul als denjenigen betrachtet hatte, den ſie allein unter allen Freiern zum Gemahl haben mochte, wenn es ihr allenfalls gefiele, ſo war er ihr jetzt ein Stein des Anſtoßes geworden, über den ſie nicht hinweg kommen konnte. Aquilinus ſeinerſeits verwaltete ruhig ſeine Ge¬ ſchäfte und ſeufzte heimlich über ſeine eigene Thor¬ heit, welche ihn die pedantiſche Schöne nicht ver¬ geſſen ließ.

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_legenden_1872/22>, abgerufen am 28.03.2024.