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Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872.

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ward sogar, als der Abt starb, zu dessen Nachfolger
erwählt, also daß nun die feine Eugenia ein Abt
war über siebenzig gute Mönche, kleine und große.

Während der Zeit, als sie so plötzlich verschwun¬
den war mit ihren Gefährten und nirgends mehr
aufzufinden, hatte ihr Vater ein Orakel befragen
lassen, was aus seiner Tochter geworden sei, und
dieses verkündete, Eugenia sei von den Göttern ent¬
rückt und unter die Sterne versetzt worden. Denn
die Priester benützten das Ereigniß, um den Christen
gegenüber ein Mirakel aufzuweisen, während diese den
Hasen längst in der Küche hatten. Man bezeichnete
sogar einen Stern am Firmament mit zwei kleineren
Nebenschnüppchen als das neue Sternbild, und die
Alexandriner standen auf den Straßen und den Zin¬
nen ihrer Häuser und schauten hinauf, und Mancher,
der sie einst hatte herumgehen sehen und sich ihrer
Schönheit erinnerte, verliebte sich nachträglich in sie
und guckte mit feuchten Augen in den Stern, der
ruhig im dunkeln Blau schwamm.

Auch Aquilinus sah hinauf; aber er schüttelte den
Kopf und die Sache wollte ihm nicht einleuchten.
Desto fester glaubte der Vater der Verschwundenen
daran, fühlte sich nicht wenig erhoben und wußte es
mit Hilfe der Priester durchzusetzen, daß Eugenien
eine Bildsäule errichtet und göttliche Ehren erwiesen

ward ſogar, als der Abt ſtarb, zu deſſen Nachfolger
erwählt, alſo daß nun die feine Eugenia ein Abt
war über ſiebenzig gute Mönche, kleine und große.

Während der Zeit, als ſie ſo plötzlich verſchwun¬
den war mit ihren Gefährten und nirgends mehr
aufzufinden, hatte ihr Vater ein Orakel befragen
laſſen, was aus ſeiner Tochter geworden ſei, und
dieſes verkündete, Eugenia ſei von den Göttern ent¬
rückt und unter die Sterne verſetzt worden. Denn
die Prieſter benützten das Ereigniß, um den Chriſten
gegenüber ein Mirakel aufzuweiſen, während dieſe den
Haſen längſt in der Küche hatten. Man bezeichnete
ſogar einen Stern am Firmament mit zwei kleineren
Nebenſchnüppchen als das neue Sternbild, und die
Alexandriner ſtanden auf den Straßen und den Zin¬
nen ihrer Häuſer und ſchauten hinauf, und Mancher,
der ſie einſt hatte herumgehen ſehen und ſich ihrer
Schönheit erinnerte, verliebte ſich nachträglich in ſie
und guckte mit feuchten Augen in den Stern, der
ruhig im dunkeln Blau ſchwamm.

Auch Aquilinus ſah hinauf; aber er ſchüttelte den
Kopf und die Sache wollte ihm nicht einleuchten.
Deſto feſter glaubte der Vater der Verſchwundenen
daran, fühlte ſich nicht wenig erhoben und wußte es
mit Hilfe der Prieſter durchzuſetzen, daß Eugenien
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[12/0026] ward ſogar, als der Abt ſtarb, zu deſſen Nachfolger erwählt, alſo daß nun die feine Eugenia ein Abt war über ſiebenzig gute Mönche, kleine und große. Während der Zeit, als ſie ſo plötzlich verſchwun¬ den war mit ihren Gefährten und nirgends mehr aufzufinden, hatte ihr Vater ein Orakel befragen laſſen, was aus ſeiner Tochter geworden ſei, und dieſes verkündete, Eugenia ſei von den Göttern ent¬ rückt und unter die Sterne verſetzt worden. Denn die Prieſter benützten das Ereigniß, um den Chriſten gegenüber ein Mirakel aufzuweiſen, während dieſe den Haſen längſt in der Küche hatten. Man bezeichnete ſogar einen Stern am Firmament mit zwei kleineren Nebenſchnüppchen als das neue Sternbild, und die Alexandriner ſtanden auf den Straßen und den Zin¬ nen ihrer Häuſer und ſchauten hinauf, und Mancher, der ſie einſt hatte herumgehen ſehen und ſich ihrer Schönheit erinnerte, verliebte ſich nachträglich in ſie und guckte mit feuchten Augen in den Stern, der ruhig im dunkeln Blau ſchwamm. Auch Aquilinus ſah hinauf; aber er ſchüttelte den Kopf und die Sache wollte ihm nicht einleuchten. Deſto feſter glaubte der Vater der Verſchwundenen daran, fühlte ſich nicht wenig erhoben und wußte es mit Hilfe der Prieſter durchzuſetzen, daß Eugenien eine Bildſäule errichtet und göttliche Ehren erwieſen

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_legenden_1872/26>, abgerufen am 29.03.2024.