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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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Pankraz, der Schmoller.

Auf einem stillen Seitenplätzchen, nahe an
der Stadtmauer, lebte die Wittwe eines Seld¬
wylers, der schon lange fertig geworden und
unter dem Boden war. Dieser war keiner von
den schlimmsten gewesen, vielmehr fühlte er eine
so starke Sehnsucht, ein ordentlicher und fester
Mann zu sein, daß ihn der herrschende Ton,
dem er als junger Mensch nicht entgehen konnte,
angriff, und als seine Glanzzeit vorüber war
und er der Sitte gemäß abtreten mußte von
dem Schauplatze der Thaten, da kam ihm alles
wie ein wüster Traum und wie ein Betrug um
das Leben vor, und er bekam davon die Aus¬
zehrung und starb unverweilt.

Er hinterließ seiner Wittwe ein kleines
baufälliges Häuschen, einen Kartoffelacker vor
dem Thore und zwei Kinder, einen Sohn und

Pankraz, der Schmoller.

Auf einem ſtillen Seitenplätzchen, nahe an
der Stadtmauer, lebte die Wittwe eines Seld¬
wylers, der ſchon lange fertig geworden und
unter dem Boden war. Dieſer war keiner von
den ſchlimmſten geweſen, vielmehr fühlte er eine
ſo ſtarke Sehnſucht, ein ordentlicher und feſter
Mann zu ſein, daß ihn der herrſchende Ton,
dem er als junger Menſch nicht entgehen konnte,
angriff, und als ſeine Glanzzeit vorüber war
und er der Sitte gemäß abtreten mußte von
dem Schauplatze der Thaten, da kam ihm alles
wie ein wüſter Traum und wie ein Betrug um
das Leben vor, und er bekam davon die Aus¬
zehrung und ſtarb unverweilt.

Er hinterließ ſeiner Wittwe ein kleines
baufälliges Häuschen, einen Kartoffelacker vor
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[9/0021] Pankraz, der Schmoller. Auf einem ſtillen Seitenplätzchen, nahe an der Stadtmauer, lebte die Wittwe eines Seld¬ wylers, der ſchon lange fertig geworden und unter dem Boden war. Dieſer war keiner von den ſchlimmſten geweſen, vielmehr fühlte er eine ſo ſtarke Sehnſucht, ein ordentlicher und feſter Mann zu ſein, daß ihn der herrſchende Ton, dem er als junger Menſch nicht entgehen konnte, angriff, und als ſeine Glanzzeit vorüber war und er der Sitte gemäß abtreten mußte von dem Schauplatze der Thaten, da kam ihm alles wie ein wüſter Traum und wie ein Betrug um das Leben vor, und er bekam davon die Aus¬ zehrung und ſtarb unverweilt. Er hinterließ ſeiner Wittwe ein kleines baufälliges Häuschen, einen Kartoffelacker vor dem Thore und zwei Kinder, einen Sohn und

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/21>, abgerufen am 29.03.2024.