Auf einem stillen Seitenplätzchen, nahe an der Stadtmauer, lebte die Wittwe eines Seld¬ wylers, der schon lange fertig geworden und unter dem Boden war. Dieser war keiner von den schlimmsten gewesen, vielmehr fühlte er eine so starke Sehnsucht, ein ordentlicher und fester Mann zu sein, daß ihn der herrschende Ton, dem er als junger Mensch nicht entgehen konnte, angriff, und als seine Glanzzeit vorüber war und er der Sitte gemäß abtreten mußte von dem Schauplatze der Thaten, da kam ihm alles wie ein wüster Traum und wie ein Betrug um das Leben vor, und er bekam davon die Aus¬ zehrung und starb unverweilt.
Er hinterließ seiner Wittwe ein kleines baufälliges Häuschen, einen Kartoffelacker vor dem Thore und zwei Kinder, einen Sohn und
Pankraz, der Schmoller.
Auf einem ſtillen Seitenplätzchen, nahe an der Stadtmauer, lebte die Wittwe eines Seld¬ wylers, der ſchon lange fertig geworden und unter dem Boden war. Dieſer war keiner von den ſchlimmſten geweſen, vielmehr fühlte er eine ſo ſtarke Sehnſucht, ein ordentlicher und feſter Mann zu ſein, daß ihn der herrſchende Ton, dem er als junger Menſch nicht entgehen konnte, angriff, und als ſeine Glanzzeit vorüber war und er der Sitte gemäß abtreten mußte von dem Schauplatze der Thaten, da kam ihm alles wie ein wüſter Traum und wie ein Betrug um das Leben vor, und er bekam davon die Aus¬ zehrung und ſtarb unverweilt.
Er hinterließ ſeiner Wittwe ein kleines baufälliges Häuschen, einen Kartoffelacker vor dem Thore und zwei Kinder, einen Sohn und
<TEI><text><body><pbfacs="#f0021"n="9"/><divn="1"><head><hirendition="#fr">Pankraz, der Schmoller.</hi><lb/></head><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p><hirendition="#in">A</hi>uf einem ſtillen Seitenplätzchen, nahe an<lb/>
der Stadtmauer, lebte die Wittwe eines Seld¬<lb/>
wylers, der ſchon lange fertig geworden und<lb/>
unter dem Boden war. Dieſer war keiner von<lb/>
den ſchlimmſten geweſen, vielmehr fühlte er eine<lb/>ſo ſtarke Sehnſucht, ein ordentlicher und feſter<lb/>
Mann zu ſein, daß ihn der herrſchende Ton,<lb/>
dem er als junger Menſch nicht entgehen konnte,<lb/>
angriff, und als ſeine Glanzzeit vorüber war<lb/>
und er der Sitte gemäß abtreten mußte von<lb/>
dem Schauplatze der Thaten, da kam ihm alles<lb/>
wie ein wüſter Traum und wie ein Betrug um<lb/>
das Leben vor, und er bekam davon die Aus¬<lb/>
zehrung und ſtarb unverweilt.</p><lb/><p>Er hinterließ ſeiner Wittwe ein kleines<lb/>
baufälliges Häuschen, einen Kartoffelacker vor<lb/>
dem Thore und zwei Kinder, einen Sohn und<lb/></p></div></body></text></TEI>
[9/0021]
Pankraz, der Schmoller.
Auf einem ſtillen Seitenplätzchen, nahe an
der Stadtmauer, lebte die Wittwe eines Seld¬
wylers, der ſchon lange fertig geworden und
unter dem Boden war. Dieſer war keiner von
den ſchlimmſten geweſen, vielmehr fühlte er eine
ſo ſtarke Sehnſucht, ein ordentlicher und feſter
Mann zu ſein, daß ihn der herrſchende Ton,
dem er als junger Menſch nicht entgehen konnte,
angriff, und als ſeine Glanzzeit vorüber war
und er der Sitte gemäß abtreten mußte von
dem Schauplatze der Thaten, da kam ihm alles
wie ein wüſter Traum und wie ein Betrug um
das Leben vor, und er bekam davon die Aus¬
zehrung und ſtarb unverweilt.
Er hinterließ ſeiner Wittwe ein kleines
baufälliges Häuschen, einen Kartoffelacker vor
dem Thore und zwei Kinder, einen Sohn und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/21>, abgerufen am 14.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.