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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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del legte, das durch ein Endchen alte Goldtresse
zusammengehalten wurde. In diesem Bündelchen
stack hauptsächlich ein kleines Heft, aus einem
zusammengefalteten Bogen Goldpapier gefertigt,
dessen weiße Rückseiten mit allerlei Linien, Fi¬
guren und aufgereihten Punkten, dazwischen Rauch¬
wolken und fliegende Bomben, gefüllt und be¬
schrieben waren. Dies Büchlein betrachtete er oft
mit großer Befriedigung und brachte neue Zeich¬
nungen darin an, meistens um die Zeit, wenn
das Kartoffelfeld in voller Blüthe stand. Er
lag dann im blühenden Kraut unter dem blauen
Himmel, und wenn er eine weiße beschriebene
Seite betrachtet hatte, so schaute er drei Mal
so lange in das gegenüberstehende glänzende
Goldblatt, in welchem sich die Sonne brach. Im
Übrigen war es ein eigensinniger und zum Schmol¬
len geneigter Junge, welcher nie lachte und auf
Gottes lieber Welt nichts that oder lernte.

Seine Schwester war zwölf Jahre alt und
ein bildschönes Kind mit langem und dickem
braunen Haar, großen braunen Augen und der
allerweißesten Hautfarbe. Dies Mädchen war
sanft und still, ließ sich vieles gefallen und

del legte, das durch ein Endchen alte Goldtreſſe
zuſammengehalten wurde. In dieſem Bündelchen
ſtack hauptſächlich ein kleines Heft, aus einem
zuſammengefalteten Bogen Goldpapier gefertigt,
deſſen weiße Rückſeiten mit allerlei Linien, Fi¬
guren und aufgereihten Punkten, dazwiſchen Rauch¬
wolken und fliegende Bomben, gefüllt und be¬
ſchrieben waren. Dies Büchlein betrachtete er oft
mit großer Befriedigung und brachte neue Zeich¬
nungen darin an, meiſtens um die Zeit, wenn
das Kartoffelfeld in voller Blüthe ſtand. Er
lag dann im blühenden Kraut unter dem blauen
Himmel, und wenn er eine weiße beſchriebene
Seite betrachtet hatte, ſo ſchaute er drei Mal
ſo lange in das gegenüberſtehende glänzende
Goldblatt, in welchem ſich die Sonne brach. Im
Übrigen war es ein eigenſinniger und zum Schmol¬
len geneigter Junge, welcher nie lachte und auf
Gottes lieber Welt nichts that oder lernte.

Seine Schweſter war zwölf Jahre alt und
ein bildſchönes Kind mit langem und dickem
braunen Haar, großen braunen Augen und der
allerweißeſten Hautfarbe. Dies Mädchen war
ſanft und ſtill, ließ ſich vieles gefallen und

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[12/0024] del legte, das durch ein Endchen alte Goldtreſſe zuſammengehalten wurde. In dieſem Bündelchen ſtack hauptſächlich ein kleines Heft, aus einem zuſammengefalteten Bogen Goldpapier gefertigt, deſſen weiße Rückſeiten mit allerlei Linien, Fi¬ guren und aufgereihten Punkten, dazwiſchen Rauch¬ wolken und fliegende Bomben, gefüllt und be¬ ſchrieben waren. Dies Büchlein betrachtete er oft mit großer Befriedigung und brachte neue Zeich¬ nungen darin an, meiſtens um die Zeit, wenn das Kartoffelfeld in voller Blüthe ſtand. Er lag dann im blühenden Kraut unter dem blauen Himmel, und wenn er eine weiße beſchriebene Seite betrachtet hatte, ſo ſchaute er drei Mal ſo lange in das gegenüberſtehende glänzende Goldblatt, in welchem ſich die Sonne brach. Im Übrigen war es ein eigenſinniger und zum Schmol¬ len geneigter Junge, welcher nie lachte und auf Gottes lieber Welt nichts that oder lernte. Seine Schweſter war zwölf Jahre alt und ein bildſchönes Kind mit langem und dickem braunen Haar, großen braunen Augen und der allerweißeſten Hautfarbe. Dies Mädchen war ſanft und ſtill, ließ ſich vieles gefallen und

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/24>, abgerufen am 25.04.2024.