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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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ausgeben will und an der Arbeitstreue nur einen
Nutzen, aber keine Freude findet. Solche Ge¬
rechte werfen keine Laternen ein, aber sie zünden
auch keine an und kein Licht geht von ihnen aus;
sie treiben allerlei Hanthierung und eine ist ih¬
nen so gut wie die andere, wenn sie nur mit
keiner Fährlichkeit verbunden ist; am liebsten sie¬
deln sie sich dort an, wo recht viele Ungerechte
in ihrem Sinne sind; denn sie unter einander,
wenn keine solche zwischen ihnen wären, würden
sich bald abreiben, wie Mühlsteine, zwischen de¬
nen kein Korn liegt. Wenn diese ein Unglück
betrifft, so sind sie höchst verwundert und jam¬
mern, als ob sie am Spieße stäcken, da sie doch
Niemandem was zu Leid gethan haben; denn
sie betrachten die Welt als eine große wohlge¬
sicherte Polizeianstalt, wo keiner eine Kontra¬
ventionsbuße zu fürchten braucht, wenn er vor
seiner Thüre fleißig kehrt, keine Blumentöpfe
unverwahrt vor das Fenster stellt und kein Wasser
aus demselben gießt.

Zu Seldwyl bestand ein Kammmachergeschäft,
dessen Inhaber gewohnterweise alle fünf bis sechs
Jahre wechselten, obgleich es ein gutes Geschäft

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ausgeben will und an der Arbeitstreue nur einen
Nutzen, aber keine Freude findet. Solche Ge¬
rechte werfen keine Laternen ein, aber ſie zünden
auch keine an und kein Licht geht von ihnen aus;
ſie treiben allerlei Hanthierung und eine iſt ih¬
nen ſo gut wie die andere, wenn ſie nur mit
keiner Fährlichkeit verbunden iſt; am liebſten ſie¬
deln ſie ſich dort an, wo recht viele Ungerechte
in ihrem Sinne ſind; denn ſie unter einander,
wenn keine ſolche zwiſchen ihnen wären, würden
ſich bald abreiben, wie Mühlſteine, zwiſchen de¬
nen kein Korn liegt. Wenn dieſe ein Unglück
betrifft, ſo ſind ſie höchſt verwundert und jam¬
mern, als ob ſie am Spieße ſtäcken, da ſie doch
Niemandem was zu Leid gethan haben; denn
ſie betrachten die Welt als eine große wohlge¬
ſicherte Polizeianſtalt, wo keiner eine Kontra¬
ventionsbuße zu fürchten braucht, wenn er vor
ſeiner Thüre fleißig kehrt, keine Blumentöpfe
unverwahrt vor das Fenſter ſtellt und kein Waſſer
aus demſelben gießt.

Zu Seldwyl beſtand ein Kammmachergeſchäft,
deſſen Inhaber gewohnterweiſe alle fünf bis ſechs
Jahre wechſelten, obgleich es ein gutes Geſchäft

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[361/0373] ausgeben will und an der Arbeitstreue nur einen Nutzen, aber keine Freude findet. Solche Ge¬ rechte werfen keine Laternen ein, aber ſie zünden auch keine an und kein Licht geht von ihnen aus; ſie treiben allerlei Hanthierung und eine iſt ih¬ nen ſo gut wie die andere, wenn ſie nur mit keiner Fährlichkeit verbunden iſt; am liebſten ſie¬ deln ſie ſich dort an, wo recht viele Ungerechte in ihrem Sinne ſind; denn ſie unter einander, wenn keine ſolche zwiſchen ihnen wären, würden ſich bald abreiben, wie Mühlſteine, zwiſchen de¬ nen kein Korn liegt. Wenn dieſe ein Unglück betrifft, ſo ſind ſie höchſt verwundert und jam¬ mern, als ob ſie am Spieße ſtäcken, da ſie doch Niemandem was zu Leid gethan haben; denn ſie betrachten die Welt als eine große wohlge¬ ſicherte Polizeianſtalt, wo keiner eine Kontra¬ ventionsbuße zu fürchten braucht, wenn er vor ſeiner Thüre fleißig kehrt, keine Blumentöpfe unverwahrt vor das Fenſter ſtellt und kein Waſſer aus demſelben gießt. Zu Seldwyl beſtand ein Kammmachergeſchäft, deſſen Inhaber gewohnterweiſe alle fünf bis ſechs Jahre wechſelten, obgleich es ein gutes Geſchäft 23 *

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/373>, abgerufen am 18.04.2024.