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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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geschoben, wiederum zum großen Ergötzen Esther¬
chens, die bei jeder Gelegenheit ihm die Leuchte
wieder wegzupraktiziren verstanden. Ach, ein¬
mal hatte er sie zornig weinend ausgelöscht, und
als die Mutter sie bekümmert wieder angezündet,
blies sie Estherchen lachend wieder aus, worauf
er zerrissenen Herzens in's Bett rannte. Dies
und noch anderes war ihm auf dem Wege ein¬
gefallen, und indem er schmerzlich und bang kaum
erleben mochte, ob er die Verlassenen wieder¬
sehen würde, kaufte er auch noch einige Wachs¬
kerzen ein, und zündete jetzo zwei derselben an,
so daß die Frauensleute sich nicht zu lassen
wußten vor Verwunderung ob all' der Herr¬
lichkeit.

Dergestalt ging es wie auf einer kleinen Hoch¬
zeit in dem Häuschen der Wittwe, nur viel stiller,
und Pankraz benutzte das helle Licht der Kerzen,
die gealterten Gesichter seiner Mutter und Schwe¬
ster zu sehen und dies Sehen rührte ihn stärker,
als alle Gefahren, denen er in's Gesicht ge¬
schaut. Er verfiel in ein tiefes trauriges Sin¬
nen über die menschliche Art und das mensch¬
liche Leben, und wie gerade unsere kleineren

geſchoben, wiederum zum großen Ergötzen Eſther¬
chens, die bei jeder Gelegenheit ihm die Leuchte
wieder wegzupraktiziren verſtanden. Ach, ein¬
mal hatte er ſie zornig weinend ausgelöſcht, und
als die Mutter ſie bekümmert wieder angezündet,
blies ſie Eſtherchen lachend wieder aus, worauf
er zerriſſenen Herzens in's Bett rannte. Dies
und noch anderes war ihm auf dem Wege ein¬
gefallen, und indem er ſchmerzlich und bang kaum
erleben mochte, ob er die Verlaſſenen wieder¬
ſehen würde, kaufte er auch noch einige Wachs¬
kerzen ein, und zündete jetzo zwei derſelben an,
ſo daß die Frauensleute ſich nicht zu laſſen
wußten vor Verwunderung ob all' der Herr¬
lichkeit.

Dergeſtalt ging es wie auf einer kleinen Hoch¬
zeit in dem Häuschen der Wittwe, nur viel ſtiller,
und Pankraz benutzte das helle Licht der Kerzen,
die gealterten Geſichter ſeiner Mutter und Schwe¬
ſter zu ſehen und dies Sehen rührte ihn ſtärker,
als alle Gefahren, denen er in's Geſicht ge¬
ſchaut. Er verfiel in ein tiefes trauriges Sin¬
nen über die menſchliche Art und das menſch¬
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[30/0042] geſchoben, wiederum zum großen Ergötzen Eſther¬ chens, die bei jeder Gelegenheit ihm die Leuchte wieder wegzupraktiziren verſtanden. Ach, ein¬ mal hatte er ſie zornig weinend ausgelöſcht, und als die Mutter ſie bekümmert wieder angezündet, blies ſie Eſtherchen lachend wieder aus, worauf er zerriſſenen Herzens in's Bett rannte. Dies und noch anderes war ihm auf dem Wege ein¬ gefallen, und indem er ſchmerzlich und bang kaum erleben mochte, ob er die Verlaſſenen wieder¬ ſehen würde, kaufte er auch noch einige Wachs¬ kerzen ein, und zündete jetzo zwei derſelben an, ſo daß die Frauensleute ſich nicht zu laſſen wußten vor Verwunderung ob all' der Herr¬ lichkeit. Dergeſtalt ging es wie auf einer kleinen Hoch¬ zeit in dem Häuschen der Wittwe, nur viel ſtiller, und Pankraz benutzte das helle Licht der Kerzen, die gealterten Geſichter ſeiner Mutter und Schwe¬ ſter zu ſehen und dies Sehen rührte ihn ſtärker, als alle Gefahren, denen er in's Geſicht ge¬ ſchaut. Er verfiel in ein tiefes trauriges Sin¬ nen über die menſchliche Art und das menſch¬ liche Leben, und wie gerade unſere kleineren

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/42>, abgerufen am 28.03.2024.