Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

und Landschaften von Haar, Alles symmetrisch aufgehängt
und mit reinlichem Glase bedeckt. In Glasschränken
glänzten Porzellantassen mit Namenszügen, geschliffene
Gläser mit Inschriften, Wachsblumen und Kirchenbücher
mit vergoldeten Schlössern.

So sah auch die Pfarrerstochter aus, wie wenn sie
eben aus einem mit Spezereien durchdufteten Glasschranke
käme, als sie, sorgfältig geputzt, wieder eintrat. Sie
trug ein himmelblau seidenes Kleidchen, das knapp genug
einen rundlichen Busen umspannte, auf welchen die liebe,
ernsthafte Nase immerfort hinab zeigte. Auch hatte sie
zwei goldene Löcklein entfesselt und eine schneeweiße Küchen¬
schürze umgebunden; und sie setzte einen Pudding so sorg¬
fältig auf den Tisch, wie wenn sie die Weltkugel hielte.
Dabei duftete sie angenehm nach dem würzigen Kuchen,
den sie eben gebacken hatte.

Ihre Eltern behandelten sie aber so feierlich und
gemessen, daß sie ohne sichtbaren Grund oftmals erröthete
und bald wieder wegging. Sie machte sich auf dem Hofe
zu schaffen, wo Reinharts Pferd angebunden war, und in
eifriger Fürsorge fütterte sie das Thier. Sie rückte ihm
ein Gartentischchen unter die Nase und setzte ihm in ihrem
Strickkörbchen einige Brocken Hausbrot, halbe Semmeln
und Zwiebäcke vor, nebst einer guten Handvoll Salat¬
blätter; auch stellte sie ein grünes Gießkännchen mit
Wasser daneben, streichelte das Pferd mit zager Hand
und trieb tausend fromme Dinge. Dann ging sie in ihr

Keller, Sinngedicht. 2

und Landſchaften von Haar, Alles ſymmetriſch aufgehängt
und mit reinlichem Glaſe bedeckt. In Glasſchränken
glänzten Porzellantaſſen mit Namenszügen, geſchliffene
Gläſer mit Inſchriften, Wachsblumen und Kirchenbücher
mit vergoldeten Schlöſſern.

So ſah auch die Pfarrerstochter aus, wie wenn ſie
eben aus einem mit Spezereien durchdufteten Glasſchranke
käme, als ſie, ſorgfältig geputzt, wieder eintrat. Sie
trug ein himmelblau ſeidenes Kleidchen, das knapp genug
einen rundlichen Buſen umſpannte, auf welchen die liebe,
ernſthafte Naſe immerfort hinab zeigte. Auch hatte ſie
zwei goldene Löcklein entfeſſelt und eine ſchneeweiße Küchen¬
ſchürze umgebunden; und ſie ſetzte einen Pudding ſo ſorg¬
fältig auf den Tiſch, wie wenn ſie die Weltkugel hielte.
Dabei duftete ſie angenehm nach dem würzigen Kuchen,
den ſie eben gebacken hatte.

Ihre Eltern behandelten ſie aber ſo feierlich und
gemeſſen, daß ſie ohne ſichtbaren Grund oftmals erröthete
und bald wieder wegging. Sie machte ſich auf dem Hofe
zu ſchaffen, wo Reinharts Pferd angebunden war, und in
eifriger Fürſorge fütterte ſie das Thier. Sie rückte ihm
ein Gartentiſchchen unter die Naſe und ſetzte ihm in ihrem
Strickkörbchen einige Brocken Hausbrot, halbe Semmeln
und Zwiebäcke vor, nebſt einer guten Handvoll Salat¬
blätter; auch ſtellte ſie ein grünes Gießkännchen mit
Waſſer daneben, ſtreichelte das Pferd mit zager Hand
und trieb tauſend fromme Dinge. Dann ging ſie in ihr

Keller, Sinngedicht. 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0027" n="17"/>
und Land&#x017F;chaften von Haar, Alles &#x017F;ymmetri&#x017F;ch aufgehängt<lb/>
und mit reinlichem Gla&#x017F;e bedeckt. In Glas&#x017F;chränken<lb/>
glänzten Porzellanta&#x017F;&#x017F;en mit Namenszügen, ge&#x017F;chliffene<lb/>
Glä&#x017F;er mit In&#x017F;chriften, Wachsblumen und Kirchenbücher<lb/>
mit vergoldeten Schlö&#x017F;&#x017F;ern.</p><lb/>
          <p>So &#x017F;ah auch die Pfarrerstochter aus, wie wenn &#x017F;ie<lb/>
eben aus einem mit Spezereien durchdufteten Glas&#x017F;chranke<lb/>
käme, als &#x017F;ie, &#x017F;orgfältig geputzt, wieder eintrat. Sie<lb/>
trug ein himmelblau &#x017F;eidenes Kleidchen, das knapp genug<lb/>
einen rundlichen Bu&#x017F;en um&#x017F;pannte, auf welchen die liebe,<lb/>
ern&#x017F;thafte Na&#x017F;e immerfort hinab zeigte. Auch hatte &#x017F;ie<lb/>
zwei goldene Löcklein entfe&#x017F;&#x017F;elt und eine &#x017F;chneeweiße Küchen¬<lb/>
&#x017F;chürze umgebunden; und &#x017F;ie &#x017F;etzte einen Pudding &#x017F;o &#x017F;org¬<lb/>
fältig auf den Ti&#x017F;ch, wie wenn &#x017F;ie die Weltkugel hielte.<lb/>
Dabei duftete &#x017F;ie angenehm nach dem würzigen Kuchen,<lb/>
den &#x017F;ie eben gebacken hatte.</p><lb/>
          <p>Ihre Eltern behandelten &#x017F;ie aber &#x017F;o feierlich und<lb/>
geme&#x017F;&#x017F;en, daß &#x017F;ie ohne &#x017F;ichtbaren Grund oftmals erröthete<lb/>
und bald wieder wegging. Sie machte &#x017F;ich auf dem Hofe<lb/>
zu &#x017F;chaffen, wo Reinharts Pferd angebunden war, und in<lb/>
eifriger Für&#x017F;orge fütterte &#x017F;ie das Thier. Sie rückte ihm<lb/>
ein Gartenti&#x017F;chchen unter die Na&#x017F;e und &#x017F;etzte ihm in ihrem<lb/>
Strickkörbchen einige Brocken Hausbrot, halbe Semmeln<lb/>
und Zwiebäcke vor, neb&#x017F;t einer guten Handvoll Salat¬<lb/>
blätter; auch &#x017F;tellte &#x017F;ie ein grünes Gießkännchen mit<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er daneben, &#x017F;treichelte das Pferd mit zager Hand<lb/>
und trieb tau&#x017F;end fromme Dinge. Dann ging &#x017F;ie in ihr<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Keller</hi>, Sinngedicht. 2<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[17/0027] und Landſchaften von Haar, Alles ſymmetriſch aufgehängt und mit reinlichem Glaſe bedeckt. In Glasſchränken glänzten Porzellantaſſen mit Namenszügen, geſchliffene Gläſer mit Inſchriften, Wachsblumen und Kirchenbücher mit vergoldeten Schlöſſern. So ſah auch die Pfarrerstochter aus, wie wenn ſie eben aus einem mit Spezereien durchdufteten Glasſchranke käme, als ſie, ſorgfältig geputzt, wieder eintrat. Sie trug ein himmelblau ſeidenes Kleidchen, das knapp genug einen rundlichen Buſen umſpannte, auf welchen die liebe, ernſthafte Naſe immerfort hinab zeigte. Auch hatte ſie zwei goldene Löcklein entfeſſelt und eine ſchneeweiße Küchen¬ ſchürze umgebunden; und ſie ſetzte einen Pudding ſo ſorg¬ fältig auf den Tiſch, wie wenn ſie die Weltkugel hielte. Dabei duftete ſie angenehm nach dem würzigen Kuchen, den ſie eben gebacken hatte. Ihre Eltern behandelten ſie aber ſo feierlich und gemeſſen, daß ſie ohne ſichtbaren Grund oftmals erröthete und bald wieder wegging. Sie machte ſich auf dem Hofe zu ſchaffen, wo Reinharts Pferd angebunden war, und in eifriger Fürſorge fütterte ſie das Thier. Sie rückte ihm ein Gartentiſchchen unter die Naſe und ſetzte ihm in ihrem Strickkörbchen einige Brocken Hausbrot, halbe Semmeln und Zwiebäcke vor, nebſt einer guten Handvoll Salat¬ blätter; auch ſtellte ſie ein grünes Gießkännchen mit Waſſer daneben, ſtreichelte das Pferd mit zager Hand und trieb tauſend fromme Dinge. Dann ging ſie in ihr Keller, Sinngedicht. 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/27
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/27>, abgerufen am 20.04.2024.