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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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Sie machte eine Bewegung, wie wenn sie sich ihm
nähern wollte; in diesem Augenblicke wallte aber ein
kalter Schatten über sein Gesicht, die Augen funkelten
unsicher zwischen Lust und Zorn, um den Mund zuckte
ein halb spöttisches Lächeln, so daß sie mit fast unmerk¬
licher Betroffenheit die angehobene Bewegung nach dem
Pferde hin ablenkte, um dasselbe zu tränken. Reinhart
eilte ihr nach und rief, er könne nun nicht mehr zugeben,
daß sie sein Pferd bediene! Sie ließ sich aber nicht ab¬
halten und sagte, sie würde es nicht thun, wenn sie nicht
wollte, und er solle sich nicht darum kümmern.

Sie war aber in einiger Verlegenheit; denn die
Sachen standen nun so, daß sie doch warten mußte, bis
Reinhart ihr wieder Anlaß bot, ihn zu küssen, daß sie
aber beleidigt war, wenn es nicht geschah. Er empfand
auch die größte Lust dazu; wie er sie aber so wohlgefällig
ansah, befürchtete er, sie möchte wol lachen, allein nicht
roth werden, und da er diese Erfahrung schon hinter sich
hatte, so wollte er als gewissenhafter Forscher sie nicht
wiederholen, sondern nach seinem Ziele vorwärts streben.
Dieses schien ihm jetzt schon so wünschenswerth, daß er
bereits eine Art Verpflichtung fühlte, keine unnützen Ver¬
suche mehr zu unternehmen und sich des lieblichen Erfolges
im Voraus würdig zu machen.

Er stellte sich daher, um auf gute Manier weg¬
zukommen, als ob er den höchsten Respekt fühlte und von
der Furcht beseelt wäre, mit zu weitgehendem Scherze ihr

Sie machte eine Bewegung, wie wenn ſie ſich ihm
nähern wollte; in dieſem Augenblicke wallte aber ein
kalter Schatten über ſein Geſicht, die Augen funkelten
unſicher zwiſchen Luſt und Zorn, um den Mund zuckte
ein halb ſpöttiſches Lächeln, ſo daß ſie mit faſt unmerk¬
licher Betroffenheit die angehobene Bewegung nach dem
Pferde hin ablenkte, um daſſelbe zu tränken. Reinhart
eilte ihr nach und rief, er könne nun nicht mehr zugeben,
daß ſie ſein Pferd bediene! Sie ließ ſich aber nicht ab¬
halten und ſagte, ſie würde es nicht thun, wenn ſie nicht
wollte, und er ſolle ſich nicht darum kümmern.

Sie war aber in einiger Verlegenheit; denn die
Sachen ſtanden nun ſo, daß ſie doch warten mußte, bis
Reinhart ihr wieder Anlaß bot, ihn zu küſſen, daß ſie
aber beleidigt war, wenn es nicht geſchah. Er empfand
auch die größte Luſt dazu; wie er ſie aber ſo wohlgefällig
anſah, befürchtete er, ſie möchte wol lachen, allein nicht
roth werden, und da er dieſe Erfahrung ſchon hinter ſich
hatte, ſo wollte er als gewiſſenhafter Forſcher ſie nicht
wiederholen, ſondern nach ſeinem Ziele vorwärts ſtreben.
Dieſes ſchien ihm jetzt ſchon ſo wünſchenswerth, daß er
bereits eine Art Verpflichtung fühlte, keine unnützen Ver¬
ſuche mehr zu unternehmen und ſich des lieblichen Erfolges
im Voraus würdig zu machen.

Er ſtellte ſich daher, um auf gute Manier weg¬
zukommen, als ob er den höchſten Reſpekt fühlte und von
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[26/0036] Sie machte eine Bewegung, wie wenn ſie ſich ihm nähern wollte; in dieſem Augenblicke wallte aber ein kalter Schatten über ſein Geſicht, die Augen funkelten unſicher zwiſchen Luſt und Zorn, um den Mund zuckte ein halb ſpöttiſches Lächeln, ſo daß ſie mit faſt unmerk¬ licher Betroffenheit die angehobene Bewegung nach dem Pferde hin ablenkte, um daſſelbe zu tränken. Reinhart eilte ihr nach und rief, er könne nun nicht mehr zugeben, daß ſie ſein Pferd bediene! Sie ließ ſich aber nicht ab¬ halten und ſagte, ſie würde es nicht thun, wenn ſie nicht wollte, und er ſolle ſich nicht darum kümmern. Sie war aber in einiger Verlegenheit; denn die Sachen ſtanden nun ſo, daß ſie doch warten mußte, bis Reinhart ihr wieder Anlaß bot, ihn zu küſſen, daß ſie aber beleidigt war, wenn es nicht geſchah. Er empfand auch die größte Luſt dazu; wie er ſie aber ſo wohlgefällig anſah, befürchtete er, ſie möchte wol lachen, allein nicht roth werden, und da er dieſe Erfahrung ſchon hinter ſich hatte, ſo wollte er als gewiſſenhafter Forſcher ſie nicht wiederholen, ſondern nach ſeinem Ziele vorwärts ſtreben. Dieſes ſchien ihm jetzt ſchon ſo wünſchenswerth, daß er bereits eine Art Verpflichtung fühlte, keine unnützen Ver¬ ſuche mehr zu unternehmen und ſich des lieblichen Erfolges im Voraus würdig zu machen. Er ſtellte ſich daher, um auf gute Manier weg¬ zukommen, als ob er den höchſten Reſpekt fühlte und von der Furcht beſeelt wäre, mit zu weitgehendem Scherze ihr

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/36>, abgerufen am 23.04.2024.