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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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"Alle Achtung vor Ihrem Geschmack! Da Sie aber so
kunstreiche Netze ausbreiten, so haben Sie es sich selbst
zuzuschreiben, wenn Sie einmal einen groben Vogel
fangen, auf den Sie nicht gerechnet haben!"

"Ei man muß nehmen, was kommt! Zu dem freue
ich mich zu sehen, daß meine Anlagen zu was gut sind;
denn hätten Sie sich nicht darin gefangen, so wären Sie
viel früher angekommen und wahrscheinlich längst wieder
weggeritten; so aber, da es spät und weit bis zur nächsten
Gastherberge ist, habe ich das Vergnügen Ihnen eine
Unterkunft anzubieten. Denn Sie sind mir angelegentlich
empfohlen von meiner Freundin und sie schreibt, Sie
seien ein sehr beachtenswerther und vernünftiger Reisender,
welcher mit ihren Eltern die erbaulichsten Gespräche führe!"

"Das wundert mich! Ich habe kaum zwei oder drei
Mal das Wort ergriffen und einige Minuten lang geführt!"

"So muß das Wenige, das Sie sagten, um so herr¬
licher gewesen sein, und ich hoffe dergleichen auch mit
Bescheidenheit zu genießen!"

"O mein Fräulein, es waren im Gegentheil zuletzt
solche Dummheiten, die ich besonders der jungen Dame
sagte, daß sie den gütigen Empfehlungsbrief schwerlich
mehr geschrieben hätte, wenn es nicht schon geschehen
wäre!"

"So scheint es denn bei Ihnen in keiner Weise mit
rechten Dingen zuzugehen! Wenn ich meinen Zweck
erreichen will, Sie hier zu behalten, muß ich am Ende,

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„Alle Achtung vor Ihrem Geſchmack! Da Sie aber ſo
kunſtreiche Netze ausbreiten, ſo haben Sie es ſich ſelbſt
zuzuſchreiben, wenn Sie einmal einen groben Vogel
fangen, auf den Sie nicht gerechnet haben!“

„Ei man muß nehmen, was kommt! Zu dem freue
ich mich zu ſehen, daß meine Anlagen zu was gut ſind;
denn hätten Sie ſich nicht darin gefangen, ſo wären Sie
viel früher angekommen und wahrſcheinlich längſt wieder
weggeritten; ſo aber, da es ſpät und weit bis zur nächſten
Gaſtherberge iſt, habe ich das Vergnügen Ihnen eine
Unterkunft anzubieten. Denn Sie ſind mir angelegentlich
empfohlen von meiner Freundin und ſie ſchreibt, Sie
ſeien ein ſehr beachtenswerther und vernünftiger Reiſender,
welcher mit ihren Eltern die erbaulichſten Geſpräche führe!“

„Das wundert mich! Ich habe kaum zwei oder drei
Mal das Wort ergriffen und einige Minuten lang geführt!“

„So muß das Wenige, das Sie ſagten, um ſo herr¬
licher geweſen ſein, und ich hoffe dergleichen auch mit
Beſcheidenheit zu genießen!“

„O mein Fräulein, es waren im Gegentheil zuletzt
ſolche Dummheiten, die ich beſonders der jungen Dame
ſagte, daß ſie den gütigen Empfehlungsbrief ſchwerlich
mehr geſchrieben hätte, wenn es nicht ſchon geſchehen
wäre!“

„So ſcheint es denn bei Ihnen in keiner Weiſe mit
rechten Dingen zuzugehen! Wenn ich meinen Zweck
erreichen will, Sie hier zu behalten, muß ich am Ende,

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[35/0045] „Alle Achtung vor Ihrem Geſchmack! Da Sie aber ſo kunſtreiche Netze ausbreiten, ſo haben Sie es ſich ſelbſt zuzuſchreiben, wenn Sie einmal einen groben Vogel fangen, auf den Sie nicht gerechnet haben!“ „Ei man muß nehmen, was kommt! Zu dem freue ich mich zu ſehen, daß meine Anlagen zu was gut ſind; denn hätten Sie ſich nicht darin gefangen, ſo wären Sie viel früher angekommen und wahrſcheinlich längſt wieder weggeritten; ſo aber, da es ſpät und weit bis zur nächſten Gaſtherberge iſt, habe ich das Vergnügen Ihnen eine Unterkunft anzubieten. Denn Sie ſind mir angelegentlich empfohlen von meiner Freundin und ſie ſchreibt, Sie ſeien ein ſehr beachtenswerther und vernünftiger Reiſender, welcher mit ihren Eltern die erbaulichſten Geſpräche führe!“ „Das wundert mich! Ich habe kaum zwei oder drei Mal das Wort ergriffen und einige Minuten lang geführt!“ „So muß das Wenige, das Sie ſagten, um ſo herr¬ licher geweſen ſein, und ich hoffe dergleichen auch mit Beſcheidenheit zu genießen!“ „O mein Fräulein, es waren im Gegentheil zuletzt ſolche Dummheiten, die ich beſonders der jungen Dame ſagte, daß ſie den gütigen Empfehlungsbrief ſchwerlich mehr geſchrieben hätte, wenn es nicht ſchon geſchehen wäre!“ „So ſcheint es denn bei Ihnen in keiner Weiſe mit rechten Dingen zuzugehen! Wenn ich meinen Zweck erreichen will, Sie hier zu behalten, muß ich am Ende, 3*

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/45>, abgerufen am 29.03.2024.