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Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834.

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Einige
Vorbemerkungen über Besessenseyn,
besonders in geschichtlicher Hinsicht.


Nicht blos im neuen Testamente (aber allerdings in
diesem vorzüglich), sondern auch in Schriften noch früherer
Zeit, finden wir die Lehre vom Besessenseyn und das Vor-
kommen desselben, nicht unähnlich dämonischen Erscheinungen,
wie sie noch bis auf den heutigen Tag sich zeigen. Auch
das neue Testament spricht von diesen Erscheinungen nicht
wie von einer neuen Sache, sondern wie von einer ganz
bekannten.

Aeschylus, Sophokles, Euripides führen Besessene, ganz
verschieden von Wahnsinnigen und Epileptisten, auf, und
wir finden sie bey Hyppokrates, Lucian, Plutarch, Appo-
lonius u. s. w. In Philostratus Leben des Appolonius (L. III.
C.
38) wird von einem jungen Manne erzählt, der zwey
Jahre lang besessen (dämonisch) gewesen. Es heißt dort:
"Der Dämon sprach von sich selbst; er sagte auch: daß
er ein Mann sey, der im Kriege gefallen
."

Die Griechen machten auch immer einen Unterschied zwischen
solchen, die durch eine natürliche Krankheit in Wahnsinn
verfielen, und zwischen dämonischen, von bösen Geistern
Besessenen. Sie leiteten das Delirium in einem Fieber nicht
von Dämonen her, eben so wenig das Delirium der Säufer.
Im Herodot wird vom Kleomen gesagt: "daß sein Un-
verstand vom Trinken und nicht von einem Dämon her-
komme", und so betrachteten sie auch sonst nicht alle Ver-

Kerner, über Besessenseyn. 1
Einige
Vorbemerkungen über Besessenseyn,
beſonders in geſchichtlicher Hinſicht.


Nicht blos im neuen Teſtamente (aber allerdings in
dieſem vorzüglich), ſondern auch in Schriften noch früherer
Zeit, finden wir die Lehre vom Beſeſſenſeyn und das Vor-
kommen deſſelben, nicht unähnlich dämoniſchen Erſcheinungen,
wie ſie noch bis auf den heutigen Tag ſich zeigen. Auch
das neue Teſtament ſpricht von dieſen Erſcheinungen nicht
wie von einer neuen Sache, ſondern wie von einer ganz
bekannten.

Aeſchylus, Sophokles, Euripides führen Beſeſſene, ganz
verſchieden von Wahnſinnigen und Epileptiſten, auf, und
wir finden ſie bey Hyppokrates, Lucian, Plutarch, Appo-
lonius u. ſ. w. In Philoſtratus Leben des Appolonius (L. III.
C.
38) wird von einem jungen Manne erzählt, der zwey
Jahre lang beſeſſen (dämoniſch) geweſen. Es heißt dort:
„Der Dämon ſprach von ſich ſelbſt; er ſagte auch: daß
er ein Mann ſey, der im Kriege gefallen
.“

Die Griechen machten auch immer einen Unterſchied zwiſchen
ſolchen, die durch eine natürliche Krankheit in Wahnſinn
verfielen, und zwiſchen dämoniſchen, von böſen Geiſtern
Beſeſſenen. Sie leiteten das Delirium in einem Fieber nicht
von Dämonen her, eben ſo wenig das Delirium der Säufer.
Im Herodot wird vom Kleomen geſagt: „daß ſein Un-
verſtand vom Trinken und nicht von einem Dämon her-
komme“, und ſo betrachteten ſie auch ſonſt nicht alle Ver-

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[[1]/0015] Einige Vorbemerkungen über Besessenseyn, beſonders in geſchichtlicher Hinſicht. Nicht blos im neuen Teſtamente (aber allerdings in dieſem vorzüglich), ſondern auch in Schriften noch früherer Zeit, finden wir die Lehre vom Beſeſſenſeyn und das Vor- kommen deſſelben, nicht unähnlich dämoniſchen Erſcheinungen, wie ſie noch bis auf den heutigen Tag ſich zeigen. Auch das neue Teſtament ſpricht von dieſen Erſcheinungen nicht wie von einer neuen Sache, ſondern wie von einer ganz bekannten. Aeſchylus, Sophokles, Euripides führen Beſeſſene, ganz verſchieden von Wahnſinnigen und Epileptiſten, auf, und wir finden ſie bey Hyppokrates, Lucian, Plutarch, Appo- lonius u. ſ. w. In Philoſtratus Leben des Appolonius (L. III. C. 38) wird von einem jungen Manne erzählt, der zwey Jahre lang beſeſſen (dämoniſch) geweſen. Es heißt dort: „Der Dämon ſprach von ſich ſelbſt; er ſagte auch: daß er ein Mann ſey, der im Kriege gefallen.“ Die Griechen machten auch immer einen Unterſchied zwiſchen ſolchen, die durch eine natürliche Krankheit in Wahnſinn verfielen, und zwiſchen dämoniſchen, von böſen Geiſtern Beſeſſenen. Sie leiteten das Delirium in einem Fieber nicht von Dämonen her, eben ſo wenig das Delirium der Säufer. Im Herodot wird vom Kleomen geſagt: „daß ſein Un- verſtand vom Trinken und nicht von einem Dämon her- komme“, und ſo betrachteten ſie auch ſonſt nicht alle Ver- Kerner, über Beſeſſenſeyn. 1

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Zitationshilfe: Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/15>, abgerufen am 29.03.2024.