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Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834.

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Weise vernehmen: "Die neueste Teufelslehre (nämlich diese,
welche Besitzung und Zauber annimmt) greife die Gottheit
in ihrer Wesenheit an. Sie (die Gottheit) ist allmächtig
und läßt ihre Herrschaft dem Verworfensten. Sie ist die
unendliche Güte und gibt ihr Ebenbild in die Gewalt des
furchtbarsten Feindes. Sie ist die heiligste Gerechtigkeit
und treibt das willkührlichste Spiel mit der Höllenqual.
Sie ist die unendliche Liebe und läßt die gebrechlichen Men-
schen ganz aus ihrer Gnade fallen."

Dieß sind die Paradesätze der Halbtheologen, welche
das, was die innere Bewegung evangelischer Wahrheiten
als Schaum auf die Oberfläche wirft, ablösen und zur Er-
götzlichkeit dem Publikum in farbigen Blasen wiedergeben.
Haben denn Christus, die Apostel und die Kirche, welche
unverholen von der Macht des Satans und seinem Reiche
sprechen und die Menschen vor seinen Tücken beständig war-
nen, je an der Allmacht, Güte, Gerechtigkeit und Liebe
Gottes gezweifelt? Es muß also doch beydes nebeneinan-
der bestehen und dazu lassen sich wohl auch Sätze finden.

Wie auch der Satan ursprünglich mag gestellt gewesen
seyn, so erhellt doch so viel aus Allem, daß ihm eine große
Sphäre der Freiheit anvertraut war und daß er aus Mis-
brauch dieser Freiheit von Gott entfernt und verbannt wurde.
Aber deswegen hört der Satan nicht auf, gleich den Men-
schen unter der Gerechtigkeit Gottes zu stehen und nach sei-
nen Werken gerichtet zu werden. Nicht undeutlich erhellt
aus dem Evangelium, daß schon mancherley Gerichte über
ihn ergangen sind. Unter diesen Gerichten ist auch das,
daß er mit seinen Engeln vom Himmel auf die Erde ge-
worfen wurde, und obgleich der Himmel dadurch voll Freude
über seinen Sturz ist, so ist dafür der Erde ein um so grö-
ßeres Wehe angekündigt. Er ist, wie das Evangelium
sagt, der Fürst der Welt und der Finsterniß, und wie wir
uns die innere Beschaffenheit eines solchen Wesens zu den-
ken haben, habe ich aus den Extremen der Unnatur zu ent-

Weiſe vernehmen: „Die neueſte Teufelslehre (nämlich dieſe,
welche Beſitzung und Zauber annimmt) greife die Gottheit
in ihrer Weſenheit an. Sie (die Gottheit) iſt allmächtig
und läßt ihre Herrſchaft dem Verworfenſten. Sie iſt die
unendliche Güte und gibt ihr Ebenbild in die Gewalt des
furchtbarſten Feindes. Sie iſt die heiligſte Gerechtigkeit
und treibt das willkührlichſte Spiel mit der Höllenqual.
Sie iſt die unendliche Liebe und läßt die gebrechlichen Men-
ſchen ganz aus ihrer Gnade fallen.“

Dieß ſind die Paradeſätze der Halbtheologen, welche
das, was die innere Bewegung evangeliſcher Wahrheiten
als Schaum auf die Oberfläche wirft, ablöſen und zur Er-
götzlichkeit dem Publikum in farbigen Blaſen wiedergeben.
Haben denn Chriſtus, die Apoſtel und die Kirche, welche
unverholen von der Macht des Satans und ſeinem Reiche
ſprechen und die Menſchen vor ſeinen Tücken beſtändig war-
nen, je an der Allmacht, Güte, Gerechtigkeit und Liebe
Gottes gezweifelt? Es muß alſo doch beydes nebeneinan-
der beſtehen und dazu laſſen ſich wohl auch Sätze finden.

Wie auch der Satan urſprünglich mag geſtellt geweſen
ſeyn, ſo erhellt doch ſo viel aus Allem, daß ihm eine große
Sphäre der Freiheit anvertraut war und daß er aus Mis-
brauch dieſer Freiheit von Gott entfernt und verbannt wurde.
Aber deswegen hört der Satan nicht auf, gleich den Men-
ſchen unter der Gerechtigkeit Gottes zu ſtehen und nach ſei-
nen Werken gerichtet zu werden. Nicht undeutlich erhellt
aus dem Evangelium, daß ſchon mancherley Gerichte über
ihn ergangen ſind. Unter dieſen Gerichten iſt auch das,
daß er mit ſeinen Engeln vom Himmel auf die Erde ge-
worfen wurde, und obgleich der Himmel dadurch voll Freude
über ſeinen Sturz iſt, ſo iſt dafür der Erde ein um ſo grö-
ßeres Wehe angekündigt. Er iſt, wie das Evangelium
ſagt, der Fürſt der Welt und der Finſterniß, und wie wir
uns die innere Beſchaffenheit eines ſolchen Weſens zu den-
ken haben, habe ich aus den Extremen der Unnatur zu ent-

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[182/0196] Weiſe vernehmen: „Die neueſte Teufelslehre (nämlich dieſe, welche Beſitzung und Zauber annimmt) greife die Gottheit in ihrer Weſenheit an. Sie (die Gottheit) iſt allmächtig und läßt ihre Herrſchaft dem Verworfenſten. Sie iſt die unendliche Güte und gibt ihr Ebenbild in die Gewalt des furchtbarſten Feindes. Sie iſt die heiligſte Gerechtigkeit und treibt das willkührlichſte Spiel mit der Höllenqual. Sie iſt die unendliche Liebe und läßt die gebrechlichen Men- ſchen ganz aus ihrer Gnade fallen.“ Dieß ſind die Paradeſätze der Halbtheologen, welche das, was die innere Bewegung evangeliſcher Wahrheiten als Schaum auf die Oberfläche wirft, ablöſen und zur Er- götzlichkeit dem Publikum in farbigen Blaſen wiedergeben. Haben denn Chriſtus, die Apoſtel und die Kirche, welche unverholen von der Macht des Satans und ſeinem Reiche ſprechen und die Menſchen vor ſeinen Tücken beſtändig war- nen, je an der Allmacht, Güte, Gerechtigkeit und Liebe Gottes gezweifelt? Es muß alſo doch beydes nebeneinan- der beſtehen und dazu laſſen ſich wohl auch Sätze finden. Wie auch der Satan urſprünglich mag geſtellt geweſen ſeyn, ſo erhellt doch ſo viel aus Allem, daß ihm eine große Sphäre der Freiheit anvertraut war und daß er aus Mis- brauch dieſer Freiheit von Gott entfernt und verbannt wurde. Aber deswegen hört der Satan nicht auf, gleich den Men- ſchen unter der Gerechtigkeit Gottes zu ſtehen und nach ſei- nen Werken gerichtet zu werden. Nicht undeutlich erhellt aus dem Evangelium, daß ſchon mancherley Gerichte über ihn ergangen ſind. Unter dieſen Gerichten iſt auch das, daß er mit ſeinen Engeln vom Himmel auf die Erde ge- worfen wurde, und obgleich der Himmel dadurch voll Freude über ſeinen Sturz iſt, ſo iſt dafür der Erde ein um ſo grö- ßeres Wehe angekündigt. Er iſt, wie das Evangelium ſagt, der Fürſt der Welt und der Finſterniß, und wie wir uns die innere Beſchaffenheit eines ſolchen Weſens zu den- ken haben, habe ich aus den Extremen der Unnatur zu ent-

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Zitationshilfe: Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/196>, abgerufen am 29.03.2024.