Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

tigt seyn, was die vernunftelnde Welt überall über diese
Vorfälle geurtheilt haben mag, und es handelt sich daher
hier nicht von der Meinungsverschiedenheit zwischen mir
und der Redaktion, sondern von einer allgemeinen Beur-
theilung jener Philosophie, welche alles Unbegreifliche in
der Natur wegdemonstriren will. Die Redaktion hat ganz
in meinem Sinn gehandelt und mir eigentlich vorgearbei-
tet, wenn sie eine natürliche Erklärung dieser Erscheinun-
gen zu geben versuchte und dem Aberglauben keinen Vor-
schub leisten möchte. Auch ich bin Freund des Lichts
und hasse allen Aberglauben so sehr, daß ich etliche Mo-
nate lang von dieser Geschichte in Orlach sprechen hörte,
ohne etwas anderes, als Widerwillen dagegen zu empfin-
den, und ich war nicht einmal neugierig, die Sache genauer
zu erfahren, weil mir alles zu albern vorkam, und bedauerte
nur, daß der Volksaberglaube dadurch aufs Neue gestärkt
wurde, was mir heute noch an der Geschichte höchst zu-
wider ist. Recht herzlich würde ich mich darüber freuen,
wenn durch eine richtige Erklärung aller Geisterspuk und
und alles Unbegreifliche weggeräumt werden könnte, denn
den Schlüssel zu dieser Erklärung zu finden, war von der
ersten bis zu der letzten Stunde mein eifrigstes Bestreben.
Leider aber kann ich nicht sagen, daß durch die Bemerkun-
gen der Redaktion dieser Zweck erreicht worden wäre. Auch
ich hoffte, ehe ich nach Orlach ging, das Wahre von der
Betrügerey oder von der Verblendung Befangene zu schauen,
bald absondern und den Schlüssel finden zu können, um
allen Geisterspuk, alle Visionen als einen, durch seine Sel-
tenheit wichtigen Krankheitszustand zu erklären. Ich hatte
daher mir bereits eine Erklärungsweise gebildet, welche der
in den Bemerkungen gegebenen beinahe ganz gleich war,
die ich aber, so wie jede andere, welche ich versuchte,
wieder aufgeben mußte, sobald ich mich genauer nach den
Umständen erkundigte.

Vor Allem muß ich bemerken, daß, wie das Mädchen
es vorhersagte, jener Anfall, bey welchem ich zugegen war,

tigt ſeyn, was die vernunftelnde Welt überall über dieſe
Vorfälle geurtheilt haben mag, und es handelt ſich daher
hier nicht von der Meinungsverſchiedenheit zwiſchen mir
und der Redaktion, ſondern von einer allgemeinen Beur-
theilung jener Philoſophie, welche alles Unbegreifliche in
der Natur wegdemonſtriren will. Die Redaktion hat ganz
in meinem Sinn gehandelt und mir eigentlich vorgearbei-
tet, wenn ſie eine natürliche Erklärung dieſer Erſcheinun-
gen zu geben verſuchte und dem Aberglauben keinen Vor-
ſchub leiſten möchte. Auch ich bin Freund des Lichts
und haſſe allen Aberglauben ſo ſehr, daß ich etliche Mo-
nate lang von dieſer Geſchichte in Orlach ſprechen hörte,
ohne etwas anderes, als Widerwillen dagegen zu empfin-
den, und ich war nicht einmal neugierig, die Sache genauer
zu erfahren, weil mir alles zu albern vorkam, und bedauerte
nur, daß der Volksaberglaube dadurch aufs Neue geſtärkt
wurde, was mir heute noch an der Geſchichte höchſt zu-
wider iſt. Recht herzlich würde ich mich darüber freuen,
wenn durch eine richtige Erklärung aller Geiſterſpuk und
und alles Unbegreifliche weggeräumt werden könnte, denn
den Schlüſſel zu dieſer Erklärung zu finden, war von der
erſten bis zu der letzten Stunde mein eifrigſtes Beſtreben.
Leider aber kann ich nicht ſagen, daß durch die Bemerkun-
gen der Redaktion dieſer Zweck erreicht worden wäre. Auch
ich hoffte, ehe ich nach Orlach ging, das Wahre von der
Betrügerey oder von der Verblendung Befangene zu ſchauen,
bald abſondern und den Schlüſſel finden zu können, um
allen Geiſterſpuk, alle Viſionen als einen, durch ſeine Sel-
tenheit wichtigen Krankheitszuſtand zu erklären. Ich hatte
daher mir bereits eine Erklärungsweiſe gebildet, welche der
in den Bemerkungen gegebenen beinahe ganz gleich war,
die ich aber, ſo wie jede andere, welche ich verſuchte,
wieder aufgeben mußte, ſobald ich mich genauer nach den
Umſtänden erkundigte.

Vor Allem muß ich bemerken, daß, wie das Mädchen
es vorherſagte, jener Anfall, bey welchem ich zugegen war,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0074" n="60"/>
tigt &#x017F;eyn, was die vernunftelnde Welt überall über die&#x017F;e<lb/>
Vorfälle geurtheilt haben mag, und es handelt &#x017F;ich daher<lb/>
hier nicht von der Meinungsver&#x017F;chiedenheit zwi&#x017F;chen mir<lb/>
und der Redaktion, &#x017F;ondern von einer allgemeinen Beur-<lb/>
theilung jener Philo&#x017F;ophie, welche alles Unbegreifliche in<lb/>
der Natur wegdemon&#x017F;triren will. Die Redaktion hat ganz<lb/>
in meinem Sinn gehandelt und mir eigentlich vorgearbei-<lb/>
tet, wenn &#x017F;ie eine natürliche Erklärung die&#x017F;er Er&#x017F;cheinun-<lb/>
gen zu geben ver&#x017F;uchte und dem Aberglauben keinen Vor-<lb/>
&#x017F;chub lei&#x017F;ten möchte. Auch ich bin Freund des Lichts<lb/>
und ha&#x017F;&#x017F;e allen Aberglauben &#x017F;o &#x017F;ehr, daß ich etliche Mo-<lb/>
nate lang von die&#x017F;er Ge&#x017F;chichte in Orlach &#x017F;prechen hörte,<lb/>
ohne etwas anderes, als Widerwillen dagegen zu empfin-<lb/>
den, und ich war nicht einmal neugierig, die Sache genauer<lb/>
zu erfahren, weil mir alles zu albern vorkam, und bedauerte<lb/>
nur, daß der Volksaberglaube dadurch aufs Neue ge&#x017F;tärkt<lb/>
wurde, was mir heute noch an der Ge&#x017F;chichte höch&#x017F;t zu-<lb/>
wider i&#x017F;t. Recht herzlich würde ich mich darüber freuen,<lb/>
wenn durch eine richtige Erklärung aller Gei&#x017F;ter&#x017F;puk und<lb/>
und alles Unbegreifliche weggeräumt werden könnte, denn<lb/>
den Schlü&#x017F;&#x017F;el zu die&#x017F;er Erklärung zu finden, war von der<lb/>
er&#x017F;ten bis zu der letzten Stunde mein eifrig&#x017F;tes Be&#x017F;treben.<lb/>
Leider aber kann ich nicht &#x017F;agen, daß durch die Bemerkun-<lb/>
gen der Redaktion die&#x017F;er Zweck erreicht worden wäre. Auch<lb/>
ich hoffte, ehe ich nach Orlach ging, das Wahre von der<lb/>
Betrügerey oder von der Verblendung Befangene zu &#x017F;chauen,<lb/>
bald ab&#x017F;ondern und den Schlü&#x017F;&#x017F;el finden zu können, um<lb/>
allen Gei&#x017F;ter&#x017F;puk, alle Vi&#x017F;ionen als einen, durch &#x017F;eine Sel-<lb/>
tenheit wichtigen Krankheitszu&#x017F;tand zu erklären. Ich hatte<lb/>
daher mir bereits eine Erklärungswei&#x017F;e gebildet, welche der<lb/>
in den Bemerkungen gegebenen beinahe ganz gleich war,<lb/>
die ich aber, &#x017F;o wie jede andere, welche ich ver&#x017F;uchte,<lb/>
wieder aufgeben mußte, &#x017F;obald ich mich genauer nach den<lb/>
Um&#x017F;tänden erkundigte.</p><lb/>
        <p>Vor Allem muß ich bemerken, daß, wie das Mädchen<lb/>
es vorher&#x017F;agte, jener Anfall, bey welchem ich zugegen war,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[60/0074] tigt ſeyn, was die vernunftelnde Welt überall über dieſe Vorfälle geurtheilt haben mag, und es handelt ſich daher hier nicht von der Meinungsverſchiedenheit zwiſchen mir und der Redaktion, ſondern von einer allgemeinen Beur- theilung jener Philoſophie, welche alles Unbegreifliche in der Natur wegdemonſtriren will. Die Redaktion hat ganz in meinem Sinn gehandelt und mir eigentlich vorgearbei- tet, wenn ſie eine natürliche Erklärung dieſer Erſcheinun- gen zu geben verſuchte und dem Aberglauben keinen Vor- ſchub leiſten möchte. Auch ich bin Freund des Lichts und haſſe allen Aberglauben ſo ſehr, daß ich etliche Mo- nate lang von dieſer Geſchichte in Orlach ſprechen hörte, ohne etwas anderes, als Widerwillen dagegen zu empfin- den, und ich war nicht einmal neugierig, die Sache genauer zu erfahren, weil mir alles zu albern vorkam, und bedauerte nur, daß der Volksaberglaube dadurch aufs Neue geſtärkt wurde, was mir heute noch an der Geſchichte höchſt zu- wider iſt. Recht herzlich würde ich mich darüber freuen, wenn durch eine richtige Erklärung aller Geiſterſpuk und und alles Unbegreifliche weggeräumt werden könnte, denn den Schlüſſel zu dieſer Erklärung zu finden, war von der erſten bis zu der letzten Stunde mein eifrigſtes Beſtreben. Leider aber kann ich nicht ſagen, daß durch die Bemerkun- gen der Redaktion dieſer Zweck erreicht worden wäre. Auch ich hoffte, ehe ich nach Orlach ging, das Wahre von der Betrügerey oder von der Verblendung Befangene zu ſchauen, bald abſondern und den Schlüſſel finden zu können, um allen Geiſterſpuk, alle Viſionen als einen, durch ſeine Sel- tenheit wichtigen Krankheitszuſtand zu erklären. Ich hatte daher mir bereits eine Erklärungsweiſe gebildet, welche der in den Bemerkungen gegebenen beinahe ganz gleich war, die ich aber, ſo wie jede andere, welche ich verſuchte, wieder aufgeben mußte, ſobald ich mich genauer nach den Umſtänden erkundigte. Vor Allem muß ich bemerken, daß, wie das Mädchen es vorherſagte, jener Anfall, bey welchem ich zugegen war,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/74
Zitationshilfe: Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/74>, abgerufen am 25.04.2024.