Kerner, Justinus: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.
Ich darf nicht ruhn!! -- -- -- Als hätte rings der Erde weiter Grund Für mich nicht Raum mehr, angefüllt mit Leichen, Als wär's hier oben ringsum stumm und leer -- Und hätten sie, indeß ich träumend schweifte, Den Freudensaal da unten voll gefüllt, -- Als hätte mich die Erde, eine Leiche, Im grimmen Hasse wieder ausgeworfen, So ist's mir, so! (Die Glocke schlägt Mitternacht.) Die Hölle ruft: ich komme! (Er stürzt mit dem Messer in das Haus). Ein Grabhügel wirst sich auf, aus ihm erhebt sich langsam ein Gerippe und ruft: Weh! weh! weh! dreimal weh! daß ich dich geboren!! (Versinkt wieder in das Grab.) Der Vorhang fällt. Harfenspiel. Neuer Aufzug. Kirchhof. Morgen. Der junge Gärtner kommt mit Blumen und schüttet sie auf einen Hügel.) Gewaltsam abgepflückt liegst nun hier unten du, Stundest ein Stern in wolkenloser Ruh, Warst eine Blume, die dem Gärtner sich vertraut, Der, wenn schon alles ruht, noch liebend nach ihr schaut. (Pause.) Hör's, Elfe, die im mondgewebten Kleide Dahin flog einst, ein Bild von Liebesscherz und Freude,
Ich darf nicht ruhn!! — — — Als haͤtte rings der Erde weiter Grund Fuͤr mich nicht Raum mehr, angefuͤllt mit Leichen, Als waͤr's hier oben ringsum ſtumm und leer — Und haͤtten ſie, indeß ich traͤumend ſchweifte, Den Freudenſaal da unten voll gefuͤllt, — Als haͤtte mich die Erde, eine Leiche, Im grimmen Haſſe wieder ausgeworfen, So iſt's mir, ſo! (Die Glocke ſchlaͤgt Mitternacht.) Die Hoͤlle ruft: ich komme! (Er ſtuͤrzt mit dem Meſſer in das Haus). Ein Grabhuͤgel wirſt ſich auf, aus ihm erhebt ſich langſam ein Gerippe und ruft: Weh! weh! weh! dreimal weh! daß ich dich geboren!! (Verſinkt wieder in das Grab.) Der Vorhang faͤllt. Harfenſpiel. Neuer Aufzug. Kirchhof. Morgen. Der junge Gaͤrtner kommt mit Blumen und ſchuͤttet ſie auf einen Huͤgel.) Gewaltſam abgepfluͤckt liegſt nun hier unten du, Stundeſt ein Stern in wolkenloſer Ruh, Warſt eine Blume, die dem Gaͤrtner ſich vertraut, Der, wenn ſchon alles ruht, noch liebend nach ihr ſchaut. (Pauſe.) Hoͤr's, Elfe, die im mondgewebten Kleide Dahin flog einſt, ein Bild von Liebesſcherz und Freude, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <sp> <p><pb facs="#f0233" n="221"/> Ich darf nicht ruhn!! — — —<lb/> Als haͤtte rings der Erde weiter Grund<lb/> Fuͤr mich nicht Raum mehr, angefuͤllt mit Leichen,<lb/> Als waͤr's hier oben ringsum ſtumm und leer —<lb/> Und haͤtten ſie, indeß ich traͤumend ſchweifte,<lb/> Den Freudenſaal da unten voll gefuͤllt, —<lb/> Als haͤtte mich die Erde, eine Leiche,<lb/> Im grimmen Haſſe wieder ausgeworfen,<lb/> So iſt's mir, ſo!</p><lb/> <stage>(Die Glocke ſchlaͤgt Mitternacht.)</stage><lb/> <p>Die Hoͤlle ruft: ich komme!</p> </sp><lb/> <stage>(Er ſtuͤrzt mit dem Meſſer in das Haus).</stage><lb/> <sp> <stage>Ein Grabhuͤgel wirſt ſich auf, aus ihm erhebt ſich langſam ein <hi rendition="#g">Gerippe</hi><lb/> und ruft:</stage><lb/> <p>Weh! weh! weh! dreimal weh! daß ich dich geboren!!</p> </sp><lb/> <stage>(Verſinkt wieder in das Grab.)</stage><lb/> <stage><hi rendition="#g">Der Vorhang faͤllt.<lb/> Harfenſpiel</hi>.</stage> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="3"> <head><hi rendition="#g">Neuer Aufzug</hi>.</head><lb/> <stage><hi rendition="#g">Kirchhof. Morgen</hi>.</stage><lb/> <sp> <speaker>Der junge <hi rendition="#g">Gaͤrtner</hi></speaker> <stage> kommt mit Blumen und ſchuͤttet ſie auf einen Huͤgel.)</stage><lb/> <p>Gewaltſam abgepfluͤckt liegſt nun hier unten du,<lb/> Stundeſt ein Stern in wolkenloſer Ruh,<lb/> Warſt eine Blume, die dem Gaͤrtner ſich vertraut,<lb/> Der, wenn ſchon alles ruht, noch liebend nach ihr ſchaut.</p><lb/> <stage>(Pauſe.)</stage><lb/> <p>Hoͤr's, Elfe, die im mondgewebten Kleide<lb/> Dahin flog einſt, ein Bild von Liebesſcherz und Freude,<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [221/0233]
Ich darf nicht ruhn!! — — —
Als haͤtte rings der Erde weiter Grund
Fuͤr mich nicht Raum mehr, angefuͤllt mit Leichen,
Als waͤr's hier oben ringsum ſtumm und leer —
Und haͤtten ſie, indeß ich traͤumend ſchweifte,
Den Freudenſaal da unten voll gefuͤllt, —
Als haͤtte mich die Erde, eine Leiche,
Im grimmen Haſſe wieder ausgeworfen,
So iſt's mir, ſo!
(Die Glocke ſchlaͤgt Mitternacht.)
Die Hoͤlle ruft: ich komme!
(Er ſtuͤrzt mit dem Meſſer in das Haus).
Ein Grabhuͤgel wirſt ſich auf, aus ihm erhebt ſich langſam ein Gerippe
und ruft:
Weh! weh! weh! dreimal weh! daß ich dich geboren!!
(Verſinkt wieder in das Grab.)
Der Vorhang faͤllt.
Harfenſpiel.
Neuer Aufzug.
Kirchhof. Morgen.
Der junge Gaͤrtner kommt mit Blumen und ſchuͤttet ſie auf einen Huͤgel.)
Gewaltſam abgepfluͤckt liegſt nun hier unten du,
Stundeſt ein Stern in wolkenloſer Ruh,
Warſt eine Blume, die dem Gaͤrtner ſich vertraut,
Der, wenn ſchon alles ruht, noch liebend nach ihr ſchaut.
(Pauſe.)
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Dahin flog einſt, ein Bild von Liebesſcherz und Freude,
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Zitationshilfe: | Kerner, Justinus: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_gedichte_1826/233>, abgerufen am 18.02.2025. |