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von Keyserling, Eduard: Beate und Mareile. Eine Schloßgeschichte. Berlin, [1909].

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hohen, weißen Häusern lag. Ein grellgoldener Schein fiel auf den Schnee. Drüben bei Inspektors wurde der Weihnachtsbaum angesteckt. Amelie wandte sich ab. Das Herz war ihr voll Zorn gegen die Herrschaft, die sie fürchten mußte, und so voll von Liebe zu Beckmann, daß sie wieder weinte.

Am ersten Weihnachtstage saß Beate in ihrem Ankleidezimmer und wartete auf Amelie. Der letzte Abendschein war schon hinter den Parkbäumen verglommen. Beate war in einen leichten Halbschlummer verfallen. Als jemand in das Zimmer trat, fragte sie: "Sind Sie es, Amelie? Dann stecken Sie die Lampe an." Da es still und finster blieb, sagte Beate: "Machen Sie doch Licht. Ich muß mich ankleiden."

Jetzt rauschte etwas neben ihr auf den Teppich nieder, ein nasses Gesicht legte sich auf ihre Hände. "Sind Sie's, Amelie?" fragte Beate. "Warum weinen Sie? Haben Sie etwas getan?"

"Schlecht - schlecht hab' ich getan!" schluchzte das Mädchen. "Und die Schande jetzt. Was soll ich tun? Frau Gräfin werden Erbarmen haben - verzeihen - ach! ach!"

Während Amelie sprach, fühlte sie, wie Beate allmählich vor ihr zurückwich, die Hand, das Knie, das Amelie umschlungen hielt, fortzog. "Stehn Sie auf," sagte Beate leise, aber das geschulte Zofenohr hörte aus diesen Worten doch Strenge und Widerwillen heraus. "Wie konnten Sie das tun - Sie wissen doch ..."

Amelie schluchzte unter ihrer Schürze, die sie über den Kopf geschlagen hatte: "Ja - ja - ich weiß. Sünde is - aber es kommt man so -"

hohen, weißen Häusern lag. Ein grellgoldener Schein fiel auf den Schnee. Drüben bei Inspektors wurde der Weihnachtsbaum angesteckt. Amélie wandte sich ab. Das Herz war ihr voll Zorn gegen die Herrschaft, die sie fürchten mußte, und so voll von Liebe zu Beckmann, daß sie wieder weinte.

Am ersten Weihnachtstage saß Beate in ihrem Ankleidezimmer und wartete auf Amélie. Der letzte Abendschein war schon hinter den Parkbäumen verglommen. Beate war in einen leichten Halbschlummer verfallen. Als jemand in das Zimmer trat, fragte sie: „Sind Sie es, Amélie? Dann stecken Sie die Lampe an.“ Da es still und finster blieb, sagte Beate: „Machen Sie doch Licht. Ich muß mich ankleiden.“

Jetzt rauschte etwas neben ihr auf den Teppich nieder, ein nasses Gesicht legte sich auf ihre Hände. „Sind Sie’s, Amélie?“ fragte Beate. „Warum weinen Sie? Haben Sie etwas getan?“

„Schlecht – schlecht hab’ ich getan!“ schluchzte das Mädchen. „Und die Schande jetzt. Was soll ich tun? Frau Gräfin werden Erbarmen haben – verzeihen – ach! ach!“

Während Amélie sprach, fühlte sie, wie Beate allmählich vor ihr zurückwich, die Hand, das Knie, das Amélie umschlungen hielt, fortzog. „Stehn Sie auf,“ sagte Beate leise, aber das geschulte Zofenohr hörte aus diesen Worten doch Strenge und Widerwillen heraus. „Wie konnten Sie das tun – Sie wissen doch …“

Amélie schluchzte unter ihrer Schürze, die sie über den Kopf geschlagen hatte: „Ja – ja – ich weiß. Sünde is – aber es kommt man so –“

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hohen, weißen Häusern lag. Ein grellgoldener Schein fiel auf den Schnee. Drüben bei Inspektors wurde der Weihnachtsbaum angesteckt. Amélie wandte sich ab. Das Herz war ihr voll Zorn gegen die Herrschaft, die sie fürchten mußte, und so voll von Liebe zu Beckmann, daß sie wieder weinte.</p>
        <p>Am ersten Weihnachtstage saß Beate in ihrem Ankleidezimmer und wartete auf Amélie. Der letzte Abendschein war schon hinter den Parkbäumen verglommen. Beate war in einen leichten Halbschlummer verfallen. Als jemand in das Zimmer trat, fragte sie: &#x201E;Sind Sie es, Amélie? Dann stecken Sie die Lampe an.&#x201C; Da es still und finster blieb, sagte Beate: &#x201E;Machen Sie doch Licht. Ich muß mich ankleiden.&#x201C;</p>
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[66/0068] hohen, weißen Häusern lag. Ein grellgoldener Schein fiel auf den Schnee. Drüben bei Inspektors wurde der Weihnachtsbaum angesteckt. Amélie wandte sich ab. Das Herz war ihr voll Zorn gegen die Herrschaft, die sie fürchten mußte, und so voll von Liebe zu Beckmann, daß sie wieder weinte. Am ersten Weihnachtstage saß Beate in ihrem Ankleidezimmer und wartete auf Amélie. Der letzte Abendschein war schon hinter den Parkbäumen verglommen. Beate war in einen leichten Halbschlummer verfallen. Als jemand in das Zimmer trat, fragte sie: „Sind Sie es, Amélie? Dann stecken Sie die Lampe an.“ Da es still und finster blieb, sagte Beate: „Machen Sie doch Licht. Ich muß mich ankleiden.“ Jetzt rauschte etwas neben ihr auf den Teppich nieder, ein nasses Gesicht legte sich auf ihre Hände. „Sind Sie’s, Amélie?“ fragte Beate. „Warum weinen Sie? Haben Sie etwas getan?“ „Schlecht – schlecht hab’ ich getan!“ schluchzte das Mädchen. „Und die Schande jetzt. Was soll ich tun? Frau Gräfin werden Erbarmen haben – verzeihen – ach! ach!“ Während Amélie sprach, fühlte sie, wie Beate allmählich vor ihr zurückwich, die Hand, das Knie, das Amélie umschlungen hielt, fortzog. „Stehn Sie auf,“ sagte Beate leise, aber das geschulte Zofenohr hörte aus diesen Worten doch Strenge und Widerwillen heraus. „Wie konnten Sie das tun – Sie wissen doch …“ Amélie schluchzte unter ihrer Schürze, die sie über den Kopf geschlagen hatte: „Ja – ja – ich weiß. Sünde is – aber es kommt man so –“

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Zitationshilfe: von Keyserling, Eduard: Beate und Mareile. Eine Schloßgeschichte. Berlin, [1909], S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keyserling_beatemareile_1903/68>, abgerufen am 29.03.2024.