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Kinkel, Gottfried: Margret. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 199–262. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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schlammigen Flut hinunter. Im blauen Kittel setzte er sich auf die Eisenbahn und fuhr seinem Rheine zu.

Und als er ihn nun bei Köln zuerst wieder sah, den grünwogigen stillen Strom, als er, den Stab in der Hand, von Bonn hinaufwanderte und durchs Felsenthor schritt zwischen Drachenfels und Rolandsbogen hindurch, da brach aus seiner befreiten Brust ein lauter Heller Jubelschrei; so schön hatte er nie sich das Land, so lieb und traut nicht die klangvolle Sprache der Heimath gedacht. An der Ahr lasen sie Trauben, wie damals, als er mit zagem Herzen von Hause auszog; Schlucht und Fels hallten wieder von den langgezogenen Melodiken der Volkslieder, und heute sang er sie, unten auf der Straße daher schreitend, aus ganz anderem Herzen mit, als an Adelaidens Klavier. Wie dem Wandervogel war ihm zu Muthe, wenn er zur Zeit, wo der mächtige Zug nach dem Süden ihn ergreift, in Hast gehalten wird und dann entschlüpft, um mit weit gebreiteten Schwingen die Brüder noch über dem Spiegel des Meeres einzuholen.

Aber ganz rein war doch sein Herz noch nicht; Margret's Platz darin blieb leer. Als er nach Hause kam, wurde sein Fehltritt mit ihr als eine leichte Sache genommen; das Mädchen, wie immer, traf die ganze Ungunst der herrschenden Meinung. Ihre eigene Familie redete schlecht von Margret, um den Gedanken an das Unrecht nicht aufkommen zu lassen, das man ihr angethan hatte; die Brüder wünschten nicht einmal,

schlammigen Flut hinunter. Im blauen Kittel setzte er sich auf die Eisenbahn und fuhr seinem Rheine zu.

Und als er ihn nun bei Köln zuerst wieder sah, den grünwogigen stillen Strom, als er, den Stab in der Hand, von Bonn hinaufwanderte und durchs Felsenthor schritt zwischen Drachenfels und Rolandsbogen hindurch, da brach aus seiner befreiten Brust ein lauter Heller Jubelschrei; so schön hatte er nie sich das Land, so lieb und traut nicht die klangvolle Sprache der Heimath gedacht. An der Ahr lasen sie Trauben, wie damals, als er mit zagem Herzen von Hause auszog; Schlucht und Fels hallten wieder von den langgezogenen Melodiken der Volkslieder, und heute sang er sie, unten auf der Straße daher schreitend, aus ganz anderem Herzen mit, als an Adelaidens Klavier. Wie dem Wandervogel war ihm zu Muthe, wenn er zur Zeit, wo der mächtige Zug nach dem Süden ihn ergreift, in Hast gehalten wird und dann entschlüpft, um mit weit gebreiteten Schwingen die Brüder noch über dem Spiegel des Meeres einzuholen.

Aber ganz rein war doch sein Herz noch nicht; Margret's Platz darin blieb leer. Als er nach Hause kam, wurde sein Fehltritt mit ihr als eine leichte Sache genommen; das Mädchen, wie immer, traf die ganze Ungunst der herrschenden Meinung. Ihre eigene Familie redete schlecht von Margret, um den Gedanken an das Unrecht nicht aufkommen zu lassen, das man ihr angethan hatte; die Brüder wünschten nicht einmal,

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[0047] schlammigen Flut hinunter. Im blauen Kittel setzte er sich auf die Eisenbahn und fuhr seinem Rheine zu. Und als er ihn nun bei Köln zuerst wieder sah, den grünwogigen stillen Strom, als er, den Stab in der Hand, von Bonn hinaufwanderte und durchs Felsenthor schritt zwischen Drachenfels und Rolandsbogen hindurch, da brach aus seiner befreiten Brust ein lauter Heller Jubelschrei; so schön hatte er nie sich das Land, so lieb und traut nicht die klangvolle Sprache der Heimath gedacht. An der Ahr lasen sie Trauben, wie damals, als er mit zagem Herzen von Hause auszog; Schlucht und Fels hallten wieder von den langgezogenen Melodiken der Volkslieder, und heute sang er sie, unten auf der Straße daher schreitend, aus ganz anderem Herzen mit, als an Adelaidens Klavier. Wie dem Wandervogel war ihm zu Muthe, wenn er zur Zeit, wo der mächtige Zug nach dem Süden ihn ergreift, in Hast gehalten wird und dann entschlüpft, um mit weit gebreiteten Schwingen die Brüder noch über dem Spiegel des Meeres einzuholen. Aber ganz rein war doch sein Herz noch nicht; Margret's Platz darin blieb leer. Als er nach Hause kam, wurde sein Fehltritt mit ihr als eine leichte Sache genommen; das Mädchen, wie immer, traf die ganze Ungunst der herrschenden Meinung. Ihre eigene Familie redete schlecht von Margret, um den Gedanken an das Unrecht nicht aufkommen zu lassen, das man ihr angethan hatte; die Brüder wünschten nicht einmal,

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:40:10Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:40:10Z)

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Zitationshilfe: Kinkel, Gottfried: Margret. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 199–262. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kinkel_margret_1910/47>, abgerufen am 24.04.2024.