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Kinkel, Gottfried: Margret. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 199–262. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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daß ein so kräftiger und entschlossener Mann, wie Nikola, ihrer sich annähme, denn sie mußten besorgen, daß alsdann jene Erbtheilung noch einmal in Frage genommen und ihnen ein sehr böses Spiel bereitet würde. Seit beinahe einem Jahre hatte man Margret im Dorfe nicht mehr gesehen; daß sie kein Wort von Nikola mehr redete, erfuhr er bald und schloß daraus, daß sie die Hoffnung auf endliche Heirath aufgegeben habe. Wäre Margret ihm auf der Schwelle des elterlichen Hauses wie vor Zeiten sehnsüchtig und liebevoll begegnet, hätte er sie im Walde auf einsamem Stege getroffen, wer weiß, was jetzt noch geschehen wäre. Aber ihrem Stolze sich aufzudringen, war er selber zu stolz, denn er sah nicht ein, daß sie ihm mit Ehren nicht entgegenkommen durfte. So schlug er sich die ganze Sache aus dem Sinne, warf sich in seine neue Thätigkeit für Verwaltung des großen Gutes hinein, das ihm alle Hände voll zu thun gab, und beschloß, in späterer Zeit, wenn der erste Schmerz und Groll verwunden wäre, der Verlassenen Anträge wegen Versorgung des Kindes stellen zu lassen.

So kam der Winter heran, ein langer, grimmig kalter Winter. Margret's Knabe war nun bald ein Jahr alt und lief schon an Einer Hand; es war ein blühendes, schönes Kind und der Stolz der Mutter, die der alten Tante manchmal recht böse wurde, wenn diese allerhand Bedenken über sein Auskommen kund gab. Als nun aber der Winter recht auf seiner Höhe stand,

daß ein so kräftiger und entschlossener Mann, wie Nikola, ihrer sich annähme, denn sie mußten besorgen, daß alsdann jene Erbtheilung noch einmal in Frage genommen und ihnen ein sehr böses Spiel bereitet würde. Seit beinahe einem Jahre hatte man Margret im Dorfe nicht mehr gesehen; daß sie kein Wort von Nikola mehr redete, erfuhr er bald und schloß daraus, daß sie die Hoffnung auf endliche Heirath aufgegeben habe. Wäre Margret ihm auf der Schwelle des elterlichen Hauses wie vor Zeiten sehnsüchtig und liebevoll begegnet, hätte er sie im Walde auf einsamem Stege getroffen, wer weiß, was jetzt noch geschehen wäre. Aber ihrem Stolze sich aufzudringen, war er selber zu stolz, denn er sah nicht ein, daß sie ihm mit Ehren nicht entgegenkommen durfte. So schlug er sich die ganze Sache aus dem Sinne, warf sich in seine neue Thätigkeit für Verwaltung des großen Gutes hinein, das ihm alle Hände voll zu thun gab, und beschloß, in späterer Zeit, wenn der erste Schmerz und Groll verwunden wäre, der Verlassenen Anträge wegen Versorgung des Kindes stellen zu lassen.

So kam der Winter heran, ein langer, grimmig kalter Winter. Margret's Knabe war nun bald ein Jahr alt und lief schon an Einer Hand; es war ein blühendes, schönes Kind und der Stolz der Mutter, die der alten Tante manchmal recht böse wurde, wenn diese allerhand Bedenken über sein Auskommen kund gab. Als nun aber der Winter recht auf seiner Höhe stand,

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:40:10Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:40:10Z)

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Zitationshilfe: Kinkel, Gottfried: Margret. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 199–262. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kinkel_margret_1910/48>, abgerufen am 29.03.2024.