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Klein, Felix: Vergleichende Betrachtungen über neuere geometrische Forschungen. Erlangen, 1872.

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Ein Beispiel für eine Transformationsgruppe bildet die
Gesammtheit der Bewegungen (jede Bewegung als eine auf
den ganzen Raum ausgeführte Operation betrachtet). Eine
in ihr enthaltene Gruppe bilden etwa die Rotationen um
einen Punct 1). Eine Gruppe, welche umgekehrt die
Gruppe der Bewegungen umfasst, wird durch die Gesammt-
heit der Collineationen vorgestellt. Die Gesammtheit der
dualistischen Umformungen bildet dagegen keine Gruppe
-- denn zwei dualistische Umformungen ergeben zusammen
wieder eine Collineation --, wohl aber wird wieder eine
Gruppe erzeugt, wenn man die Gesammtheit der dualisti-
schen mit der Gesammtheit der collinearen zusammenfügt2).

Es gibt nun räumliche Transformationen, welche die
geometrischen Eigenschaften räumlicher Gebilde über-
haupt ungeändert lassen. Geometrische Eigenschaften sind
nämlich ihrem Begriffe nach unabhängig von der Lage,
die das zu untersuchende Gebilde im Raume einnimmt, von
seiner absoluten Grösse, endlich auch von dem Sinne 3), in
welchem seine Theile geordnet sind. Die Eigenschaften eines
räumlichen Gebildes bleiben also ungeändert durch alle
Bewegungen des Raumes, durch seine Aehnlichkeitstrans-
formationen, durch den Process der Spiegelung, sowie durch
alle Transformationen, die sich aus diesen zusammensetzen.
Den Inbegriff aller dieser Transformationen bezeichnen wir
als die Hauptgruppe 4) räumlicher Aenderungen; geo-
metrische Eigenschaften werden durch die

1) Camille Jordan hat alle Gruppen aufgestellt, die überhaupt
in der Gruppe der Bewegungen enthalten sind: Sur les groupes de
mouvements. Annali di Matematica. t. II.
2) Die Transformationen einer Gruppe brauchen übrigens durchaus
nicht, wie das bei den im Texte zu nennenden Gruppen allerdings im-
mer der Fall sein wird, in stetiger Aufeinanderfolge vorhanden zu sein.
Eine Gruppe bildet z. B. auch die endliche Reihe von Bewegungen,
die einen regelmässigen Körper mit sich selbst zur Deckung bringen,
oder die unendliche, aber discrete Reihe, welche eine Sinuslinie sich
selber superponiren.
3) Unter dem Sinne verstehe ich hier die Eigenschaft der Anord-
nung, welche den Unterschied von der symmetrischen Figur (dem Spie-
gelbilde) begründet. Ihrem Sinne nach unterschieden sind also z. B.
eine rechts- und eine linksgewundene Schraubenlinie.
4) Dass diese Transformationen eine Gruppe bilden, ist begrifflich
nothwendig.

Ein Beispiel für eine Transformationsgruppe bildet die
Gesammtheit der Bewegungen (jede Bewegung als eine auf
den ganzen Raum ausgeführte Operation betrachtet). Eine
in ihr enthaltene Gruppe bilden etwa die Rotationen um
einen Punct 1). Eine Gruppe, welche umgekehrt die
Gruppe der Bewegungen umfasst, wird durch die Gesammt-
heit der Collineationen vorgestellt. Die Gesammtheit der
dualistischen Umformungen bildet dagegen keine Gruppe
— denn zwei dualistische Umformungen ergeben zusammen
wieder eine Collineation —, wohl aber wird wieder eine
Gruppe erzeugt, wenn man die Gesammtheit der dualisti-
schen mit der Gesammtheit der collinearen zusammenfügt2).

Es gibt nun räumliche Transformationen, welche die
geometrischen Eigenschaften räumlicher Gebilde über-
haupt ungeändert lassen. Geometrische Eigenschaften sind
nämlich ihrem Begriffe nach unabhängig von der Lage,
die das zu untersuchende Gebilde im Raume einnimmt, von
seiner absoluten Grösse, endlich auch von dem Sinne 3), in
welchem seine Theile geordnet sind. Die Eigenschaften eines
räumlichen Gebildes bleiben also ungeändert durch alle
Bewegungen des Raumes, durch seine Aehnlichkeitstrans-
formationen, durch den Process der Spiegelung, sowie durch
alle Transformationen, die sich aus diesen zusammensetzen.
Den Inbegriff aller dieser Transformationen bezeichnen wir
als die Hauptgruppe 4) räumlicher Aenderungen; geo-
metrische Eigenschaften werden durch die

1) Camille Jordan hat alle Gruppen aufgestellt, die überhaupt
in der Gruppe der Bewegungen enthalten sind: Sur les groupes de
mouvements. Annali di Matematica. t. II.
2) Die Transformationen einer Gruppe brauchen übrigens durchaus
nicht, wie das bei den im Texte zu nennenden Gruppen allerdings im-
mer der Fall sein wird, in stetiger Aufeinanderfolge vorhanden zu sein.
Eine Gruppe bildet z. B. auch die endliche Reihe von Bewegungen,
die einen regelmässigen Körper mit sich selbst zur Deckung bringen,
oder die unendliche, aber discrete Reihe, welche eine Sinuslinie sich
selber superponiren.
3) Unter dem Sinne verstehe ich hier die Eigenschaft der Anord-
nung, welche den Unterschied von der symmetrischen Figur (dem Spie-
gelbilde) begründet. Ihrem Sinne nach unterschieden sind also z. B.
eine rechts- und eine linksgewundene Schraubenlinie.
4) Dass diese Transformationen eine Gruppe bilden, ist begrifflich
nothwendig.
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[6/0014] Ein Beispiel für eine Transformationsgruppe bildet die Gesammtheit der Bewegungen (jede Bewegung als eine auf den ganzen Raum ausgeführte Operation betrachtet). Eine in ihr enthaltene Gruppe bilden etwa die Rotationen um einen Punct 1). Eine Gruppe, welche umgekehrt die Gruppe der Bewegungen umfasst, wird durch die Gesammt- heit der Collineationen vorgestellt. Die Gesammtheit der dualistischen Umformungen bildet dagegen keine Gruppe — denn zwei dualistische Umformungen ergeben zusammen wieder eine Collineation —, wohl aber wird wieder eine Gruppe erzeugt, wenn man die Gesammtheit der dualisti- schen mit der Gesammtheit der collinearen zusammenfügt 2). Es gibt nun räumliche Transformationen, welche die geometrischen Eigenschaften räumlicher Gebilde über- haupt ungeändert lassen. Geometrische Eigenschaften sind nämlich ihrem Begriffe nach unabhängig von der Lage, die das zu untersuchende Gebilde im Raume einnimmt, von seiner absoluten Grösse, endlich auch von dem Sinne 3), in welchem seine Theile geordnet sind. Die Eigenschaften eines räumlichen Gebildes bleiben also ungeändert durch alle Bewegungen des Raumes, durch seine Aehnlichkeitstrans- formationen, durch den Process der Spiegelung, sowie durch alle Transformationen, die sich aus diesen zusammensetzen. Den Inbegriff aller dieser Transformationen bezeichnen wir als die Hauptgruppe 4) räumlicher Aenderungen; geo- metrische Eigenschaften werden durch die 1) Camille Jordan hat alle Gruppen aufgestellt, die überhaupt in der Gruppe der Bewegungen enthalten sind: Sur les groupes de mouvements. Annali di Matematica. t. II. 2) Die Transformationen einer Gruppe brauchen übrigens durchaus nicht, wie das bei den im Texte zu nennenden Gruppen allerdings im- mer der Fall sein wird, in stetiger Aufeinanderfolge vorhanden zu sein. Eine Gruppe bildet z. B. auch die endliche Reihe von Bewegungen, die einen regelmässigen Körper mit sich selbst zur Deckung bringen, oder die unendliche, aber discrete Reihe, welche eine Sinuslinie sich selber superponiren. 3) Unter dem Sinne verstehe ich hier die Eigenschaft der Anord- nung, welche den Unterschied von der symmetrischen Figur (dem Spie- gelbilde) begründet. Ihrem Sinne nach unterschieden sind also z. B. eine rechts- und eine linksgewundene Schraubenlinie. 4) Dass diese Transformationen eine Gruppe bilden, ist begrifflich nothwendig.

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Zitationshilfe: Klein, Felix: Vergleichende Betrachtungen über neuere geometrische Forschungen. Erlangen, 1872, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klein_geometrische_1872/14>, abgerufen am 18.04.2024.